Diversität in der Modeindustrie:Wie rassistisch ist die Modewelt?

Dolce and Gabbana - Runway - Milan Fashion Week S/S 2016

Das Show-Finale von Dolce & Gabbana bei der letzten Modewoche. Thema der Kollektion: Italien. Auf den ersten Blick naheliegend, dass die Designer dafür überwiegend hellhäutige Models engagierten.

(Foto: Daniel Dal Zennaro/dpa)

80 Prozent aller Models auf Laufstegen und Magazincovern sind weiß. Und das, obwohl die größten Wachstumsmärkte für Firmen wie Dior, Chanel oder Gucci in Asien und Afrika liegen.

Von Dennis Braatz

Diors offizielles Motiv zur Cruise-Kollektion 2016, entstanden im "Palais Bulles", der Sommerresidenz von Pierre Cardin in Südfrankreich: 18 Models dekorieren die altrosafarbene Hausfassade. Alle im "europäisch-kaukasischen Look", wie in der Modesprache gerne mal so dahingesagt wird. Nur nicht die beiden Mädchen aus China und der Dominikanischen Republik, die als Pärchen in einem der runden Fenster nebeneinanderstehen. Eigentlich nichts Besonderes, hätte nicht wenig später die Online-Plattform businessoffashion.com einen Artikel veröffentlicht, der das ethnische Gleichgewicht auf den Laufstegen infrage stellt.

Die Redakteure haben die wichtigsten Schauen der letzten Modewochen in New York, London, Mailand und Paris ausgewertet. 174 insgesamt. 3875 Models. 79,4 Prozent davon weiß, 10,2 Prozent schwarz und 6,5 Prozent asiatisch. Mädchen aus Indien und dem Nahen Osten kamen auf 2,3 Prozent, hispanische stellten die kleinste Minderheit mit 1,6 Prozent. Seitdem sehen manche Leute Motive wie das von Dior mit anderen Augen. Ihre Frage: Ist die Modewelt rassistisch?

Hautfarbe der kaufkräftigsten Kundinnen

"Auf keinen Fall", sagt Claudia Midolo, Inhaberin der Hamburger Model-Agentur "Modelwerk" und Entdeckerin von Toni Garrn und Esther Heesch. "Die Modebranche begann in Europa und entsprechend mit überwiegend weißen Models, weil das auch die Hautfarbe der kaufkräftigsten Kundinnen war.

Zwar kommen heute immer mehr Märkte wie der asiatische Raum hinzu. Die Idee der Identifikation aber bleibt." Soll heißen: Wenn ein Haus wie Dior, dessen stilistische DNA seit über 70 Jahren für französischen Luxus steht, plötzlich auf fernöstliche Exotik umstellt, nimmt ihm das keiner ab. Das hat, so die Markenlogik, nichts mit Rassismus zu tun, sondern mit der einfachen Tatsache, dass Models der traditionellen stilistischen DNA des Hauses entsprechen sollen.

Die rassistische Bedeutung von "ästhetisch"

Bethann Hardison sieht das anders. Die Afroamerikanerin lebt in New York, hat in den Achtzigerjahren selbst als Model gearbeitet und die Organisation "Balance Diversity" gegründet. Ihr Ziel: mehr Diversität auf Laufstegen und Magazincovern, in Kampagnen und überhaupt der Modewelt. Trotzdem sagt sie: "Ich glaube nicht, dass Designer irgendein Mädchen wegen seiner Hautfarbe als Mensch weniger wertvoll finden." Allerdings werden die Mädchen als Models natürlich nach ästhetischen Kriterien ausgewählt. "Und an dieser Stelle bekommt das Wort ,ästhetisch' für mich eine rassistische Bedeutung."

Und trotzdem ist es natürlich auch einfach, diese "ästhetischen" Entscheidungen für immer wieder und immer weiter weiße Models argumentativ zu begründen. Als zum Beispiel Ende September Dolce & Gabbana für ihr Show-Finale ein Meer aus weißen Models vor das Publikum schickten, taten sie das aus gutem Grund: Ihre Kollektion war eine Hommage an Italien.

Auf glitzernde Minikleider haben sie Namen von Postkarten-Orten wie "Portofino", "Capri" oder "Amalfi" gestickt. Sie hätten an ausschließlich oder mehrheitlich schwarzen Models das Thema verfehlt, weshalb die Mehrheit weiß war, und nur ein kleiner Teil von anderen Ethnien gebildet wurde. So hart es auch ist: Natürlich kann die Hautfarbe, genauso wie eine Haar- oder Augenfarbe und Nasengröße darüber entscheiden, ob ein Model gebucht wird, oder nicht. Das ist der Job. Und solange die Mode von den großen Traditionsmarken aus Europa oder den USA regiert wird, wird sich so schnell auch nichts daran ändern, dass die meisten Models weiß sind.

"Das ist alles altertümlich"

Für die Londoner Designerin Astrid Andersen, die von Kritikerin für ihre Castings fernab von Stereotypen gelobt wird, trauert die Branche mit solchen Denkweisen nur ihrer eigenen Vergangenheit nach. "Das ist alles altertümlich", sagt sie. "Ich wähle meine Models nach dem aus, was ich draußen auf der Straße sehe - und das sind alle Hautfarben." Sie meint nicht nur die Tatsache, dass auch im Dior-Frankreich wie überall sonst auf der Welt natürlich längst nicht mehr nur weiße Menschen auf den Straßen zu sehen sind.

Viel wichtiger ist die Tatsache, dass Firmen wie Dior und Dolce & Gabbana, Chanel aber auch Gucci, die größten Umsatzzuwächse (zweistellig) mittlerweile in Ländern des südostasiatischen und arabischen Raums einfahren. Laut einer Studie der deutschen Unternehmensberatung "Bain & Company" steigen die Zuwächse im europäischen Luxusmarkt immer weniger und das auch nur noch durch Touristen, die in Italien, Deutschland oder Frankreich shoppen, weil die Produkte hier günstiger sind als in ihren eigenen Ländern. Eines der größten Wachstumspotenziale schrieb die Studie Afrika zu, in machen Ländern liegt das Plus mittlerweile bei über elf Prozent.

Die Frage, ob Designer auf diese Entwicklung nicht auch die Auswahl ihrer Models anpassen sollten, liegt deshalb auf der Hand. Man kann darauf antworten, indem man wieder von vorne anfängt, also mit der Identifikation und der stilistischen DNA und der Tatsache, dass ein Model vor allem ins Thema passen muss. Man kann sich aber auch mal anschauen, was seit 1962, als Yves Saint Laurent zum ersten Mal ein schwarzes Model auf den Laufsteg schickte, passiert ist. Zum Beispiel Paco Rabanne, der zwei Jahre später nachzog und eine amerikanische Redakteurin öffentlich bloßstellte, nachdem sie ihn für seine Entscheidung anspuckte.

Wenn krauses Haar zum Problem wird

Oder Firmen wie Benetton, die in Kampagnen Menschen aus der ganzen Welt haben modeln lassen und damit für die Anzeigenmotive von Designern wie Tommy Hilfiger heute als Vorbild gesehen werden können. Naomi Campbell, das schwarze Topmodel, das überall beklatscht wird, weil es sich für mehr Nachwuchs einsetzt, zum Beispiel Jourdann Dunn. Die "Black Issue" der italienischen Vogue, eine Ausgabe, für die nur dunkelhäutige Models gebucht wurden. Vor ein paar Jahren die Welle asiatischer Models, deren Erfolg tatsächlich Experten der boomenden Wirtschaftslage ihrer Heimatländer, vor allem China, zugeschrieben haben. Und zuletzt die deutsche Vogue, auf deren aktueller Ausgabe gerade wieder ein dunkelhäutiges Model zu sehen ist, obwohl man sehr klar nachzählen kann, dass sich Titelseiten mit dunkelhäutigen Models in europäischen Ländern nicht so gut verkaufen wie solche mit hellhäutigen.

Es gibt sie also zuhauf, die löblichen Ausnahmen. Und dennoch: Im Jahr 2014 wurden auf 611 Covern der 44 größten Modemagazinen der Welt nur 18 Prozent nicht-weiße Frauen gezeigt.

Sorge um Muskelmasse

Ein weiterer Grund neben der Gewohnheit und Traditionsverbundenheit der Branche ist dafür auch ihre körperliche Standarderwartung. Das Durchschnittsmädchen auf dem Laufsteg ist ja nicht nur weiß, sondern auch zwischen 1,78 und 1,85 Meter groß, trägt Konfektionsgröße 34 bis 32 und hat glatte Haare, die eine Handbreit unter der Schulter enden. Menschen aus Asien sind im Durchschnitt nur 1,66 Meter groß. Frauen in Latein- und Mittelamerika sind oft kurvenreicher gebaut als in Europa, vor allem um Oberschenkel und Po. Und auch Haarfarben unterscheiden sich. Die Logik des einheitlichen Schönheitsideals führt dadurch in ein Dilemma. Um ihm zu entsprechen, müssen zum Beispiel dunkelhäutige Models mit krausem Haar permanent investieren.

Amelia Williams, deren Name auf eigenen Wunsch geändert wurde, zog vor zwei Jahren von Jamaika nach New York, um dort mit dem Modeln zu beginnen. Sie steckt viel Zeit und Geld in sogenannte Weave-ons, glatte Echthaarverlängerungen, die auf die eingeflochtene Krause genäht werden. "Die ständigen Sitzungen muss man sich auch erst mal leisten können." Und auch körperlich fühlt sie sich durch das prägende Schönheitsideal durchaus unter Druck gesetzt: "Weiße Mädchen können für ihre Figur Sport treiben, wie sie wollen, ich muss aufpassen, dass die Muskelmasse nicht zu viel wird."

Natürlich ist das diskriminierend. Andererseits gilt das auch für viele Frauen, die den "europäisch kaukasischen Look" verkörpern und die gängigen Schönheitsideale der Branche ebenso wenig erfüllen. Die fehlende Diversität in der Mode liegt also letztlich daran, dass sich das Schönheitsideal der Branche eben nicht an der Realität auf der Straße orientiert, sondern an der eigenen Schöpfung. Die gesamtgesellschaftliche Wahrnehmung dessen, was als "schön" empfunden wird, ist da allerdings schon viel weiter. Das betrifft nicht nur die Hautfarbe, sondern auch die Körpergröße und die Figur. Bisher wird das von der Mode noch zu stark ignoriert. Und es würde viel Mut kosten, das zu ändern.

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