Essen & Trinken:Brennendes Geheimnis

Eine kleine Destillerie in Eckernförde an der Ostsee schaffte es aus dem Stand in die Weltspitze. Ob mit Gin, Wodka, Aquavit oder Obstbränden. Was ist ihr Rezept?

Von Peter Burghardt

Der Gin plätschert, ein schönes Geräusch, dazu läuft Jazzmusik. Die Tropfen fallen in einen Aluminiumkessel, hinter der runden Scheibe der Destillieranlage aus Kupfer sieht man Wacholderbeeren, sie stammen aus Frankreich und Italien. Es riecht auch nach Gin. "Nicht anfassen", empfiehlt Andreas Michelsen, die glänzende Destille ist gerade 106,2 Grad heiß. Acht Stunden lang wird Gin gebrannt, Alkohol verdampft bei 78,3 Grad, ehe er wieder abkühlt und tropft.

Der fertige Gin wird nach monatelanger Reifung als Dry Gin abgefüllt werden oder als Dry Gin aus dem Cognac-Fass und Dry Gin aus dem Grand-Marnier-Fass. Sein Alkoholgehalt wird dann auf 42 Prozent gesunken sein. 16 Bio-Kräuter verleihen dem Gin Aromen, die selbst anspruchsvollste Tester verzücken, das sind außer den Wacholderbeeren unter anderen Ingwer, Lavendel, Rosenblütenblätter, Paradieskörner und Porst. Vom Porst, einer Spezialität des Hauses, wird auch noch zu reden sein. Denn der Gin ist zwar wichtig in dieser Geschichte vom Aufstieg einer kleinen Brennerei in die Weltelite. Aber in diesem Raum von der Größe eines Wohnzimmers wartet jetzt eine Batterie von Spirituosen darauf, probiert zu werden.

Jedes Dorf brennt heute eigenen Gin, aber nicht jedes wird dafür mit Preisen überhäuft

Ein renovierter Hinterhof in Eckernförde an der Ostsee, Schleswig-Holstein, wenige Schritte vom Hafen mit seinen Schiffen und Fischbrötchen entfernt. "Destillerie Clara Hof" steht über der Tür, nebenan ein Feinkostgeschäft und eine Bonbonkocherei. Der Name Clara Hof hat mit einer alten Eckernförderin zu tun, nach der auch die Straße benannt ist. Vorne im Laden stehen edle Flaschen in den Regalen. Dry Gin, Aquavit, Wodka. Oder "Vodka Nr. 3, 40 % Vol., gereift im Bourbon-Fass" oder "Dill-Aquavit 41 % Vol." oder "Porst" oder "Erdbeergeist gereift im Cognac-Fass 40 % Vol." 36 Destillate und Liköre, alle von der Destillerie Clara Hof, alle handgemacht.

Das Design entwirft Tanja Michelsen, den Inhalt, den Geist in der Flasche, kreiert ihr Mann, Andreas Michelsen. "World Spirit Award 2019 Gold", steht auf Aufklebern. Oder "World Spirit Award 2019 Silber". Auf Urkunden an der Wand ist "First-Class Destillery" oder "World-Class Destillery" zu lesen. Wer als Kunde eher zufällig hineingestolpert ist, der ahnt spätestens jetzt, dass es hier um etwas Besonderes geht.

Denn kleine Destillerien gibt es ja inzwischen viele. Ungefähr jedes Dorf in Deutschland scheint heute ihren eigenen Gin zu produzieren. Und die Läden und Theken dieser Welt sind ohnehin voll von Wodkas und Gins. Wie kann es also sein, dass eine Mini-Brennerei von der Küste quasi aus dem Stand internationale Preise abräumt und die anspruchsvollsten Gaumen erobert, sogar mit Wodka und Gin?

Dazu gibt es natürlich eine Geschichte, in seinem Arbeitsraum legt Andreas Michelsen gleich los. Ähnlich lebendig dürften fast jeden Freitag seine zweistündigen Führungen ausfallen, die Termine für 2019: ausgebucht. Michelsen, 58 Jahre alt, erzählt, erklärt, gestikuliert. Da sind seine Botanicals, wie Experten das nennen, er hält Proben unter die Nase: Koriander, Kümmel, Anis, Fenchel und so weiter. Er öffnet Töpfe und entkorkt Flaschen, gießt ein, riecht, nippt, nimmt neue Gläser, lässt wieder riechen und schmecken. Er erläutert die kupferne Kolonne, die Blase und den Aromakorb, Teile des Destilliergeräts. Er spricht von Geist und Brand und Rektifikation und Mazeration. "Das ist Leidenschaft", sagt er und fragt: "Ist das toll?", als man seinen Dry Gin im zarten Glas geschwenkt, als man gerochen und probiert hat. Ja, und nicht nur der Gin ist toll.

Für einige Destillate lassen sich Kunden auf Wartelisten setzen. Qualität dauert. Manchmal Jahre

Der Schöpfer dieser Brände kommt aus Hamburg und war früher Brauer und Mälzer bei der damaligen Elbschloss-Brauerei. Nachher studierte er Ernährungswissenschaften und ließ sich am Berliner Institut für Gärungsgewerbe und Biotechnologie zum Brennmeister ausbilden. Andreas Michelsen beriet zuerst Firmen, dann beschloss er vor ein paar Jahren, sich mit seiner Frau selbständig zu machen.

Clara Hof Destillerie

"Man muss unheimlich genau arbeiten", erklären Andreas und Tanja Michelsen, wenn man sie fragt, warum ihre Destillate so gut sind.

(Foto: Clara Hof Destillerie)

Das war keine Schnapsidee, die Michelsens haben vier Kinder. Da kauft man sich nicht mal eben speziell angefertigte Destillieranlagen vom Bodensee zum Preis einer Immobilie. Wer als Hersteller in diesem Nischenmarkt auffallen will, der muss gut sein. Ungewöhnlich gut. Und originell. Andreas Michelsen ist Profi, mit langer Expertise. Zum Vergleich und nur nebenbei: Der Schauspieler George Clooney macht Tequila zwar nicht selber, er trinkt ihn nur gern, gründete aber mit Freunden in Mexiko eine Marke, die er dann für eine Milliarde Dollar an einen Konzern verkaufte. Andreas Michelsen ist weder Investor noch Marketingguru oder Hobbybrenner. Er ist Brennmeister, Tüftler. Eine Art Alchimist.

Er brenne keine Schnäpse, sondern Destillate, sagt er: "Das ist was zum Genießen." Die Clara Hof Destillerie verwendet dabei auch eigenen, besonders weichen Rohalkohol, gebrannt wird aus kontrolliert angebautem Winterweizen bei einem Studienfreund, dem ebenfalls preisgekrönten Martin Schulze Rötering im Münsterland. Die Reinigung und Verfeinerung erledigt Michelsen hier im Labor, mit enthärtetem Wasser. Das ergibt zum Beispiel samtweichen Wodka. So kam die Clara Hof Destillerie mit zehn Medaillen für zehn Produkte von den World Spirit Awards 2019 aus Italien nach Hause. Alle zehne, sozusagen. Denn mehr als zehn Destillate darf man bei dem Wettbewerb gar nicht einreichen.

117 Teilnehmer aus aller Welt waren in Bassano del Grappa am Start, die Debütanten aus Eckernförde wurden in die Liste der WSA Superstars 2019 aufgenommen und in die Elite der Destilleries of the Year 2019. Der Vodka N° 3, gereift im Bourbon Fass: Doppel-Gold. Die Bewertungen waren Hommagen. Die Juroren schmeckten die winzigste Ingwernote heraus, diese dezente Schärfe im Abgang. Zitronen, Mandarinen, Feigen, Artischocken, Röstaromen. Was die Prüfer nicht alles entdeckten.

Wie man so viel Aroma ins Destillat rettet? Die Frucht so vollendet in den Alkohol integriert? Man müsse "die Aromen am Alkohol andocken", sagt Michelsen. Außerdem legt er größten Wert auf gute Produzenten, die oft nur geringe Mengen haben. Wo er seine Beeren, Kräuter und Nüsse kauft, ist Betriebsgeheimnis. Zwei Jahre brauche er, bis ein Brand in der Flasche sei, sagt Michelsen: "Das ist Produktentwicklung!" Für den Himbeergeist hat er vor zwei Jahren tausend Kilo frische Himbeeren verarbeitet, 2018 gab es wegen der Trockenheit zu wenig Früchte, 2019 waren es 750 Kilo. Der Himbeergeist von 2017: ausverkauft. Für den Orangengeist hat er zwei Tage lang 200 Bio-Orangen so geschält, bis am Fruchtfleisch möglichst keine weiße Faser mehr hing. Vereinzelte Orangenöltropfen saugt er mit der Pipette aus dem Destillat. "Du musst unheimlich genau arbeiten", sagt er. "Riechen Sie mal. Richtig toll."

Clara Hof Destillerie

Der Porst, ein blassgrünes Kraut, ist die wichtigste Zutat für den gleichnamigen schwedischen Magenbitter.

(Foto: Clara Hof Destillerie)

Einmal kamen Kunden vorbei, die für ein Hilfsprojekt aus fair gehandeltem Edelkakao aus Peru hochwertige Schokolade machen lassen. Zwei Jahre später gab es bei Andreas Michelsen einen grandiosen Kakaogeist. Oder der Porst, die Nummer zwei unter seinen Bestsellern: Porst ist ein ungesüßter skandinavischer Magenbitter, den schon die Wikinger kannten. Dieser Tage angelt Michelsen an einem schwedischen See und pflückt wieder das Kraut dafür. Der selbst gesammelte Porst würzt auch andere seiner Brände. "Für jedes Produkt müssen Sie eine Geschichte erzählen", sagt er. Deshalb verkauft Clara Hof Destillerie trotz Anfragen von Supermärkten nur hier im eigenen Laden und online. Nie in großen Mengen. Nicht immer ist alles verfügbar, wozu auch, manchmal brauchen Käufer halt Geduld. Der Schwarze Johannesbeer-Geist wird erst in einem Jahr trinkfertig sein. Dies ist kein Massenbetrieb. Michelsen sagt: "Ich will Destillierkunst zeigen. Das dauert. Ich hab' ja Zeit."

Sein Favorit ist der Aquavit. Neun Botanicals, darunter Bio-Kümmel aus Österreich und Porst-Kräuter. Goldgelb, gereift im Sherry-Fass, 41 %, Goldmedaille, ebenfalls extrem weich. Das beeindruckt auch Schweden und Norweger, ebenso der Dill-Aquavit aus Kronen-Dill. Mit Kürbis will Michelsen auch experimentieren, und sein Blaubeergeist gedeiht, beim nächsten World Spirit Award wird er wieder allerlei einreichen. Die Nummer eins unter den Verkäufen der Destillerie ist aber der Gin.

Gin Tonic? Auch, Andreas Michelsen ist da nicht so streng, schließlich hat er extra passendes Tonic aus Südspanien und der Schweiz im Angebot. Er rät, seinen Gin und das Tonic kalt zu stellen und dann bitte ja nichts dazu zu schneiden. Keine Gurke, keine Zitrone. Seine Frau Tanja sagt, man pinsele ja auch nicht über einen Picasso.

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