Einrichtung:Design von E15: Zwischen Gefälligkeit und Avantgarde

Einrichtung: Seit 20 Jahren Bestseller bei E15: der Backenzahn, entstanden als Recycling-Lösung für Schnittreste von Tischbeinen.

Seit 20 Jahren Bestseller bei E15: der Backenzahn, entstanden als Recycling-Lösung für Schnittreste von Tischbeinen.

(Foto: e15)

Alles begann mit einem Backenzahn: Die Möbelfirma E15 hat sich mit Massivholz-Design international einen Namen gemacht. Doch die Frankfurter wollen mehr.

Von Max Scharnigg

Wenn nächste Woche die Kölner Möbelmesse beginnt, wird es am Stand von E 15 einen kleinen Eklat geben. Es werden dort ein Dutzend Holzhocker zu sehen sein, nebeneinander aufgereiht, alle mit einer Sitzfläche aus vier Kanthölzern und alle mit den charakteristisch angeschrägten Beinen. Aber nur einer ist der Hocker, dessen Erfindung das Label vor 20 Jahren in die Designszene katapultierte, nur einer ist der original "Backenzahn" und damit eines der ikonischsten Möbelstücke unserer Zeit.

Die anderen sind Fälschungen, welche die Anwälte von E 15 in Möbelhäusern, Baumärkten und bei Ebay gefunden haben. Nicht nur, dass sie dort einen Bruchteil der 696 Euro kosteten, die für das Original fällig werden, sie sind vor allem schlecht gemacht, und das ärgert Designer Philipp Mainzer am meisten, wenn er über die falschen Zähne spricht. "Nie stimmen die Proportionen, das Holz ist nicht hochwertig, die Spaltmaße sind viel zu groß. Wenn die Fälscher mal einen von unseren Hockern auseinanderbauen würden, wüssten sie wenigstens, wie das richtig gemacht wird", sagt der gebürtige Hamburger mit nordischer Gemütsruhe.

Plagiate sind im Möbeldesign keine Seltenheit, aber bei E 15 kommen sie gehäuft vor. Ein Grund dafür liegt vermutlich in der Formsprache der ersten großen Entwürfe. Tisch, Bank, Hocker waren allesamt archetypisch schlicht und wollten ihre Merkmale bewusst offenlegen. Was so simpel aussieht, lockt natürlich Nachahmer auf den Plan.

Europäische Eiche, drei bis fünf Jahre getrocknet

Dabei lag und liegt die begeisternde Qualität des E-15-Designs nicht nur im Gesamtbild, sondern gerade auch im Detail: Europäische Eiche handwerklich perfekt verarbeitet, die Bohlen so dick, dass das Holz drei bis fünf Jahren trocknen muss, bis es mit besonderem Augenmerk auf kleine Fehler in Szene gesetzt wird, effektvolle Risse und Astlöcher, die jedes der Stücke zu Unikaten machen. Auch deshalb stellt die Firma zum 20. Geburtstag Nachbauten des Hockers aus, um die Unterschiede deutlich zu machen und die Strahlkraft ihrer Holzmöbel zu demonstrieren.

Einrichtung: Seit 1999 im Programm: Sessel Byron. Sideboard Drayton wird auf der Kölner Möbelmesse vorgestellt, die Tische aus Marmor sind von Philipp Mainzer.

Seit 1999 im Programm: Sessel Byron. Sideboard Drayton wird auf der Kölner Möbelmesse vorgestellt, die Tische aus Marmor sind von Philipp Mainzer.

(Foto: e15)

Als er diese Möbel 1995 zusammen mit dem damaligen Kompagnon Florian Asche entwarf, kam Mainzer frisch von der Londoner Designuniversität und wollte radikale, einfache Formen, die nicht kühl waren. Es war die Zeit, in der das Magazin Wallpaper, gegründet von Stil-Guru Tyler Brulé, eine neue Wohnkultur propagierte und die Grenzen zwischen Büro, Wohnzimmer und Atelier aufweichten.

Mainzers Tische und Hocker waren dazu ein erfrischend lebensnahes und uneitles Statement. Möbel wie kerngesunde Freunde, belastbar, unzerstörbar, echt. "Als wir diese Entwürfe 1996 auf der Messe in Köln zeigten, wurden wir ausgelacht. Es war die Zeit, in der noch glatte Plastikoberflächen und sterile Interieurs dominierten. Aber alle wollten unsere Sachen trotzdem anfassen."

Der Archetyp als Exot

Mainzer war ein Exot mit Möbeln, die kein bisschen exotisch aussahen, sondern wie Archetypen ihrer Gattung. Trotz der Häme der etablierten Hersteller fanden sich auch sofort Abnehmer, den ersten Backenzahn transportierte Mainzer im Handgepäck nach Hamburg zu einem Händler.

So selbstbewusst wie seine raumgreifenden Holz-Ideen war auch der Geschäftssinn des jungen Mannes. Mit nur einem Tisch im Frachtgepäck reiste er zur Möbelmesse nach New York - absolut unüblich für einen Design-Newcomer aus Europa. Beim Transport wurde eine der Bohlen beschädigt, Mainzer besorgte sich in Manhattan Leim und Zwinge und reparierte den Tisch über Nacht, mit Erfolg: Er flog ohne Tisch zurück, seine kleine Firma war fortan international und von der besten Adresse in New York vertreten.

Die mit dem Massivholz

Das gilt bis heute, Australien ist einer der wichtigsten Märkte für E 15, und in Asien verehrt man die puristische Philosophie und Handwerkskunst der Möbel so sehr, dass Mainzer dort heute mit seiner zweiten Profession als Architekt sehr gefragt ist, Firmenzentralen baut und ausstattet, immer mit der DNA des Labels: schnörkellos modern, aber niemals kalt.

Mit seinem prompten Debüterfolg ging es E 15 ein bisschen wie einer Band, die auf dem ersten Album gleich große Hits hatte. Die Instant-Bekanntheit von Tisch und Hocker öffnete Türen, aber sie gab auch den Weg vor, die Hits mussten immer wieder gespielt werden. E 15, so lernte der geneigte Betrachter von Wohnmagazinen und Schaufenstern, das sind die mit dem Massivholz. Auf Tische folgten noch erstaunliche Kommoden, Betten und Regale aus der charakteristisch dicken Eiche, allesamt Vorreiter des neuen Holz-Booms im Wohnbereich, handgefertigt von Tischlerbetrieben in Deutschland.

Einrichtung: Philipp Mainzer.

Philipp Mainzer.

(Foto: Ingmar Kurth)

Bis heute sind Tische und Backenzahn seine erfolgreichsten Produkte, aber für Philipp Mainzer war schon im ersten Holzrausch klar, dass er seinen Interieur-Begriff nicht nur mit Eichenmöbeln buchstabieren möchte. Mit der Übersiedlung von London nach Frankfurt begann er die Formsprache von E 15 zu erweitern und gibt den Fans der Marke seitdem unablässig neue Standort-Koordinaten durch. Ein Regal aus Aluminium im Farbton Reinorange, die Tischleuchte Seam Two ganz aus Kupfer - E 15 schaffte es, seinem guten Ruf zwei Schritte voraus zu sein und balancierte sicher auf dem schmalen Grat zwischen Gefälligkeit und Avantgarde.

Ein gutes Beispiel ist vielleicht die Zusammenarbeit mit dem Münchner Designer Stefan Diez. Der Auftrag an ihn lautete 2009, endlich einen passenden Stuhl für die Bigfoot-Tische zu entwerfen, die mittlerweile überall standen - als Konferenztisch in Werbeagenturen, in Berliner Townhouses oder als Mittelpunkt von Szenerestaurants. Diez wollte den ehernen Formen des Tisches etwas Dynamischeres zur Seite stellen und baute den Houdini. Einen leichten Stuhl mit ungewohnter Lagenoptik, schwungvoller überkragender Rückenlehne aus 4,5 Millimeter Schichtholz, das Gegenteil eines archetypischen Stuhles.

"Mit diesem Entwurf waren wir sehr glücklich, auch wenn wir vorher noch nie mit Schichtholz gearbeitet hatten. Er steht einfach in einem spannenden Dialog mit unseren Tischen", sagt Philipp Mainzer beim Rundgang durch den Showroom im Frankfurter Industriegebiet, wo die Firma seit zwei Jahren zwischen obskuren Kulturzentren, der Konzerthalle Batschkapp und Schrotthändlern ihr Hauptquartier mit 35 Mitarbeitern eingerichtet hat.

Vollausstattung mit stark erweitertem Materialhorizont

Der Showroom bestätigt auch, was der Beobachter seit Langem vermutet: E 15 will die Vollausstattung. Neben der Lampenkollektion sind in den vergangenen Jahren auch Garderoben, Decken und Kleinaccessoires dazugekommen, der Materialhorizont hat sich stark erweitert. Mainzer selbst, der ehemalige Eichenschmied, hat trutzige Beistelltische in Marmor gefertigt, gleißende Tabletts aus Messing veredeln die Tischplatte. Dazu kommen zarte Stücke, für die Mainzers Frau, die Designerin Farah Ebrahimi verantwortlich ist. Die gebürtige Iranerin formt die Marke in eine Richtung, die zuletzt im Interieur immer wichtiger wurde: dezente Eleganz und sinnlicher Luxus. "Geblieben ist, dass wir unsere Stücke am liebsten aus einem einzigen charaktervollen Material fertigen", sagt Mainzer.

Wie gut das ankommt, erlebten sie hautnah, als E 15 einen Abverkauf von Musterstücken ankündigte. Als sie die Firmentore öffneten, warteten die Menschen schon auf dreißig Gehwegmetern und überrannten den Verkaufsraum. "Wir waren an diesem Tag akut überfordert", sagt Mainzer, lacht und bleibt vor dem letzten großen Coup stehen: einer Bank, die aussieht, als wären dicke Holzbretter nach einfachsten Prinzipien der Statik zusammengesteckt worden.

Nach zehn Jahren Eichenabstinenz hat E 15 vergangenes Jahr diese neuen Möbel gezeigt. Sie stehen abermals höchst endgültig im Raum und wurden von Star-Architekt David Chipperfield gezeichnet. Dass der Brite sich E 15 als Partner wünschte, war nicht nur ein Ritterschlag, er beschert dem Label noch mal mehr Aufmerksamkeit. Chipperfield ist schließlich als Design-Workaholic sonst eher mit Weltarchitektur beschäftigt.

Spätestens mit dieser Personalie nimmt E 15 eine Führungsrolle unter Deutschlands Designlabels ein. Teilt man Philipp Mainzer diese Vermutung mit, nickt er unwohl und nimmt als Beweis für Bodenständigkeit sein neuestes Projekt in die Hand: graue Zylinder aus einfachem Steinzeug, gefertigt in bester Bembel-Tradition im Frankfurter Umland und bei E 15 fortan als Allroundbehälter im Programm. Ein simples Produkt, und doch wirkt es in Mainzers Händen wie ein unbedingtes Versprechen für schöneres Wohnen.

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