Essen & Trinken:Der Reiz des Zackelschafs

Was macht gutes Lammfleisch aus? Ein Koch versuchte, das bei einer Verkostung herauszufinden. Ergebnis: Bauch ist besser als Rücken, Nachhaltigkeit schmeckt man, und alpine Rassen sind besonders aromatisch.

Von Patricia Bröhm

Essen & Trinken: Sehr aromatisch: das seltene Zackelschaf.

Sehr aromatisch: das seltene Zackelschaf.

(Foto: Helge Kirchberger)

Es dürfte wenige Köche geben, die ein solches Faible für Lammfleisch haben wie Andreas Döllerer. Man könne da schon von Liebe sprechen, sagt er mit einem kleinen Grinsen. Und Liebe bedeutet für den österreichischen Spitzenkoch in erster Linie: sich wirklich einzulassen.

Für die Soße zum Lamm greifen viele reflexartig zu Rotwein. Dabei passt Weißwein oft besser

So zählt etwa der Lammrücken, der gemeinhin als besonders edel gilt, gar nicht zu Döllerers Lieblingsstücken. Er bevorzugt das Bauchfleisch. Zu den Signaturegerichten in seinem Gourmetrestaurant in Golling bei Salzburg gehört daher ein Rollbraten vom schmackhaften Bauch des Tauernlamms. Eng gerollt und gebunden, wird das Fleisch erst im Wasserbad sanft gegart und dann schön knusprig gebraten, am Ende harmoniert die feine Lamm-Aromatik perfekt mit fermentiertem Knoblauch und Champignons. Doch es geht natürlich auch rustikaler. Döllerer schwört etwa auf Keule mit mediterranen Kräutern, ganz langsam gegart. Zudem findet der Koch es ein wenig schade, wenn alle, die jetzt Lamm in der Osterzeit zubereiten, für die Sauce wieder mal reflexartig zu Rotwein greifen. "Der überdeckt mit seinen kräftigen Aromen oft die zarten Fleischnoten." Der Österreicher empfiehlt stattdessen einen trockenen Weißwein, zum Beispiel Grünen Veltliner.

Die Zubereitung von Lamm ist eine Sache. Doch je mehr sich Andreas Döllerer mit ihr beschäftigte, desto mehr wollte er über das Fleisch selbst wissen; warum es schmeckte, wie es schmeckte. Einerseits war es für ihn selbstverständlich, dass er sein Lamm von einem Produzenten aus der Region bezog, den er persönlich kannte. Doch woran genau liegt es nun, dass dieses Fleisch so viel aromatischer ist als das aus dem Großhandel? Ist der einzige Grund dafür zum Beispiel die nachhaltige Aufzucht der Tiere, die sich im Sommer auf Hochgebirgsalmen von würzigen Kräutern und Bergblumen ernähren? Oder spielt doch auch die Rasse eine Rolle?

Eine Frage führte zur nächsten. Und am Ende musste der vielfach ausgezeichnete Küchenchef feststellen, wie wenig wir über Lammfleisch, das seit Jahrhunderten in unserer Küche eine Rolle spielt, eigentlich wissen. Eine Lücke, die Döllerer verblüffte und an der ihn vor allem eins reizte: mitzuhelfen, sie zu schließen. "Beim Lamm ist die Rassenkultur viel weniger ausgeprägt als zum Beispiel beim Rind", erklärt der Koch. Viele Speisekarten vermerken heute ausdrücklich, ob ein Charolais-, Angus- oder Chianina-Rind verarbeitet wurde. Nicht so beim Lamm, und das, obwohl weltweit an die 600 Rassen existieren. Döllerer, der in seiner Küche Fleisch vom Tiroler Bergschaf, vom Alpinen Steinschaf sowie vom Jura- und Merinoschaf verwendet, findet, dass sich das ändern müsse: "Das hat mit Wertschätzung für das Produkt zu tun."

Essen & Trinken: Der österreichische Schafzüchter Michael Wilhelm zog für die Gourmetküche eigens eine Herde aus zehn verschiedenen Rassen auf.

Der österreichische Schafzüchter Michael Wilhelm zog für die Gourmetküche eigens eine Herde aus zehn verschiedenen Rassen auf.

(Foto: Helge Kirchberger)

Mit dem Schafzüchter Michael Wilhelm aus Sölden im Ötztal organisierte der Koch deshalb ein einzigartiges Geschmacksexperiment, um herauszufinden, welche Schafrasse das beste Fleisch liefert: Wilhelm stellte eine Versuchsherde aus zehn verschiedenen Tieren zusammen, vom Kärntner Brillenschaf über die internationalen Arten Texel-, Suffolk- und Île-de-France-Schaf bis zum selbst in den Alpen seltenen Zackelschaf, das mit seinen langen Wollzotteln und den Korkenzieher-Hörnern geradezu prähistorisch aussieht. Alle Lämmer waren sechs Monate alt, als der Schäfer sie im Juni 2019 auf eine Hochalm führte, wo sie den Sommer verbrachten. Von Oktober an, wenn die Tage kühler werden und die Tiere anfangen, Fett anzusetzen, blieben sie auf Wilhelms Bergbauernhof im Stall und ernährten sich von Heu. Im Februar wurden alle zehn Probanden schließlich am selben Tag und vom selben Metzger geschlachtet.

Dann wurde es spannend: Döllerer, der auch Vorstand des "Koch.Campus" ist, einer Interessenvereinigung engagierter Köche und Produzenten in Österreich, lud 30 Kollegen, Züchter und Journalisten zur Blindverkostung in sein Restaurant. Von jeder Rasse servierte er Fleisch aus der Keule, roh als Tatar, sowie vom Rücken, nur leicht gebraten, aber ohne Gewürze.

"Schon rein optisch waren die Unterschiede groß", erklärt Döllerer, "gerade, was das für den Geschmack so ausschlaggebende Verhältnis zwischen Fettmarmorierung und Fleisch angeht." So hatten einige Tiere etwa an Nacken und Niere deutlich Fett angesetzt, andere, wie das Texelschaf, gar keins. Letzteres zählte geschmacklich zu den Schlusslichtern der Probe, sein Fleisch wirkte fast so hell wie Kalbfleisch und schmeckte sehr mild, ohne merkbare Lamm-Aromatik. Ähnlich das Île-de-France-Schaf, das viele Verkoster als brav und wenig ausdrucksstark empfanden. Eindeutige Testsieger waren die alpinen, also regionalen Rassen - keine Überraschung für Döllerer, der auch hofft, so bei Kollegen und Konsumenten das Bewusstsein für nachhaltige Produkte mit Charakter zu stärken.

Der Großteil des Lammfleischs in Gastronomie und Handel kommt heute aus Neuseeland und Australien. Es wird also um die halbe Welt geschifft, bevor es in unseren Kühlhäusern landet. Zudem wird die Zucht so gesteuert, dass möglichst viel Wachstum ins Fleisch geht, vor allem in die Edelteile. Intramuskuläres Fett, das für den Eigengeschmack so wichtig ist, bleibt dabei auf der Strecke. "Ganz anders beim Tiroler Bergschaf, da ist der Fleischanteil am Gesamtgewicht relativ niedrig, daher ist es nicht so lohnend für Züchter", sagt Döllerer. Interessierten Privatkunden rät der Koch, gezielt nach alten Rassen und regionalen Produkten Ausschau zu halten. Und sich auch an geschmacksintensivere Stücke wie Bauch, Schulter, Wange oder Haxe zu wagen.

Auch in Deutschland, wo mehr als 40 Schafrassen gängig sind, finden sich Lämmer oft unter ihrer - oft unspezifischen - Herkunftsbezeichnung auf Speisekarten oder im Handel. Etwa das sogenannte Salzwiesenlamm, das sich auf den Nordseedeichen von Kräutern und Gräsern ernährt - ein Marketingbegriff, hinter dem sich oft bei Züchtern beliebte Fleischrassen wie Texel oder Merino verbergen. Es lohnt sich daher, beim Einkauf nach alten norddeutschen Arten wie Skudde oder dem Rauwolligen Pommerschen Landschaf zu fragen. Auch sie werden auf den Deichen zur Landschaftspflege eingesetzt, sodass ihr Fleisch durch das Grasen in Meeresnähe die begehrten, leicht jodig-salzigen Noten hat. Eine vom Aussterben bedrohte Spezialität ist die Hornlose Weiße Heidschnucke (auch Moorschnucke), die Heide- und Moorlandschaften in Niedersachsen durch Abgrasen vor der Verstepppung bewahrt. Ihr zartes Fleisch ist fettärmer und dunkler als das anderer Schafe, es erinnert, wie das vieler Schnuckenarten, leicht an Wild.

Das Fleisch des Rhönschafs ist eine Delikatesse, für die sich schon Napoleon interessierte

Generell lohnt es sich für Fans von gutem Lammfleisch, auf Wochenmärkten oder bei Direktvermarktern nach alten regionalen Rassen wie Bentheimer Landschaf, Coburger Fuchsschaf oder Rhönschaf Ausschau zu halten. Letzteres ist schon seit dem 16. Jahrhundert im Mittelgebirge der Rhön verbreitet. Schon Napoleon soll sich für das zarte, würzige Fleisch begeistert haben, als er 1813 in die Gegend kam. Er brachte es als "Mouton de la Reine", Königinnenlamm, nach Frankreich, bis zu 80 000 Rhönschafe wurden damals jährlich über die Grenze getrieben. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die lokale Rasse, leicht zu erkennen am hornlosen schwarzen Kopf mit geradezu römischem Nasenprofil, vielerorts ersetzt durch andere Arten, die besser für eine intensive Haltung geeignet waren. So war auch das Rhönschaf bald vom Aussterben bedroht. Heute setzen Schäfer und Metzger im Dreiländereck Bayern-Hessen-Thüringen wieder auf ihr wohlschmeckendes Fleisch und vermarkten direkt.

Dass aber auch die Bedingungen der Aufzucht bei allem neu geweckten Interesse für die Schafrassen nach wie vor eine entscheidende Rolle spielen, dafür steht das Poltinger Lamm, das in der deutschen Spitzengastronomie sehr beliebt ist. Züchter Franz Riederer von Paar lässt seine Tiere auf den Wiesen rund um den Hof seiner Familie im niederbayerischen Polting grasen. Selbst die meisten Köche wüssten nicht zu sagen, welcher Rasse das Poltinger Lamm angehört - es ist die der Merinolandschafe, in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert zu Hause. Riederer schwört auf die alte Art, weil sie gute Fleischlieferanten hervorbringt, die das ganze Jahr über lammen, nicht nur im Frühjahr - kein unwichtiges Kriterium in Zeiten, da sich Konsumenten an ständige Verfügbarkeit gewöhnt haben.

Zucht, Haltung, Fütterung und Schlachtalter - das sind für den bodenständigen Freiherrn die wichtigsten Faktoren für die Qualität seines Fleischs. Auch er setzt auf den geschmacklich so entscheidenden Fettanteil, den er durch eigene Kreuzungsböcke steuert, aber er präzisiert: "Wichtig ist, dass es sich um junges Fett handelt, das zur richtigen Zeit gebildet wurde. Wird Lamm zu spät geschlachtet, schmeckt es schon zu sehr nach Schaf." Um seinen Tieren Transportstress zu ersparen, lässt Riederer sie im Alter von drei bis vier Monaten auf dem eigenen Hof schlachten und beschäftigt für ihre Verarbeitung eigens zwei Metzger.

Am Ende geht es natürlich auch um das Futter: Die feine Würze des Fleisches von Poltinger Lämmern soll auch zurückgehen auf die besonders saftigen Wiesen Niederbayerns. Auf eine Mischung aus Rot- und Weißklee, Löwenzahn, Glatthafer, Wildkräutern, Gräsern und Blüten.

Hier ist Lamm gut

Döllerers Genusswelten: Gourmetrestaurant, Wirtshaus und eigene Metzgerei, die verschiedene Lammrassen führt, Markt 56, A-5440 Golling, www.doellerer.at

Tauernlamm: Verkauft das Fleisch von Bergschafen und Juraschafen, zum Beispiel donnerstags auf dem Salzburger Schrannenmarkt oder in der eigenen Metzgerei, Eschenau 16, A-5560 Taxenbach, www.tauernlamm.at

Poltinger Lamm: Der Hofladen des Gutshofs Polting führt bestes Fleisch vom Merinolandschaf. Geöffnet ist freitagnachmittags (in der Osterwoche am Gründonnerstag). Wegen der Corona-Krise liefert der Gutshof erstmals auch direkt an Privatkunden, bestellt wird über die Homepage: gutshof-polting.de. In München verkauft auch Feinkost Käfer Poltinger Lamm.

Vogelsberger Kräuterlamm: Fleisch vom Merinolandschaf, zu bestellen bei Otto Gourmet: www.otto-gourmet.de

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