Kolumne "Eigener Herd":Die unterschätzte Rübe

Radish with green leaves on the old wooden table close-up. (sriba3)

Die Blätter nehmen den Radieschen die Feuchtigkeit. Also schnell entfernen.

(Foto: imago images/sriba3)

Radieschen können mehr, als hübsch auf dem Brotzeitteller zu liegen. Als Salat oder Pesto kommen jetzt Blätter, Schoten und Samen auf den Tisch.

Von Julia Rothhaas

Kurt Tucholsky verbrämte in seinem Gedicht "Feldfrüchte" die "verbockte liebe gute SPD" als "harmlos, doof und leis / wie bescheidene Radieschen: / außen rot und innen weiß". Mit seinem politischen Vergleich mochte Tucholsky recht haben, dabei kann die kleine Knolle durchaus anders: Mit dem Spruch "Radieschen von unten sehen" drohen Verbrecher ihren Kontrahenten mit dem Tod, Herr Fuchs legt in der Kindergeschichte "Die Radieschen-Falle" ein paar besonders saftige Exemplare aus, um Peter Hase und dessen Freunde zu fangen, und 1893 bekam Reichskanzler Graf von Caprivi einen Brief aus Orléans, in dem ihm Radieschen-Samen übersandt wurden - die sich bei näherer Betrachtung allerdings als Schießpulver herausstellten. Das Komplott ist bis heute als "Radieschen-Attentat" bekannt.

Das Radieschen ist also spannender, als man meinen mag, auch wenn es in seiner einfachsten Variante - nämlich roh mit Salz - besonders gut schmeckt. Der englische Spitzenkoch Fergus Henderson empfiehlt, das Radieschen zuvor noch mit einem Stück Butter zu bestreichen. Das mag der Knolle die Kalorien zufügen, die sie eigentlich nicht hat (besteht zu 94 Prozent aus Wasser!), aber es schmeckt halt noch besser.

Jedes Kind kann das Radieschen als kugelrunde rote Knolle identifizieren, dabei gibt es deutlich mehr Varianten: Der sogenannte Eiszapfen sieht aus wie ein weißer Kegel, die Viola ist lila und die Zlata gelb, und der Riese von Aspern, eine alte Sorte aus den Gärten rund um Wien, wird bis zu sechs Zentimeter dick und bleibt dennoch butterzart. In der Botanik wird das Radieschen den Kreuzblütlern zugeordnet, so wie Brokkoli, Blumenkohl und Kohlrabi. Was sie eint, sind die Senfölglykoside, die dem Gemüse die scharfe Note geben; die sekundären Pflanzenstoffe sollen bei Bluthochdruck helfen und entzündungshemmend und antibakteriell wirken.

Aus Radieschenblättern wird Pesto

Dem Hobbygärtner ist das aber egal. Schließlich macht - auch ganz ohne Gesundheitstipps - nichts im Beet schneller Freude, als die tiefgrünen herzförmigen Keimblätter wenige Tage nach dem Setzen der Samen aus der Erde sprießen zu sehen. Womit wir beim wichtigsten Teil wären, den es über das Radieschen zu sagen gibt: Bitte nichts mehr wegwerfen! Auch Blätter, Samen und Schoten schmecken köstlich.

Die Gemüseteile landen heute längst nicht mehr auf dem Kompost, sondern auf den Tellern der Spitzengastronomie. Die Schweizer Kochbuchautorin und Gemüse-Forscherin Esther Kern beschäftigt sich seit Jahren mit den lange vernachlässigten Schalen und Blättern, die sie in ihrem Buch "Leaf to Root" (AT Verlag) als kulinarische Ressource bekannt macht und damit eine kleine Gemüsebewegung ausgelöst hat. Die Radieschenblätter verarbeitet sie etwa zu Pesto mit Ziegenkäse. Dafür werden 2 EL Pinienkerne ohne Fett in einer Pfanne goldbraun geröstet und mit 100 g Radieschenblättern, 50 ml Olivenöl, 15 g geriebenem Ziegenhartkäse und 30 g Ziegenfrischkäse mit dem Stabmixer püriert. Das Pesto mit Pfeffer und Salz abschmecken und zu gekochten Spaghetti geben. Damit die Blätter nicht welk in sich zusammenfallen, sollte man sie rasch von den Knollen entfernen und verarbeiten. Auch Salate und Suppen lassen sich mit den Blättern zubereiten.

Kolumne "Eigener Herd": undefined

Die Radieschen sind im Beet aufgrund zu hoher Temperaturen oder Trockenheit zu schnell in die Höhe geschossen? Nicht so schlimm. Nachdem sich weiße und rosafarbene Blüten gebildet haben, folgen bis zu vier Zentimeter lange grüne Schoten. Ein Schuss Rapsöl, Apfelessig, Birnendicksaft und grobes Meersalz drüber: Fertig ist der ausgefallene Sommersnack. Selbst die Samen sind schmackhaft - gemeinsam mit roh marinierten Schoten zu gegartem Zander oder, so wie im Restaurant Essigbrätlein in Nürnberg, wo sie in einer Mischung aus Wasser, Zitronensaft und Zucker 40 Minuten lang gekocht und anschließend mit Zitronensaft und Salz abgeschmeckt werden. Die Zeiten des bescheidenen Radieschens sind eben vorbei.

Zur SZ-Startseite
Mid section of vintner examining wine model released Symbolfoto property released PUBLICATIONxINx

SZ PlusWeinbau
:Der liebste Sommerwein der Deutschen

Obwohl er aus einer recht neutralen Traube entsteht, lieben die Deutschen Lugana, den leichten Wein vom Gardasee. Woher kommt der Hype? Auf Spurensuche in Italien.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: