Trendkolumne "In aller Munde": Dry January:Abstinenz als Challenge

Trendkolumne "In aller Munde": Dry January: "Für mich nur Wasser": Der Januar wurde in den vergangenen Jahren zum kollektiven Abstinenzmonat.

"Für mich nur Wasser": Der Januar wurde in den vergangenen Jahren zum kollektiven Abstinenzmonat.

(Foto: Vitalii Borovyk / imago)

Woran erkennt man eine Person, die einen Monat keinen Alkohol trinkt? Sie erzählt es einem. Über das Phänomen "Dry January", das den Eindruck erweckt, dass Abstinenz eine Rechtfertigung braucht.

Von Fabienne Hurst

Das Jahr ist zu Ende, ein neues beginnt und mit ihm die fast schon traditionelle Saison des gesundheitlichen Ablasshandels: Wer es jetzt einen Monat lang ohne Alkohol aushält, entgeht allen Sündenstrafen - selbst wenn er spätestens an Karneval wieder besoffen in der Kneipe schunkelt. So zumindest funktioniert der "Dry January" in der Theorie.

Ursprünglich kommt die Idee aus Großbritannien, wo eine Gesundheitsstiftung erstmals 2014 dazu aufgerufen hat, einen Monat lang die Drinks wegzulassen. In den vergangenen Jahren ist es auch in Deutschland modern geworden, im Januar abstinent zu bleiben. Dabei wird nicht einfach mal ein bisschen langsam gemacht am Glas. Vielmehr muss man das Ganze als Challenge begreifen, als Self Care, als Detox. Es gibt mittlerweile eigens für den Dry January ausgestattete Online-Stores, spezielle Ratgeber, Restaurant-Specials, Apps, und in der Schweiz kann man sogar Preise gewinnen, wenn man die 31 Tage durchhält.

Befürworter sagen: Durch einen cool klingenden Namen lasse sich angebotener Alkohol viel einfacher ablehnen. Man ist dann kein spießiger Spielverderber mehr, sondern kann ganz lässig auf die Challenge verweisen. Als bedürfe Abstinenz überhaupt noch einer Rechtfertigung. Denn die Enthaltsamkeit auf Zeit ist längst nichts Peinliches mehr. Im Gegenteil: Woran erkennt man eine Person, die einen Monat nichts trinkt? Sie erzählt es einem. Die Abstinenz wird immer mehr zur Lifestyle-Superkraft hochstilisiert, man ist stolz auf das eigene Durchhaltevermögen, die mentale Stärke, die Entschlossenheit.

Nicht nur beim Alkohol scheint der ostentative Verzicht seinen Anhängerinnen und Anhängern automatisch eine moralische Überlegenheit zu verleihen. Ganz Extreme kombinieren ihren Abstinenzmonat direkt noch mit einem "Veganuary", in dem sie auch noch auf Tierprodukte verzichten, oder hängen einen "Sugarfree February" dran. Ein Freund verbietet sich seit Neuestem auch noch den Kaffee in der Früh, weil das doch so ungesund sei. Mich würde interessieren, wie gesund es ist, wenn man bei all den Krisenmeldungen in den Morgennachrichten auch noch das letzte bisschen Freude aus dem Frühstück eliminiert.

Manche machen aus der Verzichterei einen regelrechten Sport: Der Sänger Jack White etwa hat in einem Podcast damit geprahlt, seit Jahren "überhaupt keine Kohlenhydrate" mehr zu essen. Das geht überhaupt nicht, selbst in Gemüse sind Kohlenhydrate drin (und das ist auch gut so). Was will er denn als Nächstes weglassen? Wasser? Sauerstoff? Längst hat auch die Lebensmittelindustrie den Verzichtstrend erkannt und wirbt auf Verpackungen damit, was ein Produkt vor allem nicht enthält. Das sind dann wahlweise Zucker, Fett oder Gluten, als sei die Welt nicht schon düster genug.

Dabei wissen Ernährungsforschende längst: Wirklich schädlich ist Zucker nur in zu großen Mengen. Und auch beim Alkohol ist der Effekt einer einmonatigen Crash-Kur aufs Jahr gerechnet gleich null. Wer wirklich seinem Körper etwas Gutes tun will, isst generell Süßes in Maßen und trinkt wenig Alkohol - aber mit großem Genuss. Ich werde hier jetzt keine schwülstige Verteidigung des wohlverdienten Glases Rotwein liefern, so etwas wirkt aufgeschrieben immer schrecklich onkelig. Noch nerviger sind nur die Kollegen, die ständig über ihren letzten Vollrausch reden wollen, oder die Aperol-Mütter auf dem Kinderspielplatz in ihren T-Shirts mit der Aufschrift: "Mama braucht Wein." Das ist nämlich das eigentliche Problem am trockenen Januar: Das gesellschaftlich viel zu akzeptierte Gesaufe in den elf Monaten davor und danach. Und das lässt sich auch nicht durch irgendwelche Challenges bekämpfen, sondern - wie beim Rauchen - nur systematisch durch radikale politische Reformen. Wirklich problematische Suchtfälle werden ja nicht vermieden, wenn Sophie und Jonathan mal einen Monat lang ihre Weinschorle weglassen.

Zur SZ-Startseite

Trendkolumne: In aller Munde
:Singen Edelfische jetzt auch noch?

Blasierte "Dialoge von Süppchen" oder ein schlicht hingeworfenes "Ente/Pflaume"? Gegen Speisekartenlyrik gibt es nur ein Mittel: Humor.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: