Einhorn-Schokolade von Ritter Sport:Woher kommt der Hype ums Horn?

Einhorn-Schokolade

Rosa und weiß: Die Einhorn-Schokolade des Herstellers Ritter Sport.

(Foto: dpa)

Ritter Sport bringt eine Einhorn-Schokolade auf den Markt und alle drehen durch. Bei der so langen wie ruhmreichen Geschichte des Fabelwesens eigentlich kein Wunder.

Von Jana Stegemann

Die dreischichtige Schokolade sieht völlig unspektakulär aus. Sie ist lila, rosa und weiß mit rosa Sprenkeln im Ritter-Sport-typischen Viereck. Im Mund schmeckt sie nach weißer Schokolade, Himbeere und einem Hauch Brombeere. Ein bisschen wie Yogurette. Aber das ist eigentlich egal, denn hier soll es weder um den Geschmack noch ums Aussehen gehen. Sondern um Magie.

Dem Familienunternehmen Ritter Sport aus dem kleinen Waldenbuch in Baden-Württemberg ist ein Marketing-Coup gelungen. Am Dienstag um 10.05 Uhr wurde auf der Facebook-Seite des Unternehmens der Verkaufsstart der Sonderedition mit dem Hashtag #glittersport angekündigt. Im Berliner Flaghship-Store war die pinke Schokolade nach wenigen Stunden ausverkauft, ebenso im Fabrikverkauf und sowieso im Online-Shop. Erwartbare Reaktionen auf dem Höhepunkt des Einhorn-Hypes in Deutschland?

Das Einhorn als Symbol für das Beste, das Reinste, das Schönste

Ja, sagt Trendforscher Peter Wippermann aus Hamburg. "Hinter dem ganzen Hype steht etwas, das gesellschaftlich ein absolutes Sehnsuchtsfeld ist. Ritter Sport hat es in ein Produkt gegossen: Die Kunden haben mit der Einhorn-Schokolade das Gefühl, sie könnten Hoffnung essen."

Hinzu komme die richtige Jahreszeit, so Wippermann, der lange Jahre als Professor für Kommunikationsdesign an der Universität Essen lehrte. Draußen wird es immer ungemütlicher, dunkler, kälter. Die Menschen würden sich daher umso mehr nach dem Schutz einer Fantasiewelt sehnen. "Es geht um die kindliche Naivität, Hoffnung haben zu können angesichts eines Alltags, den Horrorszenarien und dystopische Vorstellungen dominieren. Das Einhorn symbolisiert die kindliche Freude an einem guten Ausgang der Geschichte."

Die rosa Einhornschokolade als Ausgleichsmoment in einer Welt, die täglich Schreckensnachrichten bereithält? Krieg in Syrien, Flüchtlingskrise, Brexit, Erdbeben ... darauf erst mal ein Stückchen Himbeer-Regenbogen.

Fest steht: Es gibt kein Fabelwesen, dessen Geschichte den Sieg des Guten über das Böse besser symbolisiert, als das Einhorn. Historisch findet es erstmals 400 vor Christus Erwähnung. Ktesias, Leibarzt am persischen Hof, beschrieb es wie folgt: "Das Einhorn gleicht dem Pferde, ist nur wenig größer, weiß am Körper und rötlich am Kopf. Seine Augen sind blau und auf der Stirn trägt es ein einziges, mächtiges, eine Elle langes Horn. Das Horn ist unten zunächst weiß, dann schwarz und an der Spitze feuerfarben." Es könne nicht lebend gefangen werden. In fast jeder Epoche findet es seither Erwähnung. Aristoteles erwähnte es in der Antike, Hildegard von Bingen im Mittelalter, der Entdecker Marco Polo will auf Sumatra sogar eins gesehen haben.

Einhörner können auch ziemlich brutal sein

In seiner deutschen Bibelübersetzung wird das Einhorn sogar von Reformator Martin Luther erwähnt - ein Übersetzungsfehler, wie sich drei Jahrhunderte später herausstellte. Gemeint war mit dem "kräftigen und wilden Tier" eher der Auerochse. Sei's drum. Das Einhorn ist seither das edelste aller Fabeltiere, stark und mutig und makellos, dass es sinnbildlich für das Gute in einer bösen Welt steht. Nicht zu unterschätzen: Das Einhorn gewinnt in diesen Geschichten - immer.

Als stärkste Waffe gilt dabei stets das Horn, in dem magische und heilende Kräfte verborgen sein sollen. Ein Horn, gegen das Löwen, giftige Schlangen und Menschen sowieso machtlos waren. Möglicherweise hatte das lange, spitze Horn im Verborgenen auch phallischen Charakter.

In der Welt der Start-ups bekam das Wort "Unicorn" zu Beginn der Nullerjahre eine neue Bedeutung. Mit dem Begriff werden Unternehmen bezeichnet, die mehr als eine Milliarde Dollar wert sind. Zum "Unicorn Club " gehören derzeit weltweit knapp 180 Unternehmen, darunter auf Platz 1 der Fahrdienstleister Uber, gefolgt vom chinesischen Smartphonehersteller Xiaomi und AirBnb, der Online-Plattform für die Vermittlung privater Unterkünfte. Es sind vor allem amerikanische und chinesische Unternehmen im Unicorn-Club, Deutschland taucht einige Male auf den hinteren Plätzen auf, zum Beispiel mit der Online-Bestellplattform Delivery Hero (35. Platz) und dem Kochboxen-Versandhaus Hello Fresh (Platz 46).

Die Einhörner sind in dieser Hinsicht allerdings ziemlich brutal. "Das Unicorn in der Finanzbranche ist ein Symbol dafür, dass uns nach einer genialen Idee dürstet, wir suchen die Einhörner - das bedeutet aber eben auch, dass die vielen Ochsen und Kühe, die es ja auch gibt, auf der Strecke bleiben", sagt der 67-jährige Trendforscher Wippermann.

In den USA gibt es selbstverständlich längst auch eine eigene Einhorn-Serie. Eigentlich 2010 für Kinder konzipiert, werden die Erlebnisse des Super-Einhorns "Twilight Sparkle" (eine Mischung aus Pegasus und Einhorn) längst auch von Erwachsenen mit Begeisterung verfolgt. Hinter der Fassade der Kinderfilme gehe es eigentlich um Gesellschaftliches, sagt Peter Wippermann. In der Serie "My little Pony - friendship is magic" erkläre ein Einhorn allen anderen Fabelponys, die stellvertretend für Gesellschaftsgruppen in den USA stünden, die Welt und werbe für Toleranz.

Im März dieses Jahres kam dann endlich der langersehnte Beweis: Einhörner gab es wirklich. Leider sahen sie anders aus als gedacht. Keine Magie, kein Glitzer, keine Regenbogenkacke. In Kasachstan wurde der Schädel eines sibirschen Einhorns gefunden, das noch vor knapp 30 000 Jahren gelebt haben soll. Und dieses Einhorn muss das Gegenteil des mystischen Fabelwesens gewesen sein: dunkles, struppiges Fell, unförmiger, massiger Körper, breiter Kopf mit Horn, hässlich wie ein Bison.

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