Ernährung:Mehr als Dosenravioli

Ernährung: Fertigprodukt ist nicht gleich Fertigprodukt. Der Markt der sogenannten Convenience-Artikel hat sich gewandelt.

Fertigprodukt ist nicht gleich Fertigprodukt. Der Markt der sogenannten Convenience-Artikel hat sich gewandelt.

(Foto: imago stock&people)

Sind Fertiggerichte nur was für traurige Gestalten, die vor dem Fernseher sitzend ihr Essen verschlingen? Nicht mehr, sagen Experten - und geben Tipps für Kauf und Zubereitung.

Von Oliver Klasen

Manche denken jetzt vielleicht an traurige Gestalten, ungefähr so, wie sie der Schriftsteller Michel Houllebecq in seinen Romanen beschreibt: Loser-Typen, die sich gehen lassen, intellektuell, kulturell und sozial, die in Joggingbuxe vor dem Fernseher sitzen, alberne Spielshows gucken und dabei ein in der Mikrowelle aufgewärmtes Fertiggericht verschlingen.

41 Prozent der Deutschen sagen: "Ich esse gern mal eine Tiefkühlpizza oder andere Fertigprodukte". Zumindest 41 Prozent der 1000 Bundesbürger, die Meinungsforscher für einen aktuellen Ernährungsreport befragt haben. Das ist ein Anstieg um neun Prozentpunkte innerhalb nur eines Jahres. Klingt nach einer bedenklichen Entwicklung, was das Bundeslandwirtschaftsministerium da veröffentlicht hat.

Es ist eine Entwicklung, die sich auch mit Zahlen von Fachverbänden untermauern lässt. "In den vergangenen sechs Jahren hat sich der Umsatz der Ernährungsindustrie mit Fertiggerichten fast verdreifacht", sagt Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie. Die Konsumenten seien "zunehmend berufstätig, mobil, flexibel, international, vielseitig vernetzt und ständig unter Zeitdruck. Das beeinflusst erheblich ihr Koch- und Essverhalten", so Minhoff.

Aber hieß es nicht, die Menschen hierzulande nähmen das Essen immer wichtiger? Hieß es nicht, sie seien endlich bereit, mehr Geld auszugeben und stärker auf Qualität zu achten? Hieß es nicht, Bio-Produkte und regional erzeugte Waren lägen im Trend? Müssen womöglich all die Aussagen, die wir in den vergangenen Jahren über die Deutschen und ihr Essen gehört haben, revidiert werden?

"Nein", sagt der Soziologe Daniel Kofahl, der an den Universitäten in Bielefeld und Wien lehrt und seit Jahren über die Ernährungskultur in Deutschland forscht. "Die Daten aus dem Ernährungsreport deuten darauf hin, dass die Deutschen unverkrampfter als früher mit dem Thema Fertigprodukte umgehen. Dass 42 Prozent der Befragten sagen, sie nutzen solche Produkte, heißt ja nicht, dass sie sich ausschließlich davon ernähren", so der Wissenschaftler. Selbst in einem Land wie Frankreich, das großen Wert auf seine Esskultur lege, seien sogenannte Convenience-Produkte, die einfach zubereitet werden können, nicht so verpönt wie in Deutschland. Hierzulande habe lange Zeit "ein merkwürdiges kulinarisches Anspruchsdenken" geherrscht, dem zufolge ein Essen nur dann wertvoll sei, wenn dafür stundenlang in der Küche gestanden wurde.

Inzwischen, so Kofahl, verlangten die Verbraucher auch bei Fertigprodukten eher höherwertige Ware. Die gestiegenen Ansprüche an das Essen insgesamt wirkten sich eben auch auf diesen Bereich aus - ein Trend, den auch die Lebensmittelindustrie spürt. "Die Produkte sollen nicht nur gut schmecken, sondern immer mehr auch frisch, gesund und nachhaltig sein. Für 52 Prozent ist Qualität das entscheidende Einkaufskriterium gegenüber dem Preis", sagt Verbandschef Minhoff und stützt sich dabei auf Zahlen der Marktforschungsgesellschaft GfK.

Spitzenkoch Ralf Zacherl ist da skeptisch. Zwar gebe auf dem Markt einzelne, sehr hochwertige Convenience-Produkte, wie etwa frische Pasta aus kleinen Manufakturen oder fertig zubereitete Suppen in Bio-Qualität, diese seien aber nicht repräsentativ für das, was in deutschen Supermärkten standardmäßig angeboten werde. "Ich bin überhaupt kein Freund von Fertigprodukten. In 90 Prozent der Fälle werden die Verbraucher getäuscht und müssen für ein schlechtes Produkt relativ viel Geld ausgeben. Auf der Packung sehe ich zum Beispiel viel buntes Gemüse und andere frische, gesunde Zutaten, wenn ich dann aber auf die Liste der Inhaltsstoffe blicke, entdecke ich, dass Geschmacksverstärker und viel Zucker beigemischt sind", sagt Zacherl, der mit Kollegen in Berlin ein Restaurant betreibt, Kochkurse gibt und in der Sendung "Masterchef" im TV-Sender Sky zu sehen ist.

Je kürzer die Zutatenliste, desto besser

Einig sind sich die meisten Experten, dass der Markt der Fertig- und Convenience-Artikel vielfältiger geworden ist. "Bei Fertigessen denken immer noch viele an Klassiker wie Dosenravioli oder Miracoli. Aber das Spektrum der Produkte ist viel breiter geworden", sagt Andrea Danitschek, Ernährungswissenschaftlerin bei der Verbraucherzentrale Bayern. Außerdem gebe es Verwirrung, weil die Begriffe Fast-Food, Fertigprodukte, Tiefkühlkost oder Convenience-Food oft synonym verwendet würden. "Unter Fast-Food verstehen wir zum Beispiel auch den Pulled-Pork-Burger von einem Foodtruck, der unter Umständen aus sehr hochwertigen Produkten bestehen kann", sagt Esskultur-Experte Kofahl. Zudem bedeute Fast-Food nur, dass die Speisen schnell zubereitet werden können, nicht unbedingt, dass sie auch schnell gegessen werden müssen.

Wie aber erkenne ich als Verbraucher im Supermarkt, ob ein Fertig-Produkt hochwertig oder nicht? "Je kürzer die Zutatenliste, desto besser", sagt Verbraucherschützerin Danitschek. Sogenannte Monoprodukte wie reine Erbsen oder reine Bohnen, die nach der Ernte direkt eingefroren würden, seien zudem meist gesünder als fertig gewürzte Komplettessen. Hilfreich sei es auch, auf möglichst konkrete Bezeichnungen zu achten. Die Zutat "Mozzarella" bei einer Tiefkühlpizza sei hochwertiger als "Milcherzeugnis". Ein schlechtes Zeichen seien Geschmacksverstärker wie Glutamat und Hefeextrakt sowie Konservierungs- und Farbstoffe. "In diesem Fall will der Hersteller etwas vortäuschen, was das Produkt selbst nicht hergibt", sagt Fernsehkoch Zacherl.

Selbst das oft gelobte Tiefkühlgemüse oder etwa vorgeschälte Rote Beete aus dem Kühlregal, wie sie in vielen Supermärkten angeboten werden, sieht Zacherl eher kritisch. "Ich hab da wenig gute Erfahrungen gemacht. Blattspinat aus dem Kühlregal schmeckt oft wässrig und die Rote Beete muss man mit viel Balsamico bearbeiten, um überhaupt einen Geschmack herauszuholen. Das macht keinen Spaß im Mund". Trotzdem sei es möglich, einige Fertigprodukte zu "pimpen", wie Zacherl sagt. Wenn schon Tiefkühlpizza, dann lieber eine Margherita, die man mit frischen Tomaten oder Sardellen belegen könne. Auch eine vorgefertigte Kürbissuppe lasse sich mit steierischem Kernöl und frischen Kräutern leicht aufwerten.

"Man muss nicht jeden Tag wie ein Gourmet essen", sagt Ernährungssoziologe Kofahl, der Fertigprodukte als Ergänzung des übrigen Speiseplans und Entlastung für gestresste Familien sieht.

Profikoch Zacherl widerspricht da ein bisschen und erzählt eine kleine Geschichte, als er neulich spät nach Hause kam und einen fast leeren Kühlschrank vorgefunden habe. "Ich habe einfach ein paar Zwiebeln bei 140 Grad eine halbe Stunde im Ofen geschmort, Pasta gekocht, Knoblauch angeröstet, einen kleinen Schuss Honig dazu, ein Spritzer Tabasco, Salz, Pfeffer und die fertigen Nudeln anschließend darin geschwenkt. Drei Zutaten, vier Gewürze, fertig. Ich konnte nebenher sogar E-Mails checken".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: