Süddeutsche Zeitung

Essen & Trinken:Miso? Weshalb? Warum?

Lesezeit: 6 min

Misopaste scheint in der Küche immer wichtiger zu werden. Sie taucht auf jeder zweiten Speisekarte auf, alle Köche reden von ihr - doch kaum einer weiß, wie man damit kocht.

Von Malte Härtig

Der Autor ist ausgebildeter Spitzenkoch und hat in Philosophie über die japanische Esskultur promoviert. Ihn beschäftigt die Frage, warum Japans Kultur auf den Westen solche Faszination ausübt. Gerade ist sein Buch "Kaiseki - die Weisheit der japanischen Küche" erschienen, in dem es um die Tradition der streng jahreszeitlich ausgerichteten Kaiseki-Menüs geht.

Was macht man eigentlich aus Miso?", fragte mich neulich ein kulinarisch interessierter Kollege. Unter ambitionierteren Köchen wird Miso gerade noch heißer gehandelt als Dashi (ein Sud aus Bonito und Algen) oder Ikijime, die japanische Kunst, einen Fisch zu töten. Von Miso schwärmen nun auch Köche, die mit Japan gar nichts zu tun haben. Speisekarten strotzen neuerdings vor mit Miso gebeiztem Fleisch, Fisch oder Gemüse. Kein Wunder also, dass sich immer mehr Menschen für diese "Wunderpaste" interessieren, die meist aus zersetztem Reis oder zersetzten Bohnen besteht und äußerlich an veganen Brotaufstrich erinnert. In einem Anflug von Euphorie also hatte der Kollege sich mit den unterschiedlichsten Misos eingedeckt. Nun standen sie im Kühlschrank und erinnerten ihn an die Fragen: Ist Miso bloß ein Trend, oder liegt darin tatsächlich Potenzial für unsere Küche? Und wenn ja, wie kocht man nur damit?

Ich konnte seine Mischung aus Begeisterung und Ratlosigkeit verstehen. Genauso erging es mir auch nach meinen ersten Begegnungen mit Miso, und ein bisschen hat sich das Rätselhafte um diese Paste bis heute gehalten. Die komplexen geschmacklichen Ergebnisse, die man mit Miso erzielt, können verblüffen, zugleich ermuntert es zur Einfachheit und zur Reduktion auf das Wesentliche. Wie geht das zusammen?

Es war vor ein paar Jahren in Osaka, der quirligen Hafenstadt Japans. Zwischen all dem Grau der Bürotürme blieb ich vor einem Laden stehen, der - zu großen Kegeln geformt - ausschließlich Misos in seiner Auslage anbot. Die Farben der Pasten reichten von hellem Gelb bis zu fast schwarzem Braun. Manche waren stückig, fast schien man einzelne, wie aufgedunsene Körner darin zu sehen. Andere waren komplett homogen. Die Auslage erinnerte entfernt an kunstvoll drapiertes Eis in einer Gelateria, nur nicht so farbenfroh. Und nicht süß, sondern sehr, sehr salzig, wie ich zu Hause feststellen sollte. Ich war gerade in Japan angekommen, um für meine Promotion die Esskultur zu erforschen, kannte weder die Sprache noch das Miso gut und hatte einfach mal einige Sorten zusammengestellt, um sie in meiner Küche zu vergleichen.

Und nun? Sie schmeckten interessant. Und ja, durchaus unterschiedlich. Aber am Ende blieben sie für mich, abgesehen von ihrer scharfen Salzigkeit, ungreifbar.

Auch mein Kühlschrank war nun voller Pasten, die ihrer weiteren Verwendung harrten. Doch ich gab nicht auf. Damals wohnte ich in Kyoto, Ort der traditionellen Künste und des Handwerks, der feinen Küche und der Teezeremonie. Ein amerikanischer Koch nahm mich mit zu einer Misoproduzentin. Sie zeigte uns helles Miso, bestehend aus zwei Teilen Reis und einem Teil Sojabohnen. Dann Akamiso, wörtlich rotes Miso, bestehend aus einem Teil Reis und zwei Teilen Bohnen. Und schließlich Hatchomiso, das zu hundert Prozent aus Sojabohnen besteht und drei Jahre gereift war, was aber kaum jemand machen würde, wie die Miso-Frau damals erklärte, da man sehr lange auf gebundenem Kapital sitzen und am Ende niemand den Preis dafür zahlen würde.

Jede Sorte eröffnet neue kulinarische Möglichkeiten. Man setzt mit dieser Paste also einen ersten Schritt in eine schier unendliche Welt

Zunächst war ich erstaunt über die Unterschiede. Ihr Hatchomiso war sehr salzig, lakritzig und auf eine unbekannte Art sauer, also intensiv im Geschmack sowie hart in der Konsistenz. Dagegen war das weiße Miso mild, süßlich und mürbe und von hellgelber Farbe. Dessen lokale Kyotoer Variante, Saikyo Miso, ist sogar so süß, dass man sie für Desserts einsetzt. Für Eiscreme etwa. Im Kyotoer Kaiseki-Restaurant "Kikunoi" aß ich mal ein Gericht mit Feige und diesem Miso. Süß und salzig tauschten darin die Seiten, der Chefkoch hatte die Feige gemüsig gehalten, sie in einem Fond aus geräucherten Thunfischspänen, dem süßen Saikyo-Miso und einer Messerspitze Senf eingelegt und sie unter einem Saucenmantel aus denselben Zutaten serviert - herrlich!

Dunkle Misosorten kommen mir dagegen viel eigener vor. Als Suppe serviert zeigen sie auch mal muffige Noten. Ihr Reichtum an dunklen, kräftigen Aromen ist nicht unbedingt leicht zu handhaben. Am schönsten finde ich sie als Hauptbestandteil einer Paste mit Sake (Reiswein) und Mirin (süßer Reiswein), die man auf gegrillte Auberginen oder Tofustücke streicht, gern erneut kurz grillt und heiß oder kalt essen kann.

Die Misoproduzentin zeigte uns damals noch das Herzstück ihrer Arbeit: die Kammer, in welcher der Reis reift und fermentiert, nachdem er gekocht und mit einem sehr wichtigen Akteur der japanischen Küche geimpft wurde: einem Schimmelpilz mit dem japanischen Namen Komé Koji (Aspergillus oryzae). Dieser Pilz kann die Stärke aus dem Reis und die Proteine aus den Bohnen zersetzen und in umamireiche, also herzhafte, Paste verwandeln, das Miso. Stabilisiert wird sie durch Salz. Wobei das zarte, weich-cremige weiße Miso gekühlt nur zwei Wochen haltbar sei, so erklärte die Misoproduzentin, und die dunklen Typen mit wenig Reisanteil Jahre lagern könnten.

Mit dem Koji-Pilz wird die Sache äußerst vielfältig. Denn er zersetzt nicht nur Reis und Bohnen, auch andere Getreide wie Gerste, Weizen, Roggen oder Buchweizen lassen sich für Miso verwenden, dazu verschiedenste Hülsenfrüchte, seien es Adzukibohnen oder Linsen, ja selbst Gemüse. Thomas Vilgis etwa, Physiker und Leiter der Foodforschungsgruppe des Max-Planck-Instituts in Mainz, hat mit Kartoffeln experimentiert. Für ihn ist der Koji ein Universalferment. "Es ist diesem Pilz fast egal, was seine Grundlage ist", so Vilgis. Er wandle Proteine in Aminosäuren um, lege Glutamat aus Hülsenfrüchten frei, mache aus Stärke Zucker und bringe aus diesem auf enzymatische Weise röstartige Aromen hervor.

Je nach Wahl der Grundzutaten, ihren Anteilen und ihrer Reifedauer entstehen in oft über Jahren angepassten und optimierten Prozessen ganz unterschiedliche Misos. Jedes dieser Misos hat andere kulinarische Einsatzmöglichkeiten. Man setzt mit dieser Paste im Kühlschrank also einen ersten Schritt in eine schier unendliche Welt.

Aufgrund der Fähigkeiten des Koji kann man mit Miso toll marinieren. Fleisch und insbesondere Fisch wird so auf eine feine Art zart und mürbe und bleibt zugleich fest und saftig. Im Restaurant "Kikunoi" in Kyoto wurde jeden Mittag ein Stück Fisch serviert, das erst länger in Gaze und weißes Miso gehüllt und dann am Spieß gegrillt wurde. Die einzelnen, lamellenartigen Segmente fielen im Mund unter sanftem Druck auseinander, das Fleisch war in seiner Struktur klarer, ohne trocken zu sein. Im Mund sammelte sich zarter Fischfond, getragen von süßen Grilltönen der Misomarinade.

Für den unverstellten Blick auf die Dinge scheint die Reduktion auf das Wesentliche wichtig zu sein

Die Zubereitung - hier wären wir bei ersten Tipps zur Verwendung von Miso - ist denkbar einfach: Fisch oder Fleisch ringsum mit Miso bedecken, ein bis zwei Tage ruhen lassen, dann wieder freilegen und am besten grillen. Diese Technik heißt "Misotsuke" und lässt sich auch auf Eigelb oder Gemüse anwenden. Eigelb wird im Misobett durchscheinend und wachsartig und lässt sich als umami-salziges Topping über Reis reiben. Gurken werden unter der Misodecke klein, schrumpelig und ebenfalls leicht durchscheinend. Dünn aufgeschnitten sind sie ein feiner Snack und je nach verwendeter Misosorte mal süßer oder herber. Bleibt noch, Miso als Würze und Geschmacksverstärker einzusetzen, in Salatdressings und Eintöpfen, so wie früher das Maggi. Man kann Miso mit Butter mischen und aufs Steak legen oder unter Spaghetti rühren. Damals in Kyoto habe ich es auch mal auf dicke japanische Toastscheiben gestrichen. Irgendwie musste ich meine Kühlschrankvorräte ja loswerden. Das war je nach Miso mehr oder weniger spannend, schmeckte mal mehr wie die englische Hefecreme Marmite, mal wie süßsalzige Streichcreme.

Die größte Entdeckung offenbarte mir das Miso aber erst vor Kurzem. Ich war in Berlin für eine Lesung, die Veranstalter wollten die Gäste mit Misosuppe begrüßen, also etwas sehr Einfachem. Ich brachte ihnen ein weißes Miso aus Berlins erster Fermentierwerkstatt mit, die im vergangenen Jahr in Moabit eröffnet hat. Als sie mir ihr Rezept verrieten, wurde ich kurz nervös. Es hatte nur zwei Zutaten: Wasser und Miso. Bisher hatte ich Misosuppe immer mit Dashi gekocht. Wie würde es nur mit Wasser schmecken? Doch ich ließ mich darauf ein. Bereits als wir die Suppe abschmeckten, erkannte ich, dass der wichtigste Zugang zu Miso die Qualität ist. Jenes war handwerklich sehr gut, nicht pasteurisiert und aus Bio-Zutaten. Es offenbarte mir in seinem Geschmack die gesamte Komplexität des Produkts. Für den unverstellten Blick auf die Dinge scheint die Reduktion auf das Wesentliche wichtig zu sein. Dies waren hier Wasser und eventuell eine Prise Salz.

Was macht man also aus dieser rätselhaften Paste? Wenn sie sehr gut ist: Misosuppe. Das tun die Japaner übrigens auch, traditionell bereits zum Frühstück. Die schönsten Dinge können ganz einfach sein.

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Quelle:
SZ vom 26.01.2019
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