Bangladesch, April 2013: Das Rana-Plaza-Gebäude, ein Komplex mit mehreren Textilfabriken, stürzt ein. 1127 Menschen sterben, fast 2500 werden verletzt. Auf das Unglück folgt eine Debatte über die Produktionsbedingungen für billige Kleidung. Ketten wie H&M, Primark und Hollister werden plötzlich kritisiert, die Herkunftsangabe Made in Bangladesh wird zum Label für Ausbeutung.
Ein halbes Jahr später ist der große Klamottenaufschrei wieder verstummt. Was bleibt, sind die Bilder des Unglücks, die damals durch die Presse gingen. Der Künstler Manu Washaus hat solche Fotos auf Sweatshirts drucken lassen. Erst bei genauerem Hinsehen geben sie ihre politische Aussage preis. Plötzlich entpuppt sich eine beige Farbfläche als Schutt. Und beim dritten oder vierten Blick fügen sich die gelben, orangen und türkisen Tupfer zu angebildeten Suchtrupps und Angehörigen zusammen, die in den Trümmern des Fabrikgebäudes nach Überlebenden suchen.
Katastrophenbilder im Überfluss
Täglich gibt es neue Bilder und Informationen von Katastrophen oder Kriegen, die die Menschen nicht mehr richtig einschätzen können. "Mir ist aufgefallen, dass diese Pressebilder in den letzten Jahren immer schöner, immer ästhetischer geworden sind - und dennoch viel zeigen." Gerade das Unglück in Bangladesch hat für ihn besonders emotionale Fotos hervorgebracht. Ein Beispiel dafür: Das Bild "The Final Embrace" der Fotografin Taslima Ahkter.
Es zeigt zwei beim Fabrikeinsturz ums Leben gekommene Menschen, einen Mann und eine Frau, die sich in den Armen halten. "Es sieht aus wie die Geschichte von Romeo und Julia", sagt Washaus, "Alles liegt in Trümmern, aber die Liebe hat sich durchgesetzt." Doch was auf dem Bild auf eine schöne Art dramatisch wirke, sei echt. "Das sind tatsächlich zwei Menschen - und sie sind tot!"
Aufgrund solcher Bilder entschied sich der Künstler dafür, das Ereignis in Bangladesch für sein Kunstprojekt zu verwenden. Mit den Sweatshirts vereinte er zwei Seiten von Schönheit: Er wollte die Nachrichtenbilder, die immer ästhetischer werden, mit Mode zusammenbringen. Die sei ohnehin immer schön, werde dafür aber unter teils schweren Bedingungen produziert. Washaus entschied sich dabei nicht etwa für einen Fair-Trade-Hersteller - sondern fragte bei einem Sweatshirtproduzenten in der chinesischen Stadt Shenzhen an. In der Gegend hat auch Apple-Zulieferer Foxconn seinen Sitz.
Kritik made in China
Vier Monate dauerte es, bis die Pullover fertiggestellt wurden - obwohl es sich nur um 15 Stück handelte. "Der Hersteller wollte solche Bilder zunächst nicht drucken, ich musste mit vielen E-Mails daran arbeiten", sagt Washaus.
Über die Bedingungen in der chinesischen Fabrik weiß er nichts. Er kennt nur Videos von engen Produktionshallen. Doch selbst das sei für ihn nicht sicher, so Washaus. Virtuelle Kommunikation und die Praxis, Auftraggeber in falsche Hallen zu führen, ließen einen nicht mehr wissen, woher die Produkte tatsächlich stammen. Wäre er Modedesigner, hätte Washaus genug weitere Ideen für Sweatshirts. "Aber dieser Faszination kann ich nicht nachgehen, weil ich es nicht für richtig halte", sagt er.
Washaus ist Künstler. Das Projekt mit den Sweatshirts ist der zweite Teil seiner Reihe "Study of the Possible", für die er Alltagsgegenstände zu Kunst mit politischer Aussage machen möchte. Im ersten Teil beauftragte er chinesische Produzenten von Ölbildern, die Ergebnisse einer Google-Bildersuche für den Begriff "Tiananmen Square" abzumalen. Bereits von diesem Projekt ist er Verhandlungen mit chinesischen Herstellern gewöhnt. Die Korrespondenz ließ er damals in das Kunstprojekt einfließen und dokumentierte E-Mails und Telefonate.
Verdrängung als Schutzmechanismus
Insgeheim seien sich die Menschen in westlichen Ländern bewusst darüber, dass an sehr billiger Kleidung Blut klebe. "Aber wir vergessen das, damit wir überhaupt noch ruhig schlafen können", sagt Washaus. Tatsächlich ist die öffentliche Debatte über die Produktionsbedingungen in Ländern wie Bangladesch oder China inzwischen verebbt. Offensichtlich hat sie den Marken, die dort produzieren lassen, nicht einmal geschadet. H&M konnte etwa seinen Umsatz in den vergangenen neun Monaten deutlich steigern und trotz etlicher Versprechungen nach der Katastrophe endeten die Entschädigungsverhandlungen mancher westlicher Modekonzerne im September ohne Beschluss.
"Auf den ersten Blick sind die Pullover sehr schön, aber wenn man sie trägt, dann wird man dieses Ereignis nicht los", sagt Washaus über sein Kunstprojekt, "Anders als bei anderer Kleidung, für die man Komplimente bekommt, könnte man sich der Diskussion mit diesen Sweatshirts nicht entziehen - falls man sie tragen würde."
Dazu soll es jedoch erst einmal nicht kommen. "Ursprünglich wurden die Pullover für den Kunstkontext gemacht", sagt er, "ich habe gar nicht gedacht, dass sie jemals im Bereich der Mode gesehen werden." Viel eher handelt es sich für ihn um fotografische Arbeiten, die zum Anschauen gedacht sind. Sollten sie eines Tages vertrieben werden, sagt Manu Washaus, dann sicher nicht in Modegeschäften. Sondern auf dem Kunstmarkt.