Ernährung:Kind, schmeckt's dir?

Kein Fisch, kein Fleisch: Essenswünsche von Kindern tolerieren

Begeisterung in Kindergesichtern sieht anders aus.

(Foto: dpa-tmn)

Kinder für gesundes Essen zu begeistern, das ist eine Kunst für sich. Am wichtigsten sind Rituale wie das gemeinsame Kochen in der Familie. Wer das nicht schafft, kann sich Hilfe vom Profi holen.

Von Petra Steinberger

Es ist Mittwochabend, nicht der beste Tag der Woche. Stau, die unfreundliche Kassiererin an der überfüllten Supermarktkasse und ein unverschämt nasskalter Abend wirken sich kaum positiv auf die Befindlichkeit aus. Daheim aber haben die zwei Mädels sämtliche Zutaten für ein grandioses Vier-Gänge-Menü aufgebaut: Basilikum-Weintrauben-Pfeffer-Salat. Dazu (es gibt bei derartigen Menüs niemals ein Danach) leicht bräunliche Bananen-Eiswürfel-Matsche, Nutella-Pfannkuchen mit Grün (Wasabi?) und selbst gepresste Limetten-Limonade mit drei Esslöffeln Fleur de Sel. Nachspeise: Was mit Schokolade, Überraschung, Mama, noch nicht schaun. Man muss gar nicht schaun, Puderzucker, Kakao und bunte Riebeln sind bereits als Deko über Tisch und Küche verteilt, immerhin gleichmäßig.

Nicht jetzt. Wünscht man verzweifelt. Die eigene Idee fürs Abendessen bewegte sich im Umfeld von Salamibrot mit Vitaminbeilage (alte Tomaten und Schrumpelgurke), quick and dirty. Hausaufgaben müssen gemacht, Wäsche muss aufgehängt werden, E-Mails sind zu bearbeiten, den Zustand der Küche nach diesem opulenten Diner verdrängt man noch. Die Mädels müssen ins Bett, morgen gibt es Gequengel beim Aufstehen, wieso überhaupt schlafen alle anderen Kinder schon um acht, werden die gefesselt?

Nein, heute kein Menü mehr. Dafür am Wochenende, fest versprochen in der perfiden Hoffnung, dass den Spatzenhirnen bis dahin der Gedanke entflogen sei.

"Kinder wollen auf keinen Fall passiv sein"

Und das war es dann wieder mal mit der aufkeimenden Begeisterung für Kochen und Essen und Genießen, mit der Lust am Spielen und Ausprobieren, die ja so wichtig ist. Die kindliche Kreativität wurde mal wieder abgewürgt, weil die Eltern zu müde waren und, ganz ehrlich, keine Lust mehr hatten auf ganz eigensinnige Geschmackserlebnisse. Und man weiß ja, wenn sich das schlechte Gewissen meldet: Die Eltern sind damit immer auch verantwortlich für spätere Essstörungen, Magersucht/Fettsucht, für ein grundsätzlich negatives Körpergefühl der Kinder.

Na ja, ganz so schlimm wird es wohl nicht. Aber, sagt Thomas Wörz, Ernährungsberater und Psychotherapeut an der Universität Salzburg, beim Essen geht es immer auch sehr viel um Wertschätzung - und um das Erleben der eigenen Kompetenz: "Kinder wollen eingebunden werden. Kinder sind neugierig, sie wollen auf keinen Fall passiv sein." Damit müsse man arbeiten, sagt Wörz, das müsse man anerkennen, schon bei der Vorbereitung. "Gehen Sie zusammen einkaufen, lassen Sie die Kinder zwei, drei Obst- oder Gemüsesorten aussuchen, die Sie dann zusammen kochen." Wobei das, was da ausgesucht werden wird, nicht immer und ausschließlich gesund sein muss. Es geht vielmehr um das große "Eher".

Mit den Kindern und dem korrekten Essen ist das so eine Sache: Ein Gesundheitsbericht nach dem anderen lamentiert, dass schon Achtjährige immer dicker werden, immer unbeweglicher, immer unsportlicher. Dass sie zu viel vor dem Fernseher sitzen und vor allerlei digitalem Krimskrams, anstatt wie früher glücklich im Freien herumzulaufen. Zwar hat Deutschland in der letzten Jugendgesundheitsstudie "Health Behaviour in School-aged Children" (HBSC) der Weltbank noch relativ gut abgeschnitten. Mit etwas unter zehn Prozent an übergewichtigen Kindern liegt es im unteren Drittel; Spitzenreiter bei dicken Kindern sind die USA mit rund 30 Prozent, dann folgen mit einigem Abstand Griechenland, Irland, Kanada und Portugal. Aber der Trend geht allgemein nach oben. Und falsche Ernährung scheint, zusammen mit anderen Faktoren wie zu starker Medienkonsum, körperliche Trägheit und wachsender Stress, die Hauptursache für Übergewicht zu sein.

Gourmet-Kochkurse für Fünfjährige

Es geht ums Vorleben in der Familie, sagt Wörz, um gemeinsame Erfahrungen, um Rituale beim Essen. Aber was, wenn man sich die Zeit immer weniger nehmen kann, weil beispielsweise beide Eltern arbeiten? Oder wenn die Eltern völlig hilflos sind in der Küche? Dann kann man immer noch professionelle Hilfe suchen, die sogar Spaß macht. Ab mit den Kindern in eine der kulinarischen Institute, wie sie in den letzten Jahren bundesweit aus dem Boden schießen. "Die kleinen Kochmützen" in Hamburg oder die "Kinderküche" in München haben großen Zulauf, dort kann man Geburtstage feiern oder fünfjährigen Zwergen die Geheimnisse der italienischen Küche beibringen.

In New York ist man mal wieder schon um einiges weiter, da versuchen sich erfahrene Mini-Chefs längst am perfekten Sushi, an Dim Sum, Baba Ghanoush oder ost-malaysischen Grillspezialitäten. In den dortigen Summer-Camps wird zunehmend kein Essen mehr serviert; es dreht sich alles um "Cuisine". Eli aus Baltimore, eines dieser amerikanischen Gourmet-Kids, hat sogar einen eigenen Blog, "Adventures of a Koodie", also "Abenteuer eines Kinder-Feinschmeckers". Auf dem veröffentlicht er eigene Restaurantkritiken, seit er acht ist.

Biodelikatessen und Chips

Grundsätzlich seien solche Koch- oder Essschulen nicht schlecht, sagt Wörz - aber nur, wenn man das dort Erfahrene dann auch zu Hause umsetze. Sonst verpuffe die Wirkung, dann blieben solche Erfahrungen eben nur: die Auslagerung von etwas, das Kinder eigentlich durch und gemeinsam mit ihren Eltern lernen sollten. Denn Kinder machen das, was ihnen vorgelebt wird: Sie spiegeln elterliches Verhalten - im Guten wie im Schlechten. Wer also glaubt, seine Kinder für Salat und Spinat begeistern zu können, während er vor ihren Augen ein BTL-Sandwich verdrückt, wer währenddessen Zeitung liest oder SMS schreibt, der muss sich nicht wundern, wenn sich die nächste Generation entsprechend verhält - eine Binsenwahrheit, die viele dennoch ignorieren.

Die zwei Mädels daheim haben sowieso längst eigene Vorstellungen vom guten Leben. Begeistern sich, wenn es denn kein mehrgängiges Dinner sein darf, eben an Wiener Würstchen, Nutella und Erdnussbutter an Brot sowie mit einem Haufen Obst, immerhin. Fleisch? Geht gerade nicht so, weil da ja die Tiere sterben, Mama!!!, wobei Würstchen seltsamerweise aus der No-go-Skala rausfallen. In solchen Momenten meldet sich das eigene schlechte Gewissen, weil man sicher ist, dass sämtliche Kinder in der Nachbarschaft nur ausgewählte Biodelikatessen vorgesetzt bekommen, welche sie mit Serviette auf dem Schoß (nein, nicht auf dem Kopf oder zwischen den Zehen) langsam und bewusst verspeisen. Manchmal kommen die Gut-Esser-Kinder auch zu Besuch, wo sie dann Krapfen und Schokocroissants und Gummibärchen bekommen. Ein Affront für perfekte Eltern. Zerstört ja alles, wofür sie jahrelang gearbeitet haben. Wobei der Ernährungsberater Thomas Wörz allerdings gleich die Einschränkung macht, dass Verbote Quatsch sind. Bringen nichts, machen Süßigkeiten oder Chips nur noch interessanter.

Ist natürlich alles keine Entschuldigung, uns fehlt doch die Zeit, die Zeit. Dabei wäre es so schön, mal in Ruhe zuzuhören, was den anderen so passiert ist an diesem Tag. Und nebenbei die merkwürdigen Speisen zu kosten, die unsere zwei Küchenkünstlerinnen gerade erfunden haben. Das ist nachhaltiger als jeder Kinder-Gourmet-Kurs.

Kinderkochbücher: eine unrepräsentative Auswahl

Ch. Matthai, Th. Wörz: Der hungrige Schüler. Auswege aus der Ernährungsfalle. Brandtstätter 2013. 224 Seiten. 29,90 Euro Keine Rezepte. Dafür Einstieg für Sorgeneltern. Und deren Beruhigung.

Phaidon by Edel: Der Silberlöffel für Kinder - Lieblingsrezepte aus Italien. Edel 2012, 99 Seiten, 19,95 Euro.Wie gesagt: Unsere Lieblinge. Taugen ewig.

Cora Mini und Hubertus Schüler (Fotos): Gourmini. Liebevoll kochen für die Kleinsten. Becker Jöst Volk, 2013. 140 Seiten, 19,95 Euro. Für Eltern mit viel Zeit und, yepp, Speiseringen (für Insider).

Cosa Kitchen: Mit Essen spielt man nicht. Bastelkochbuch. Fischer 2013, 142 Seiten, 14,90 Euro. Endlich: Spaß für junge Wilde. Unser Top-Lecker-Ekel-Favorit: Pastagrütze!

Die 3 vom Kramerhof: Kinderleicht kochen für die ganze Familie. Zabert Sandmann 2010. 152 Seiten, 19,95 Euro. Deftige Basics, mitsamt Boygroup.

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