Tomatensoße:So gelingt die perfekte Tomatensoße

Tomatensoße: Tomatenkerne verstärken das Aroma der Soße. Das ist kein Kochtipp, das ist Wissenschaft.

Tomatenkerne verstärken das Aroma der Soße. Das ist kein Kochtipp, das ist Wissenschaft.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Dafür braucht man zweierlei: Geduld und hervorragende Produkte. Unser Autor hat lange geübt für die perfekte Tomatensoße. So wurde aus einem Ritual ein Rezept.

Von Marten Rolff

Es ist leider so, dass es das Idealrezept für Tomatensoße gar nicht geben kann. Penibel notiert, mit einer Liste von Zutaten, mit exakten Mengenangaben und minutiös einzuhaltenden Garzeiten. Ich würde natürlich gern das Gegenteil behaupten. Mich damit brüsten, dass mein Rezept seit Jahrhunderten in der Familie weitergereicht wird; dass es auf den Geheimnissen eines Gemüsebauern aus San Marzano sul Sarno oder der Nonna einer kampanischen Masseria basiert. Für viele Rezepte ist solches Storytelling ja schon die halbe Miete.

Doch der Weg zur perfekten Tomatensoße ist keine Straße der Legenden; er ist eher ein unbequemer, aber nie langweiliger Erkundungspfad. Es geht nicht ums Ankommen, sondern ums Annähern. An die sommerlichsten aller Aromen. An die perfekte Balance aus Süße und Säure.

Ungezählte Male habe ich diese Soße gekocht; sie wird jedes Mal ein wenig anders. Vieles daran ist reine Geschmackssache. Zum Beispiel, ob man - wie ich gern - den Knoblauch weglässt. Oder mit welchen Kräutern man kocht. Ich nutze meistens nur viel frischen Thymian, weil er weniger kräftige phenolische Verbindungen enthält als etwa Oregano. Der duftige Thymian stützt die zarte Fruchtigkeit der Tomate, während Oregano (vom Rosmarin mit seinen starken Eukalyptusnoten ganz zu schweigen) eine tragende Nebenrolle einfordert. Beides kann interessant sein.

Jeder halbwegs überzeugte Koch wird natürlich versuchen, dem Publikum ausschließlich seine Version schmackhaft zu machen. Man tut aber gut daran, die meisten Ratschläge nicht als Gesetz, sondern nur als schöne Option zu verbuchen. Für perfekte Tomatensoße gibt es nämlich nur zwei Zutaten, die absolut unverhandelbar sind: Zeit und die Qualität der Produkte.

Die Köchin Benedetta Vitali schrieb ein ganzes Buch über das Anbraten von Zwiebeln

Da wären natürlich zuerst die Tomaten. Seit Jahrzehnten predigen Kochbuchautoren, die beste Soßentomate sei die süditalienische San Marzano, ihre Süße unschlagbar. Das ist nicht falsch. Doch ist die Vielfalt auf den Märkten dank des Engagements vieler Kleinstbauern und Köche heute wieder viel größer als noch vor zehn Jahren. Es gibt zum Beispiel großartige Sorten aus Südosteuropa - würzige schwarze Tomaten oder fleischige Ochsenherzen aus Bulgarien und Mazedonien. Es gibt fruchtige Green Zebras oder marmeladige Ananastomaten, deren Aroma fast etwas Tropisches haben kann. Jetzt im August sind sie alle fantastisch. Ich werfe die Sorten wild durcheinander, je nachdem, was gerade so da ist. Wobei auch die süßeste Tomate eine andere Säurestruktur entwickeln kann, wenn sie auf deutschem Boden reift.

Ich habe das Glück, mein Gemüse über eine Kooperative zu beziehen, bei der man Mitglied sein muss. Unser Gärtner heißt Siggi, ich mag die Vorstellung, dass er alles über Tomaten weiß. Leute von überall schicken ihm Saatgut. Er hat mehr als hundert Sorten ausprobiert und dann 70 wieder aussortiert. Man kann von Siggi viel über Gemüse lernen und über alles reden; nur ein Tabu gibt es: Kritik an seinen Tomaten. Ich habe mal erlebt, wie ein Nachbar fragte: "Kann es sein, dass die Tomaten der letzten Woche eventuell ..." Da war der Ofen aus. Natürlich hatte Siggi recht. Herzblut ist das vielleicht wichtigste Qualitätsmerkmal. Man sollte nur bei Produzenten kaufen, die ihre Ware zu verteidigen wissen.

Der Soßenaufbau beginnt mit den Zwiebeln (drei mittlere auf etwa zwei Kilo Tomaten), bevorzugt eine milde Sorte, die in feinen Würfeln in einem Topf mit dickem Boden und mit einem üppigen Schuss Olivenöl sautiert wird. Es reicht ein gutes vom Biomarkt, ein Spitzenöl wäre Verschwendung, das eignet sich zum Würzen beim Servieren der Soße. Die Zwiebeln sollten - zusammen mit dem frischen Thymian - sanft garen, bei milder Hitze, bis sie weich sind und alle Süße aus ihnen herausgekitzelt wurde. Das kann 20 bis 30 Minuten dauern.

Wem das zu lang erscheint, der sollte bei Michael Pollan ("Kochen. Eine Naturgeschichte der Transformation") das Kapitel über Eintopfaufbau lesen. Sehr unterhaltsam! Man erfährt, wieso Frauen bessere Sautierer sind als Männer, die immer zu viel Hitze geben, weil sie auch in der Küche glauben, dass mehr PS grundsätzlich das Ergebnis verbessern. Ein Irrtum! Oder man liest von Köchinnen, die heimlich die Herdplatten ihrer männlichen Kollegen drosseln, um die Zwiebeln zu retten. Die florentinische Chefköchin Benedetta Vitali hat ein ganzes Buch über Soffritto geschrieben, es geht darin also quasi um das Anbraten von Zwiebeln.

Nur so viel: Sie hatte ihre Gründe. Die Zwiebeln früh salzen, mit mildem Meersalz, aber nicht zu schüchtern. Wer - je nach Größe eine halbe bis ganze - entkernte und fein gehackte rote Chili mitgart, erzielt eine Schärfe, die subtiler und pointierter ist als die von Pfeffer. Haben die Tomaten viel Säure, kann man bei den Zwiebeln mit einem Teelöffel Zucker schummeln. Kurz die Hitze erhöhen, mit Wermut ablöschen und reduzieren lassen. Martini geht in Ordnung. Noilly Prat ist teurer, aber es lohnt sich (bei der langen Garzeit verkocht der Alkohol). Am Ende die vom Strunk befreiten, gewürfelten Tomaten zugeben, alles auf- und dann auf kleiner Flamme einkochen lassen. "Köcheln" nennt das der Deutsche. Die Franzosen, die sich am Herd immer schon besser auszudrücken wussten, sagen: Die Soße muss lächeln.

Tomatenkerne verstärken das Aroma der Soße. Das ist kein Kochtipp, das ist Wissenschaft

Im Topf reduziert nun ein kernig-stückiges, suppiges Mischmasch in Rot, Grün, Orange, Gelb. Optisch wirkt das rustikal. Es geht viel eleganter. Man könnte die Tomaten überbrühen und häuten, die Kerne entfernen, alles durchs Sieb passieren. Ich mache nichts davon. Auch in der vagen Hoffnung, dass alle Tomatenteile zum Aroma beitragen. Aber wenn ich ehrlich bin, war Faulheit ein wichtigerer Grund. Inzwischen las ich, dass der britische Starkoch Heston Blumenthal Tomatenkerne von Wissenschaftlern auf ihre geschmacklichen Eigenschaften untersuchen ließ. Es kam heraus, dass sie mehr Glutaminsäure enthalten als das Fruchtfleisch, wodurch sie auch das Aroma anderer Zutaten verbessern. Auf die Frage, warum die lästigen Kerne drinbleiben, darf man sich also zurücklehnen und besserwisserisch rufen: Neue Forschungsergebnisse! Universität Reading!

Für zwei Kilo Tomaten ist mit etwa zwei Stunden Köchelzeit zu rechnen, größere Mengen dauern natürlich länger, auch die Tomatensorte und ihr Flüssigkeitsgehalt spielen eine Rolle. Zwischendurch bitte umrühren. Es geht darum, den Punkt abzupassen, an dem die Soße kippt und eindickt; ihre tiefe Fruchtigkeit ist nun noch konzentrierter; sind die Tomaten gut, schmeckt sie wie die Essenz eines Augusttages. Am Ende die Thymianzweige herausfischen und alles noch mal mit Salz abschmecken. Mit gutem Balsamico lässt sich bei der Säurestruktur tricksen. Ich koche manchmal für die letzten 15 Minuten zwei Handvoll frische Basilikumblätter mit. Oder das geschnittene Fruchtfleisch einer im Ofen gegarten Aubergine, auch für die Sämigkeit. Abwandeln geht eh immer, ob mit Knoblauch, Kräutern, Pfeffer, Sardellen oder Öl.

Diese Tomatenbasis eignet sich für fast alles. Als Pastasoße (mit Dosen-Thunfisch!), für Bruschetta oder Fisch, für Mozzarella oder für Salate. Sie lässt sich gut einfrieren. Besser ist es aber, sie heiß in sterile Gläser einzuwecken (Anleitungen gibt es im Netz). Zu Hause sind wir mit 25 Gläsern (500 ml) so gerade übers Jahr gekommen.

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