Süddeutsche Zeitung

Inklusion:Schminktipps für Blinde

Wer nicht sehen kann, kann sich nicht schminken? Ein Anruf bei Tina Sohrab, die Blinden in Videos erklärt, wie man richtig Make-up und Mascara aufträgt.

Interview von Thilo Adam

Die Hannoveranerin Tina Sohrab, 24, ist blind. Und sie schminkt sich für ihr Leben gern. Auf dem Youtube-Kanal "Woche des Sehens" erklärt sie anderen Blinden, wie man richtig grundiert, mattiert und definiert - ganz ohne zu sehen.

SZ: Schönheit und Schminken hängen immer zusammen mit der Fähigkeit zu sehen - möchte man meinen. Sind Sie von Geburt an blind, Frau Sohrab?

Tina Sohrab: Vor neun Jahren bin ich über Nacht erblindet - wegen einer angeborenen Netzhauterkrankung. Seither sehe ich nur noch Hell und Dunkel, je nach Lichtverhältnis nehme ich Umrisse wahr.

Wie haben Sie sich so schnell umgestellt?

Es war niederschmetternd. Ich war 16, alle meine Freundinnen sind super gestylt feiern gegangen, und ich konnte nur noch ertasten, wie ich vermutlich aussehe. Ich habe mich gefühlt wie ein halber Mensch. Dann habe ich angefangen zu üben. Es hat zwei, drei Jahre gedauert, bis ich überhaupt nur ein leichtes Make-up, ein bisschen Mascara und Gloss zuverlässig selbst auftragen konnte.

Klingt frustrierend.

In manchen Momenten habe ich gedacht, ihr könnt mich alle mal. Dann hab' ich Pinsel und Paletten in die Ecke geworfen. Aber meine Schwestern waren sehr geduldig mit mir. Die habe ich immer gefragt: Sieht das gut aus? Ist was verschmiert? Sollte ich was ändern?

Ihre Technik geben Sie jetzt ausgerechnet per Video an andere Blinde weiter. Wie geht denn das?

Ich beschreibe jede kleinste Handbewegung sehr intensiv. Wie trage ich etwas auf? Mit welchem Werkzeug? Mit welchen Handbewegungen? Welche Menge? Das versuche ich in Worten zu beschreiben, die man tastend nachempfinden kann.

Dafür würde aber doch eine Tonspur reichen.

Es geht mir auch um Inklusion. Ich möchte den Sehenden zeigen, dass Blinde genauso Frau sein können wie alle anderen auch. Ich bin seit drei Jahren verheiratet, ich habe einen kleinen Sohn und meistere ganz problemlos unseren Familienalltag. Ich möchte gerne zeigen: Blind heißt nicht gleich blöd.

Denken das andere Menschen denn?

Erst neulich hat mir die Behindertenbeauftragte der Stadt Hannover erzählt, dass sich bei ihr viele Sehbehinderte beschweren, weil sie keinen Job finden. Die sehen aber oft aus wie die letzten Schlawiner, weil sie ihr Äußeres nicht kümmert. In der Welt der Sehenden spielt Aussehen unterbewusst aber immer eine Rolle, und das nicht nur in Vorstellungsgesprächen. Ich möchte blinden Frauen helfen, trotz allem dazuzugehören.

Wie erklären Sie einer von Geburt an Blinden, was das überhaupt bedeutet: sich schminken?

Viele Betroffene denken: Ich sehe nichts, also sieht die Außenwelt mich auch nicht. Das ist, als ob sich ein Kleinkind hinter den eigenen Händen versteckt. Weil sie nicht wissen, wie sie auf andere wirken, trauen sich viele betroffene Mädchen und Frauen nicht, mal jemanden anzusprechen. Es muss gar nicht das Schminken sein, ich möchte aber die Erfahrung weitergeben. Sich selbst schön machen zu können, ist ein riesengroßer Schritt fürs Selbstbewusstsein.

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Quelle:
SZ vom 18.10.2017/lot
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