Weinbaugebiet in Ostdeutschland:Saale-Unstrut: Eine echte Entdeckung für Weinliebhaber

Weinbaugebiet in Ostdeutschland: Saale-Unstrut ist mit nur 780 Hektar eine Weinbauregion im Miniformat.

Saale-Unstrut ist mit nur 780 Hektar eine Weinbauregion im Miniformat.

(Foto: mauritius images / Andreas Vitti)

Saale-Unstrut gilt als Wundertüte der deutschen Weinbaugebiete. Die Winzer hier mögen Experimente, und kaum irgendwo sonst gibt es so viele Rebsorten. Das liegt auch an der DDR-Vergangenheit.

Von Patrick Hemminger

Bei Mosel denkt man sofort an Riesling. Bei Saale-Unstrut denkt man an nichts", sagt Matthias Hey. Kein Wunder, denn das nur rund 780 Hektar große Weinanbaugebiet produziert gerade einmal genug Wein, um die Region zu versorgen. Eher wenige Flaschen werden außerhalb getrunken. Außerdem wachsen an den Flüssen Saale und Unstrut so viele verschiedene Rebsorten in nennenswerter Menge wie sonst kaum irgendwo - das Anbaugebiet,gelegen zwischen den Städten Naumburg, Freyburg und Laucha, gilt als Wundertüte - mit jungen Weingütern und Winzern, die gerne experimentieren.

Matthias Hey ist ein Grund, warum sich das mit der Bekanntheit ändern könnte. Der 37-jährige Winzer gilt als eines der größten Talente der Region, Anfang 2019 gab es für ihn den Ritterschlag: Der Verband Deutscher Prädikats- und Qualitätsweingüter (VDP) nahm Hey in seine Reihen auf - als dritten Winzer aus Saale-Unstrut und überhaupt erst fünften aus Ostdeutschland. Rund die Hälfte von Heys Weinbergen sind mit Riesling bepflanzt. Das ist für die Region ungewöhnlich viel. Und was der Winzer (nicht nur) aus dieser Rebsorte macht, weckt Aufmerksamkeit.

Heys Weine mögen qualitativ herausragen, doch seine Geschichte ist zunächst einmal typisch für diese Region: Geplant war bei ihm gar nichts. "Meine Eltern haben 2001 bei Naumburg einen Weinberg mit einem Hektar gekauft. Einfach so, zum Spaß. Ohne diesen Zufall weiß ich nicht, was ich heute machen würde", sagt er. Hey war schnell begeistert von der Arbeit mit den Reben und im Keller. Er studierte Weinbau in Geisenheim im Rheingau und machte Praktika in Italien. 2007 kam er nach Naumburg zurück. "Und gemeinsam mit meinen Eltern habe ich mich in das Abenteuer Weingut gestürzt", sagt er.

Ein eisiger Winter machte fast die Hälfte der Rebstöcke kaputt. Rückblickend ein Glücksfall

Rückblickend ist er froh, wie blauäugig sie damals waren. 10 000 Flaschen kelterten sie von ihrem ersten Jahrgang, dem 2008er. "Damit macht man natürlich keinen großen Sprünge. Wir haben in den ersten fünf Jahren alles selber gemacht und das Equipment nur so gekauft, wie wir es gerade gebraucht haben", erzählt Hey. Von Anfang an setzte er bei seinen Spitzenweinen auf den Ausbau im Holzfass. Heute sagt er selbst, dass er dabei auch übers Ziel hinausschoss, die Weine wurden zu holzbetont, zu breit. Aber er hat daraus gelernt

Inzwischen erntet er viel Lob, egal ob für seinen "Einsteiger", den "Weißen Hey", eine süffige Cuvée aus 80 Prozent Silvaner sowie je zehn Prozent Weißburgunder und Riesling, oder für seinen Topwein, einen straffen, muskulösen Riesling aus der Lage Naumburger Steinmeister. Hey mag es, wenn es ein wenig unkonventionell wird. "Im höheren Segment dürfen die Weine polarisieren", findet er, "durch die Vergärung im Holz und den langen Kontakt der Maische mit dem Most werden sie stoffig, dicht und weich." Das müsse dann auch nicht jedem gefallen, sagt der Winzer. "Ich schaue jedes Jahr, was ich noch weglassen kann. Wie die Weine noch purer werden."

Matthias Hey, Besitzer des Weingut Hey

Winzer Matthias Hey.

(Foto: Biel)

Wenn die Region Saale-Unstrut noch kein klares Profil hat, dafür aber viele Rebsorten, dann hat das auch mit Politik zu tun - und mit Wetter: Der Winter 1986/87 gilt bis heute als einer der kältesten, den die Region je erlebt hat. Damals gab es 480 Hektar Weinberge. Nach diesem Winter war nur noch gut die Hälfte davon nutzbar. "40 Prozent der Pflanzen sind damals erfroren", sagt Hans Albrecht Zieger, Chef der Winzervereinigung Freyburg-Unstrut. Die Genossenschaft, die die Hälfte aller Flächen hier bewirtschaftet, ist ein Erbe der DDR. Privaten Weinbau gab es nicht, die einzigen Betriebe waren die Genossenschaft und das volkseigene Weingut Naumburg (nun Landesweingut Kloster Pforta).

Da es in der DDR kaum Reben zu kaufen gab, waren die Weinberge schon vor dem extremen Winter sehr gemischt bepflanzt. "Die Winzer brachten von Reisen eben das mit, was sie so fanden", sagt Zieger. Und nach dem Extremfrost pflanzten sie dann wirklich alles, was sie bekommen konnten. "Deshalb stehen noch heute so exotische Sorten wie 'André' oder 'Hölder' in unseren Weinbergen", sagt der Geschäftsführer. All das macht die Region sehr abwechslungsreich. Es ist aber zugleich schwierig für sie, ein Profil mit Außenwirkung zu entwickeln. Lange versuchte man, den Weißburgunder zu einer Art Leitrebsorte zu machen - mit durchwachsenem Erfolg.

Als einer der besten Kenner der Region gilt der Sommelier Christian Wilhelm. Er arbeitet im Leipziger Zwei-Sterne-Restaurant "Falco" und hat sich auf Weine aus Ostdeutschland spezialisiert. Auf seiner tausend Positionen umfassenden Weinkarte stehen etwa 60 Weine aus Saale-Unstrut, für ein Gourmetrestaurant war das mutig, die Region entwickelt sich ja noch, entsprechend schwankend sind die Ergebnisse. "Nach der Wende haben viele mit Learning by Doing ein Weingut aufgemacht. Heute studiert der Nachwuchs in Geisenheim und macht Praktika im Ausland", so Wilhelm.

Saale-Unstrut ist wie ein Labor. Zu beobachten: die Entwicklung einer Weinregion im Zeitraffer

Viele Winzer hier versuchten lange, gegen den Ruf anzugehen, Weine aus Ostdeutschland seien zu dünn. Deshalb wurden kräftige und oftmals nicht allzu elegante Weine mit viel Holzeinsatz gekeltert, manche machen das immer noch. "Jetzt fassen sich viele Winzer an die Nase und fragen sich, was sie hier eigentlich wirklich am besten können",erzählt Wilhelm. "Die Weine werden immer eleganter und filigraner", sagt der Sommelier - und das bei meist moderatem Alkohol. Die Winzer in der Region haben also damit aufgehört, anderen nachzueifern, und sich auf ihre eigenen Stärken besonnen. Eine Entwicklung, die in der von internationalen Trends geprägten Weinwelt nicht gerade üblich ist.

Eines der "Learning-by-Doing-Weingüter", wie Wilhelm sie nennt, ist "Grober Feetz". Stephanie Grober-Feetz war früher Werbegestalterin. Ihr Mann Tino Feetz war erst Soldat, dann Bergmann und irgendwann Mädchen für alles bei der Genossenschaft in Freyburg. Vor sechs Jahren begannen die beiden mit dem eigenen Weinbau im Nebenerwerb. Heute ist es ihr einziger Beruf, ihre Leidenschaft ist ständig gewachsen. Gerade mal zwei Hektar mit zahlreichen Rebsorten bewirtschaftet das Ehepaar - aber weil fast alles im gutseigenen Ausschank verkauft wird, lässt sich davon leben. Ihr Keller ist ein Lager der Überraschungen, Großartiges liegt neben Schrägem. Auch weil im Weinberg auf kleinster Fläche Exoten wie Roter Gutedel, Rotino oder Rosino nebeneinander stehen.

Die Region könnte sich enorm machen, davon ist Sommelier Wilhelm überzeugt. Doch braucht es dafür Winzer mit einer klaren Idee für ihre Weine und ihre Zukunft. Weil das Anbaugebiet klein ist, wird fast alles im Umkreis weniger Kilometer verkauft. "Viele Winzer leben vom Stammpublikum. Wenn sie jetzt ihren Stil ändern, verschrecken sie Kunden. Dann bleiben sie auf den Weinen sitzen, weil es bisher kaum Händler oder Gastronomen außerhalb der Region gibt, die diese verkaufen."

Wilhelm hofft, dass die Aufnahme von Matthias Hey in den VDP den Ehrgeiz der anderen Winzer anstachelt. Er wundert sich nicht, dass der fünfte ostdeutsche Winzer im VDP aus Saale-Unstrut und nicht aus der Nachbarregion Sachsen kommt. Dort sei die Entwicklung nach der Wende schneller gewesen, in Saale-Unstrut sei sie dafür nachhaltiger. "Das Beispiel Hey zeigt: Es geht voran, die Winzer können es schaffen. Das hilft der Region enorm, die Leute schauen hier hin", sagt der Sommelier. Weil die Winzer heute besser vernetzt sind und sich mehr austauschen als früher, entwickeln sich die Dinge viel schneller. Saale-Unstrut gleicht einem Labor, in dem sich die Entwicklung einer Weinbauregion wie im Zeitraffer beobachten lässt.

Sommelier Christian Wilhelm findet die Wundertüte Saale-Unstrut von Berufs wegen interessant. Auch die Schwankungen bei der Qualität machen die Sache für ihn spannend. Dementsprechend unterschiedlich kann er die Weine bei seiner Arbeit einsetzen. "Aber ich muss alles jedes Jahr neu probieren, weil die Unterschiede groß sind. Das ist für die normale Kundschaft natürlich schwieriger als für mich in der Sternegastronomie", sagt er. Einer seiner Lieblingswinzer zum Beispiel kam mit den extrem heißen Temperaturen im Sommer 2018 nicht klar. Er holte seine Trauben zu spät, die Früchte lagerten von Tag zu Tag mehr Zucker ein, die Weine wurden breit im Geschmack und hoch im Alkohol.

Winzer in anderen Regionen investieren in Technik. Sie schaffen Möglichkeiten, geerntete Trauben zu kühlen, oder kaufen eine zweite Presse, um in kürzerer Zeit mehr verarbeiten zu können. Das ist in Saale-Unstrut nicht so einfach, da die Betriebe so klein sind. "Technik muss sich lohnen. Und das sieht bei 20 Hektar in der Pfalz einfach anders aus", sagt Wilhelm. Hinzu kommt, dass es vielerorts noch an Erfahrung fehlt. Da die ersten Weingüter nach der Wende gegründet wurden, sind die ältesten Betriebe gerade mal 30 Jahre alt. Im Weinbau, wo der Winzer jedes Jahr nur einen Versuch hat, ist das gerade mal ein Wimpernschlag.

Christian Wilhelm findet allerdings, dass all das gerade den Charme dieser Region ausmacht. "Hier gibt es kein Schema F". Und was, so fragt er, gebe es für einen Weinliebhaber Schöneres, als noch ein paar echte Entdeckungen zu machen?

Weinwegweiser

1. Feiner Riesling: Weingut Hey, Weinberge 1d, 06618 Naumburg (Saale), Tel. 03445 677 41 65, weinguthey.de

2. Spannender Rebsortenmix: Weingut Grober Feetz, Mühlstraße 32, 06632 Freyburg (Unstrut), Tel. 034464 355 836, grober-feetz.de.

3. Exzellenter Eiswein aus Müller-Thurgau: Winzerhof Gussek, Kösener Straße 66, 06618 Naumburg (Saale), Tel. 03445 781 03 66, winzerhof-gussek.de

4. Anspruchsvoller Riesling: Winery B. Pawis, Auf dem Gut 2, 06632 Freyburg-Zscheiplitz, Tel. 034464 28 315, weingut-pawis.de

5. Guter Weißburgunder: Weingut Uwe Lützkendorf, Saalberge 31, 06628 Naumburg (Saale), Tel. 034463 610 00, weingut-luetzkendorf.de

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