Erfolg durch Durchschnitt:Warum die Welt Adam Sandler braucht

Adam Sandler

Adam Sandler hat in seinen Rollen den unmodischen Mann perfektioniert, dem alles egal ist.

(Foto: Frankie Lewis/action press)

Schlechte Kritiken, flache Witze - trotzdem wird nichts so zuverlässig geschaut wie Filme mit Adam Sandler. Unser Autor hat nach einem 20-Stunden-Selbstversuch verstanden, wieso der Schauspieler so erfolgreich ist.

Von Max Scharnigg

Folter ist in Deutschland verboten. Erlaubt ist aber, sich 20 Stunden lang Adam-Sandler-Filme anzusehen. Danach hat man das neuere Oeuvre eines 51-jährigen Schauspielers überblickt, den man bislang vielleicht nur als cineastische Signalboje wahrgenommen hat: Alles, was mit ihm zusammenhing, war irgendwie zu seicht. Sandler allerdings spielt seit Mitte der Neunziger im Schnitt zweimal pro Jahr eine Hauptrolle, bekommt 20 Millionen Dollar pro Film und hat gerade mit Netflix einen exklusiven Deal über vier weitere Filme gemacht. Grundlage für den Vertrag waren Sehgewohnheiten der Millionen Netflix-Nutzer, die von dem Streamingdienst akribisch ausgewertet werden. Erstaunliches Ergebnis: Nichts wird so zuverlässig geschaut wie Filme mit Adam Sandler.

Wenn man bedenkt, dass sich kaum ein Volljähriger findet, der Sandler-Fan ist oder ihn auch nur verteidigt, ist das eine Überraschung. In den Kritiken fallen seine Filme seit Jahren krachend durch, unter Kulturfreunden wird Sandler etwa so ernst genommen wie der späte Boris Jelzin. Es muss aber eine hohe Dunkelziffer geben. Eine Armada von Menschen, die nachts heimlich Adam-Sandler-Filme schauen und keinem davon erzählen. Zu ihnen vorzustoßen, dazu sollte der 20-Stunden-Selbstversuch dienen, und der Fragestellung: Was für ein Männerbild ist das eigentlich, das Sandler so erfolgreich verkörpert?

20 Stunden Sandler, das sind vor allem 20 Stunden Bällebad. Es ist offenkundiger Schwachsinn, aber man springt doch rein. Die Kulisse dieser Filme ist nicht im Heinz-Erhardt-Sinne heil, sie ist eher in einem Goofy-Sinne egal. Die Kamera kreist stets eng um Sandler, der übrigens die meisten seiner Filme heute selbst produziert und auch an den Drehbüchern mitwirkt. Stoisch bewältigt er eine Kleinkatastrophe nach der anderen, Krieg und Frieden wehen durch sein Antlitz, ohne es nennenswert zu bewegen. Das ist vermutlich schon die erste Erfolgsformel - Sandler ist felsförmiger Fürsprecher all jener, die eigentlich nur ihren Frieden und Rasenmähen wollen, denen der Alltag aber Hindernisse in den Weg legt. So weit, so Mario Barth.

In häuslichen Gegenwart-Settings in der Provinz ist Prollbär Adam Sandler am stärksten. Sobald er in historischen Kostümen steckt (grausam: "Cobbler"), scheint er sich selbst nicht über den Weg zu trauen. Nein, Sandler ist unbedingt der Typ von gegenüber. Einer, der XXL-Hemden im Baumarkt kauft und dazu am liebsten Basketballshorts trägt. Er ist Familienvater am Grill, gutmütiger Kumpel, erfolgloser Angestellter, stoffliger Verliebter. Oberkategorie: harmlose Null.

Der Sandler-Mann ist ungefährlich rückständig

In einer gnadenlosen Optimierungsgesellschaft wirkt seine gutmütige Antriebslosigkeit durchaus attraktiv. Sandler strahlt so eine unzeitgemäße Kuhwärme aus, eine satte Gemütlichkeit. Er ist Kontrast zu den neo-komplizierten, übergefühligen Migräne-Männern, die derzeit in Mode und Kultur angesagt sind. Sandler ist nicht zart, aber weich. Und er ist vielleicht nicht das, wovon Frauen träumen, aber das, was sie im Alltag kriegen können. Humor ist ja der Dauerwunsch, wenn eine Frau jenseits der 30 ihren Traummann skizzieren soll. Nun, das strahlt Sandler aus und darüber hinaus auch: Schatz, ich bin loyal, überlasse dir immer die Bühne und kuschle gern.

Keine Selbstverständlichkeit angesichts einer jungen Männergeneration, die auf getrimmte Körper und sonstiges Erscheinungsbild längst genauso achtet wie die Frauen. Während in der echten Welt Männer Frauenbastionen einnehmen, ist der Sandler-Mann ungefährlich rückständig geblieben. Deswegen ist Sandler heute wohl so unisex ansteuerbar, die Männer auf dem Sofa sind nicht eifersüchtig, und die Frauen denken sich: Ach, netter Tollpatsch, da weiß man, was man hat.

Sandler hat das Understatement zum Erfolgsfaktor gemacht

Sandler spielt diese Rollen mit quäkender Jungsstimme und übrigens ganz anders als zum Beispiel Ben Stiller oder Steve Carell, die beide ebenfalls in Suburbia-Komödien Erfolg hatten. Sie inszenieren die Mittelmäßigkeit, bei Stiller mündet das oft in einen überspannten, bei Carell in einen melancholischen Normalo. Adam Sandler aber muss sich nicht künstlich banalisieren, er wirkt von selbst wie irgend so ein Mann. Besser gesagt, wie irgendein US-Amerikaner. Isst gerne Fastfood, trinkt gerne Bier aus Plastikbechern, trägt gerne weite Kleidung. Botschaft: Tut nix, will nur spielen. In seinem breiten, zutraulichen Gesicht hat sich zwar frappierend wenig eingegraben, aber die Orientierungslosigkeit der weißen US-Mittelschicht lässt sich doch finden. Vor allem ist da aber immer so eine Gleichgültigkeit, mit der er Pech und Glück zerkaut, als wären es Hot Dogs.

Sicher ist: Wenn Sandler auf dem Bildschirm erscheint, nimmt er dem Zuschauer für 90 Minuten die Last des Durchschnittsdaseins von den Schultern. Niemand fühlt sich ihm unterlegen. Und ja, eigentlich hätte man ihn gerne als Nachbar. Da ist aber noch mehr. Der Mann Marke Sandler ist auch fast immer ein unpolitischer, leicht zwangsemanzipierter, anhänglicher Mann ohne Eigenschaften. Kinder und Frauen werden in seinen Filmen meistens von Beginn an auf einen Sockel gehoben. Es gibt auffallend viele trauliche Familienszenen am Esstisch, die freilich gerne mit einem Furz-Gag pulverisiert werden. Wo ein Woody Allen reflexhaft jede soziale Bindung zerzweifelt, ist bei Adam Sandler genau das Gegenteil der Fall: Kumpels, Familie, Frauen sind heilig.

Der Hetero-Mann, reduziert auf seine Grundbedürfnisse

Meist wird ihm eine Partnerin an die Seite gestellt, die ihn in allen Bereichen übertrifft. Drew Barrymore, Salma Hayek, Katie Holmes - schon in der physischen Präsenz sind diese Schauspielerinnen Sandler überlegen. Das ist ein Hebel, den er gut bedienen kann und der ihn sympathisch wirken lässt: als Mann, der genau weiß, was für ein Glück er mit seiner Frau hat und der sein eigenes Mittelmaß oft thematisiert.

Bei einer Veranstaltung in Las Vegas trat er mit den Worten auf die Bühne: "Mein Name ist Adam Sandler. Ich bin nicht besonders talentiert. Ich sehe nicht besonders gut aus. Trotzdem bin ich Multimillionär." Er hat das Understatement zum Erfolgsfaktor gemacht. In einer Zeit der männlichen Neufindung wirkt das für viele Zuschauer wohl wie ein probates Modell: Der Hetero-Mann, reduziert auf seine Grundbedürfnisse, der sich klaglos seiner Frau unterordnet, um in Ruhe grillen und glotzen zu können.

Ego? Individualität? Die wichtigsten Schlagworte unserer Zeit werden in dieser Männerdefinition ganz kleingeschrieben. Das Patriarchat ist aufgelöst, übrig bleiben eine dominante Frau und ein mattes Männchen. Dieser Mann ist nicht etwa dysfunktional und scheitert im Laufe seines Lebens (oder Filmes) an sich selbst, nein, Sandler tritt immer schon gescheitert und ergeben an. Man sitzt in ähnlicher Haltung vor dem Fernseher: Ist eh schon alles egal, jetzt können wir auch den Sandler-Film schauen. In der anspruchslosen Nicht-Erwartung gleichen sich Schauspieler und Zuschauer in diesem Moment an, das verbündet.

Am heitersten ist Sandler, wenn er leise und bei sich bleibt

In "Kindsköpfe 2", der in den Rezensionen verrissen wurde ("Ist es überhaupt ein Film?"), aber eine durchaus dichte, dadaistische Pointenqualität hat, erklärt Sandlers Figur seinem Sohn sinngemäß: "Du bist verflixt hässlich, alle Männer unserer Familie sind hässlich, aber trotzdem kriegen wir tolle Frauen ab, weil wir nämlich lustig sind und die Tricks kennen." Abgesehen vom zweifelhaften pädagogischen Wert dieser Ansage: Genau nach diesem Muster strickt sich das Sandler'sche Romantikprinzip. Die tolle Frau sieht in ihm einen ulkigen Niedrigperformer, der angeschoben werden muss. Er dankt es ihr mit der Treue eines faulen Goldhamsters.

Ist Adam Sandler lustig? Die Zahlen weisen ihn als erfolgreichsten Komiker Amerikas aus. Er hat seine Karriere bei der Comedyshow "Saturday Night Live" begonnen und - noch erstaunlicher - mit Judd Apatow zusammengewohnt, der heute zur kleinen Witz-Leistungsgruppe Hollywoods gehört. Tatsächlich ist Adam Sandler oft aber nicht die aktiv lustige Figur, auch darin gleicht er den meisten Männern, sondern vielmehr Beobachter eines Kuriositätenkabinetts um sich herum. Wenn er selbst "lustig" spielt, geht das oft daneben, etwa bei "Sandy Wexler". Witzel-Grundlage ist meist jener analfixierte Humor, den das US-Kino seit fünfzehn Jahren durchlebt. Verdauung, Kotzstrahl, Klöten - in den Komödien ist Hollywood seit "American Pie" nicht weitergekommen.

Am heitersten ist Sandler, wenn er leise und bei sich bleiben darf. Etwa zum Date ins Hooters-Restaurant lädt und dann charmant und antriebslos Drew Barrymore den Abend versaut - wohlwissend, dass er bei ihr nicht landen wird. Das ist vielleicht die letzte Metaebene, die sich in den 20 Stunden finden lässt: Sandler entlastet den überforderten Mann, weil er sich stets betont unkreativ gibt und nie verstellt. Er ist nicht vielseitig sondern ein Normalo, der immer zur gleichen Tür reinkommen möchte. Gebt ihm eine Serie!

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