Einrichtungskette Søstrene Grene:Kein Mensch braucht den Laden, trotzdem ist er irre erfolgreich

Einrichtungskette Søstrene Grene: Vor den Filialen von Søstrene Grene bilden sich an manchen Tagen in Aarhus lange Schlangen.

Vor den Filialen von Søstrene Grene bilden sich an manchen Tagen in Aarhus lange Schlangen.

Die dänische Einrichtungskette Søstrene Grene macht sich auf, Deutschland zu erobern. Das Konzept ist seltsam - jedenfalls auf den ersten Blick.

Von Anne Backhaus

Mikkel Grene streicht mit seinem Daumen über ein Regal. Das hängt gleich links an der Wand neben dem Schaufenster, drei schmale Bretter, an den Seiten gehalten von Metallstreben. "Ich habe das hier noch gar nicht gesehen", sagt der Chef des Unternehmens und prüft die Aufhängung. Er war am Vortag zuletzt im Laden, heute ist alles umdekoriert.

Auf dem Regal steht ein Schild mit der Aufschrift: "Time you enjoy wasting is not wasted." Zeit, die man gerne verplempert, ist keine verlorene Zeit. "Der Leitspruch unseres Unternehmens. Mein Vater hat immer darauf beharrt", sagt Grene. Seine kurzen blondierten Haare leuchten unter einer Glühbirne, die an einem schwarzen Kabel von der dunkelbraun gestrichenen Decke hängt. Er stellt jetzt noch zwei unterschiedlich gemusterte Aufbewahrungsboxen an den rechten Rand eines Regalbretts. Auf dem Weg in den nächsten Raum dreht er plötzlich um, geht zurück und schiebt die Boxen doch etwas weiter in die Mitte.

Sein Vater, der Firmengründer, ist vor einigen Jahren verstorben. Wie richtig er mit seinem Ladenkonzept lag, wie groß das dänische Familienunternehmen Søstrene Grene noch werden sollte, das hat er verpasst. Das hat auch niemand geahnt.

Also so ein Krimskramsladen? Ja, aber irgendwie auch nicht.

Das ist auf den ersten Blick sogar seltsam, denn kein Mensch braucht diesen Laden. Søstrene Grene ist aber trotzdem, oder eher gerade deswegen, nun auch in Deutschland überaus gut besucht. Erst erzählen Freundinnen von dem neuen Geschäft, dann die Nachbarin. Immer ähnlich. Ein toller Laden. Kennst du den? Da gibt es alles Mögliche! Eine hat ein Filzkissen gekauft, eine einen Beistelltisch und Kaffeebecher, ein andere Briefumschläge. Also so ein Krimskramsladen? Ja, aber irgendwie auch nicht. Alle sagen sie: Es ist so schön da. Und: so günstig.

"Das ist unser erstes Geheimnis", sagt Mikkel Grene. "Zu uns kommt niemand, der ein bestimmtes Produkt kaufen möchte." Er führt durch die Hauptfiliale in der Søndergade, einer langen Einkaufsstraße in Aarhus, der zweitgrößten Stadt Dänemarks. Es ist ein fünfstöckiger Altbau, in den unteren zwei Etagen das Geschäft. Grene erinnert an das Schild am Eingang, die gerne verplemperte Zeit. "Zu uns kommen Menschen, die sich gut fühlen wollen und dann vielleicht auch etwas kaufen. Etwas, dass sie sich ohne Probleme leisten können." Er redet von echten Gefühlen, von Kundenbindung. Er nennt das Erlebniseinkauf. Und was man bei Søstrene Grene erlebt, ist dann auch, man kann es kaum anders sagen, wirklich ganz schön.

Es ist fast schon absurd. Jeder Winkel ein Abziehbild für skandinavisches Design

Das Licht ist angenehm gedimmt, es läuft klassische Musik und duftet nach Holz, Kerzen und manchmal Seife. Der Trubel der Einkaufsstraße vor der Tür ist drinnen vergessen. Die Räume sind weitläufig und grob nach Wohnbereichen sortiert. Mikkel Grene, 44, rückt auf seinem Rundgang Gläser zurecht, sagt den Mitarbeitern, was umgestellt werden sollte, wo etwas Staub liegt. Er ist durch eine harte Schule gegangen, schon als Jugendlicher jobbte er im Laden der Eltern. "Vater hatte sehr genaue Vorstellungen davon, wie man einen Boden wischt oder eine Holzkiste auspackt", sagt er und zieht eins der neuen Küchenhandtücher aus einer offenen Kiste, daneben stehen Vasen, stapeln sich Geschirrbürsten. Im nächsten Regal dann Kochbücher, fein geschliffene Wassergläser, grobe Einweckgläser, Teekannen, weiße Gummibänder.

Einrichtungskette Søstrene Grene: "Das ist unser erstes Geheimnis", sagt Mikkel Grene, "zu uns kommt niemand, der ein bestimmtes Produkt kaufen möchte."

"Das ist unser erstes Geheimnis", sagt Mikkel Grene, "zu uns kommt niemand, der ein bestimmtes Produkt kaufen möchte."

Die Produkte sind nach Farben sortiert. Kaum etwas ist aus Plastik. Wirklich nichts sieht nicht gut aus. Selbst Batterien haben ein schwarz-weißes Karomuster und eine hübsche Verpackung. Es ist fast schon absurd. Jeder Winkel ein Abziehbild für skandinavisches Design, das ja längst zum Synonym für Alltagsgegenstände geworden ist, die das Leben schöner machen.

Dazu die heimeligen Läden. Das passt super zum Rückzugstrend, zum Aussperren alles Unschönen in politisch nicht eindeutigen Zeiten. Zum Hype um die dänische Glückphilosophie "Hygge". Zeit verbummeln, endlich mal nicht nachdenken müssen. Und zu Hause sieht es dann auch noch schöner aus, für gar nicht mal so viel Geld. Die mintfarbene Tischlampe kostet 21,98 Euro, der Teppichläufer mit Ethno-Muster 12,47 Euro. Das Teuerste ist ein minimalistischer Veloursstuhl mit Holzbeinen für 52,88 Euro. Den gibt es in sechs verschiedenen Farben, so wie es die meisten Produkte immer in mehreren Ausführungen gibt. "Es soll ja jeder etwas Passendes für sich finden."

Søstrene Grene, in Dänemark als "Krämerladen" geführt, ist vielleicht am ehesten eine Interior- und Lifestylekette. Inzwischen gibt es mehr als 140 Geschäfte. Unter anderem in Skandinavien, Japan, Großbritannien, den Niederlanden, Frankreich und Spanien. Die Läden sind meist 200 bis 250 Quadratmeter groß, und in jedem Land steht das Gleiche drin: Einrichtungs- und Küchenaccessoires, Kleinmöbel, aber auch Schreibwaren, Geschenkverpackungen, Kinderspielzeug und Bonbons.

Seit Anfang des vergangenen Jahres ist das Unternehmen dabei, mit einem Franchisesystem Deutschland zu gewinnen. Neun Geschäfte haben seitdem im Norden eröffnet, sie gehören weltweit zu den erfolgreichsten Standorten. Und es werden jeden Monat mehr. Ende April hat der bislang größte deutsche Shop in der Hamburger Innenstadt aufgemacht. Mitte Mai eröffnet der erste Laden in Berlin. Grene hat nun auch im Westen und Süden Deutschlands Franchise-Partner gefunden, für die kommenden Jahre sind mehr als 150 weitere Søstrene Grene angedacht. Das ist ziemlich viel.

Denn die Deutschen geben zwar gerne und vergleichsweise viel Geld für ihr Zuhause aus, aber derzeit haben selbst die großen Anbieter von Tand und Dekokram zu kämpfen. Zuletzt meldete die Wohnaccessoires-Kette Butlers Insolvenz an, von den 94 Filialen sollen 19 geschlossen werden. Die Warenhauskette Strauss hat dichtgemacht, bei vielen Konkurrenten stagnieren die Umsätze. Die Branche klagt über weniger Kunden in den Innenstädten, vor allem aber über Onlineanbieter.

"Kill the success", sagt einer der Chefs

Søstrene Grene hat nicht mal einen Onlineshop. Es gibt nur eine schlichte Webseite. Außerdem einen Instagram-Kanal mit mehr als 500 000 Abonnenten, auf dem ab und an Fotos von neuen Produkten gepostet werden. Vier Mal im Jahr kommt ein Katalog raus. Da ist aber nicht das ganze Sortiment drin, und daraus bestellen geht nicht. Man muss schon in den Laden.

Um zu verstehen, warum dieses Konzept, Erlebniseinkauf und Kundenbindung hin oder her, gegen alle modernen Gesetzmäßigkeiten aufgeht, lohnt sich ein Besuch in der Firmenzentrale. Also zehn Minuten mit dem Auto aus dem Geschäft in der Søndergade an die trübe Bucht von Aarhus. In dem mehrstöckigen weißen Wohnhaus mit Fachwerk und Giebeln empfängt Mikkels Bruder. Cresten Grene, 50, ist etwas kleiner, trägt die Haare etwas länger. Die beiden leiten gemeinsam die Firma, die ihre Eltern 1973 gegründet haben.

Die 83-jährige Gründerin kommt einmal die Woche vorbei und schaut nach dem Rechten

Der Laden, in dem beide Brüder als Teenager ihr Taschengeld aufbesserten, hieß damals schon Søstrene Grene und befand sich im ersten Stock des Gebäudes, wo er auch heute noch ist und wo Mikkel eben nach dem Rechten geschaut hat. Der Vater, er hieß ebenfalls Cresten, merkte schnell, dass sie ein besonderes Konzept benötigen würden, um die Kunden von der Straße zu sich in den ersten Stock zu locken. Er entschied, der Laden sollte mehr ein Markt sein. Eben ein schöner Ort mit lauter Dingen, von denen man vorher nie weiß, dass es sie dort gibt. Seine Frau Inger kümmerte sich um den Einkauf, um Farben und Qualität.

Sie waren die Ersten, die in Dänemark einzelne Kerzen verkauften. Vorher gab es die nur in Boxen zu mindestens zehn Stück. Sie sind noch immer Teil des Sortiments. "Einige Sachen haben wir immer da, wie eben die Kerzen", sagt der Sohn Cresten Grene, der sich, wie seine Mutter früher, um Einkauf und Design kümmert. "Allerdings ändern sich bei unseren Standardartikeln regelmäßig die Farben, ganz gleich sind sie also auch nie."

Warum das? "Kill the success", sagt Cresten Grene. Damit meint er: Was erfolgreich verkauft wird, kommt nicht wieder. Es kommen dafür aber wöchentlich neue Artikel in die Läden. Søstrene Grene muss, um die günstigen Preise zu halten, zwar auch in hoher Stückzahl produzieren, sucht sich dafür aber Partner, die eine ständige Umgestaltung der Produkte zulassen. Kaffeebecher bekommen eine neue Lasur oder Höhe, Pappboxen einen neuen Aufdruck. Die Muster dafür entwerfen fünf firmeneigene Grafiker, die auch die Postkarten, Bilder und das Geschenkpapier gestalten. Im Gegensatz zu dem Kleinkram, den es zum Beispiel bei Ikea gibt, haben die Kunden so am Ende immer noch Produkte, die nicht jeder hat.

Einrichtungskette Søstrene Grene: "Kill the success", sagt einer der Chefs von Søstrene Grene, Cresten Grene

"Kill the success", sagt einer der Chefs von Søstrene Grene, Cresten Grene

"Individualität ist heute so wichtig wie nie", sagt Cresten Grene. "Wir finden ein Produkt, und die erste Frage ist, wie wir es besser machen können. Wie es zu unserem Produkt wird." Das Basisprodukt muss allerdings gut sein. Decken sind aus Wolle, Tassen aus Ton, Tische aus Holz, alles möglichst natürlich. "Verschiedene Länder sind gut für verschiedene Produkte", sagt Cresten Grene, der in Asien wie in Europa einkauft. Zum Beispiel Gläser aus Italien, aus Portugal Keramik, aus Polen Holz, aus Deutschland Papier.

Søstrene Grene heißt übersetzt "Die Schwestern Grene". Auf dem Firmenlogo sind deshalb als Scherenschnitt zwei Frauenköpfe zu sehen: Anna und Clara. Das waren die Tanten von Mutter Grene. "Mein Vater hat sie als Symbol für die Firma gewählt und um sie herum die Geschichte des Unternehmens gebaut", sagt Sohn Cresten. In den Läden hängen vorgebliche Einrichtungstipps der Schwestern, in der Firmenzentrale fragt man sich täglich, wie Anna und Clara zu einem Produkt stehen oder was sie wie tun würden. Inger Grene kommt einmal die Woche vorbei, obwohl sie schon 83 Jahre alt ist. Sie diskutiert Farbkollektionen, rät, welche Servietten wann in die Läden sollten.

Erst 32 Jahre nach Firmengründung haben Läden außerhalb Dänemarks eröffnet, vor drei Jahren der erste Shop außerhalb Skandinaviens. Was die Eltern anlegten, hoben die Söhne auf den globalen Markt. Einige Mitarbeiter, schon seit Jahrzehnten im Betrieb, fragten die Brüder am Jahresanfang, wie sie garantieren könnten, ihre "Anna und Clara"-Standards zu halten, jetzt, wo sie so schnell wachsen. "Darum habe ich mir aber nie Sorgen gemacht", sagt Mikkel Grene. "Solange wir es wollen, wird alles gut bleiben." Cresten Grene lächelt nur. Warum sollte er auch nicht.

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