Die Diktatur der Weihnachts-Deko:Ich geb' mir die Kugel

So schlimm war es noch nie: Wo man hinschaut, weihnachtliche Geschmacklosigkeiten - jede Menge Natur, Esoterik, Nostalgie und sehr viel Purpurlilaviolett. Ach, es ist furchtbar. Und so schön.

Gerhard Matzig

Taxifahrer und Frisöre sind ja ganz grundsätzlich verboten. Also, so in der Zeitung, im Artikel, als Kronzeugen der eigenen Meinung. Keiner, der auf sich hält, würde einen Frisör heranziehen, um einem Text Glaubwürdigkeit zu geben. Das wäre abgeschmackt, klischeehaft, überflüssig, fummelig. Andererseits: Bald ist Weihnachten, die hohe Zeit der Dekoration, ein Reich der absurden und absurdesten Zutaten. Da kommt mein Frisör gerade recht.

Weihnachtsschmuck

Bunte Kugeln überall - das wird wieder ein harter Monat für Puristen.

(Foto: dpa)

Es ist nämlich so, dass mein hochrespektabler Frisör auch deshalb mein Frisör ist, weil sein Laden nicht "Hairlich" heißt. Oder "Hairgott". Oder "Haargenau". Oder "On Hair". Kein Schnickschnack, nirgends. Der Laden besteht aus zwei Stühlen, zwei Spiegeln, einem Stapel Les- bis Guck- oder zumindest Blätterbares - und im Eck steht ein Besen. Einmal schneiden. Danke. Bitte. Mein Frisör, ich preise ihn, ist ein Monument der Schnörkellosigkeit. Eine absolut dekofreie Zone. Ein Refugium, wo der Begriff "less is more" (oft Mies van der Rohe zugeschrieben) nicht nur erfunden wurde - sondern auch zu sich selbst findet. Zur Adventszeit hing, o ja: hing als maximal-konsensuale Anpassungsgeste bisher immer ein grüner Kranz mit vier roten Kerzen unter der Decke. Klassisch. Geradeaus. Einfach. Weniger ist mehr. War mehr.

Dort, wo immer der Less-is-more-Kranz hing, befindet sich jetzt ein, was soll ich sagen, ein Gebilde, das aussieht, als habe es ein Kunde aus der Requisitenkiste von "Holiday On Ice" mitgehen lassen: eine träumerisch verspielte, irgendwie flockig aussehende, raumgreifende, raureifartige Tannen-Engel-Kerzen-Kugel-Girlanden-Plastik, bei der einem sofort das Wham!-wahnsinnige "Last Christmas" einfällt und die nächsten 24 Stunden nicht mehr aus dem Ohr geht, bis man seinen Kopf vor Verzweiflung und zum Erstaunen der Passanten immer und immer wieder gegen eine Friedhofsmauer schlägt. Ich gebe zu, ich übertreibe etwas, ich leide zur Weihnachtszeit generell ein wenig. Aber doch: So schlimm war es noch nie. Wenn der Anti-Hairgott sich nicht mehr dem Deko-Furor entgegenstemmt - wer dann?

Wo man hinblickt: Die Weihnachtsdekosaison 2011 ist wirklich extrem - wie zum Hohn auf die Austerity-Ära. Oder eben drum? Wenn schon die Staaten, Banken und AAA-Ratings den Bach runtergehen, mag man sich sagen, gerade dann muss man das Leben zurechthübschen. Zumal zur Weihnachtszeit - oder wie George Michael das, hm, singen würde: To save me from tears. Wenn es schon ungemütlich ist da draußen - dann muss es wenigstens stimmungsaufhellend aussehen. Unterm Weihnachtsbaum. Im Vorgarten. Zu Tisch. Im Treppenhaus. Und unter dem Balkon, wo gerade wieder ein Ho-ho-ho-ho-Weihnachtsmann die Kletterschockstarre übt, während das illuminierte Rentierschlittengespann im immer noch schneelosen Matsch feststeckt.

Spätestens aber mit Blick auf die blätterlosen Bäume, deren Geäst mit funzeligen Dioden nachgezeichnet wird, fällt mir stets Adolf Loos ein, von dem die großartige Schrift "Ornament und Verbrechen" stammt. Der sagte einmal: "Gemütlich bin ich selbst." Wäre Loos nicht schon 1933 gestorben, so wäre er unweigerlich durch den Satz "Die Natur dient als Haupt-Inspirationsquelle für die weihnachtlichen Dekotrends 2011" qualvoll verendet. Oder an den vielen Neben-Inspirationsquellen. Die Trends also, von denen man sich wünscht, dass einmal, einmal nur, das Wort "Trend" nicht im Trend sein möchte - hier sind sie:

Die schlimmschönsten Trends

Der Naturtrend richtet viel Hölzernes an, dazu Jutiges und Gebranntlehmiges. Seltsamerweise aber kommt er nicht auf die Idee, die Natur einfach mal nur Natur und somit das Dekorieren ganz (wie den geköpften Weihnachtsbaum als Ganzes) sein zu lassen. Der Natur jedenfalls zur Seite steht in diesem Jahr der Nostalgietrend. Zur Berliner Schloss-Tapete, der Renaissance der Benimm-Kurse und dem Schwarzweiß-Abi-Ball gesellen sich also reich verzierte, scheinbar mundgeblasene Vintage-Kugeln, made in China, sowie Großmutters Erzgebirgeset, made in Erzgebirge.

Tradition schließt aber Innovation nicht aus. Weshalb derzeit auch der amerikanische Mistelzweig zu uns stößt. Halloween hat sich bewährt. Dazu passen die weihnachtlich gestimmten Buddha-Figuren aus dem Asia-Xmas-Kit. Das Patchwork-Weihnachten ist da grundsätzlich eine weltanschaulich offene Angelegenheit - zumindest so lange, bis jemand den problematischen Migrationshintergrund (Weihnachten schafft sich ab) mal ganz offen anspricht.

Der Hammertrend geht aber eh ganz woanders hin: Er geht zum Lila. Zum Purpur. Zu Mauve, Malve und anderen Farbtönen, die vormals Drag-Queens vorbehalten waren - nun aber auch die Nordmanntanne kleiden. Neuerdings ja auch die SPD, die sich anlässlich ihres jüngsten Parteitags eine neue adventliche Signalfarbe gegeben hat. Advent (von adventus, Ankunft) ist ja die Zeit, sich auf die Menschwerdung Gottes vorzubereiten - auch wenn sich dieses Phänomen außerhalb der sozialdemokratischen Glaubenslehre nicht auf Anhieb mit Sigmar Gabriel assoziieren lässt.

Sonst? Bunt ist angesagt, dazu Fancy Folk. Die Geisha-Christbaumkugel: na. Und wenn Sie Ihren Baum mit gläsernen Gartenzwergen dekorieren, demonstrieren Sie eine ganz herrlich feine Ironie. Was sogar noch schlimmer ist, als ein delirierender Weihnachtsdekofan oder übelstgelaunter Christbaumkugelverweigerer zu sein. Wie ich. Was auch blöd ist. Nun, ich muss los, Baum besorgen. Und Kerzen. Purpurkerzen vielleicht?

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