Ernährungsreport 2017:Volk der Besseresser

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Gemüse steht auf deutschen Einkaufslisten nicht an der ersten Stelle. (Bearbeitung SZ)

(Foto: imago/Westend61)

Wenn die Deutschen nach ihren Ernährungsgewohnheiten gefragt werden, sagen sie: Bio ist super, eine artgerechte Tierhaltung auch, und wir würden sogar mehr Geld ausgeben. Die Realität sieht anders aus.

Von Christian Endt, Berlin

Der Verbraucher ist ein von inneren Widersprüchen geplagtes Wesen. Zumindest der Verbraucher, wie ihn das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft in seinem Bericht "Deutschland, wie es isst" beschreibt. Wobei das am Dienstag vorgestellte Papier eigentlich "Deutschland, wie es sich selbst beim Essen gerne sähe" heißen müsste. Das wäre zwar ein arg umständlicher Titel, würde aber besser zusammenfassen, was drinsteht.

Der Bericht beruht nämlich auf einer Umfrage des Forsa-Instituts unter tausend Deutschen. Er beschreibt also nicht die tatsächlichen Ernährungsgewohnheiten, sondern vielmehr das, was die Leute am Telefon über selbige erzählen. Gelegentlich geht es dabei mehr um Wunsch als um Wirklichkeit.

87 Prozent der Deutschen "wünschen sich eine bessere Tierhaltung", heißt es da. Das sei auch die wichtigste Erwartung an die Landwirte, noch vor Qualität, fairer Bezahlung der Mitarbeiter oder Umweltschutz. Zugleich kaufen die Menschen häufiger beim Discounter - der Anteil stieg innerhalb von einem Jahr von 35 auf 43 Prozent - und seltener im Biomarkt. Wobei es Biofleisch natürlich längst auch bei Aldi und Lidl zu kaufen gibt, zumindest dem Namen nach. Interessant ist die Altersverteilung der Bio-Fans: Es sind die unter 18-Jährigen und die Senioren ab 60, die mit zehn Prozent am häufigsten in entsprechende Geschäfte gehen.

Sogar 88 Prozent wären laut der Umfrage bereit, für artgerechte Tierhaltung mehr Geld auszugeben. Das ist ein Prozent mehr als die, denen eine bessere Haltung ein Anliegen ist. Dieses Detail bedeutet entweder, dass es Leute gibt, denen Tiere egal sind, die aber trotzdem mehr für sie zahlen wollen - oder es zeigt die Messungenauigkeiten solcher Umfragen. Jedenfalls nennt der Ernährungsreport einen Preis, den die Verbraucher durchschnittlich für Fleisch aus tiergerechter Haltung zu bezahlen bereit seien: 13,60 Euro je Kilogramm. Das kann man vergleichen mit dem, was die Konsumenten tatsächlich be ihren Einkäufen investieren. Die Preisdaten gibt ebenfalls das Landwirtschaftsministerium heraus. Ein Kilo Rinderbraten kostete 2014 demnach 9,09 Euro, ein Kilo gefrorenes Brathähnchen 2,41 Euro. Da besteht also zwischen Wunsch und Wirklichkeit eine gewisse Lücke.

Fleischgerichte essen die Deutschen mit Abstand am liebsten

"Der Verbraucher muss zeigen, dass er bereit ist, das, was wir hier im Trockenschwimmbecken erfahren haben, auch an der Ladentheke umzusetzen", sagte Minister Christian Schmidt (CSU) bei der Vorstellung der Umfrage. Zumindest sind die Fleischpreise zuletzt stärker gestiegen als die für Lebensmittel insgesamt.

Wie auch immer es um Tierhaltung und Preise nun bestellt ist: Fleischgerichte essen die Deutschen mit Abstand am liebsten, gefolgt von Nudeln, Gemüse und Fischgerichten. Wobei der Bericht aus Geflügel wie in schlechten Vegetarierwitzen eine eigene Kategorie macht, die nicht zum Fleisch gerechnet wird. Geradezu explodiert ist der Umfrage zufolge die Nachfrage nach Fertiggerichten: Gaben im Vorjahr noch 32 Prozent der Befragten an, diese "gern mal" zu essen, sind es nun plötzlich 41 Prozent. Wie passt das nun zu all den Idealen von der gesunden Ernährung?

"Jeder soll selbst entscheiden, was er zu sich nimmt", sagte Schmidt, "er muss aber auch wissen, was er sich auf den Teller lädt. Was auf der Verpackung draufsteht, muss auch drin sein - und umgekehrt." Schmidt kündigte daher erneut "ein staatliches Tierwohl-Label" an. Praktischerweise hat der Minister die Teilnehmer der von ihm beauftragten Umfrage schon mal fragen lassen, was sie von dieser Idee halten, und 79 Prozent Zustimmung erhalten.

Zu einer besseren Information der Verbraucher gehöre aber auch Ernährungsbildung, was nach Schmidts Vorstellung ein eigenes Schulfach werden soll. Diesen Vorschlag unterstützen sogar 89 Prozent der Befragten. Auch das Essen an den Schulen selbst müsse besser werden, findet Schmidt: "Jedes Spielgerät auf dem Schulhof wird nach Normen überprüft, das Essen in der Schulkantine nicht."

Deutsche stehen seltener am Herd

Drei Viertel der Deutschen sagen von sich, sie würden gerne kochen. Rückläufig ist dabei der Anteil jener, die sich tatsächlich jeden Tag an den Herd stellen: Er sank um zwei Punkte auf nun 39 Prozent. Das ist eine Diskrepanz, die Minister Schmidt auch bei sich selbst feststellt: Auch er koche zwar gerne, sei in der Praxis dann aber doch "mehr auf der Seite der Verbraucher als der Produzenten", was "den Umständen geschuldet" sei. Wer kennt das nicht.

Hoffen lässt die Auswertung nach Altersgruppen: Es sind die jüngsten Teilnehmer der Befragung, die 14- bis 18-Jährigen, die mit 89 Prozent die größte Kochleidenschaft offenbaren. Doch auch die Jugend ist mit den Härten des Alltags konfrontiert. Weniger als die Hälfte gibt an, mindestens dreimal die Woche zu kochen.

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