Designerwechsel:Den Faden verloren

Nach Jil Sander kam Raf Simons, dann wieder Jil Sander, nun Rodolfo Paglia- lunga. Wie viele Personalien verträgt eine Modemarke?

Von Silke Wichert

Der Mann, den alle Rudi nennen, sitzt in einem der berühmten klinisch weißen Räume, hinter ihm sieht man durch das Fenster auf das Castello Sforzesco, eine Renaissance-Festung in der Mailänder Innenstadt. Er selbst hat auch so etwas wie eine Schlacht hinter sich. Am Tag zuvor präsentierte er seine erste Damenkollektion hier im Showroom für die Marke Jil Sander. Gewohnt androgyner Stil, ein bisschen lässiger als sonst, viele Shorts, hübsche Hemden mit Ziehbändchen. "Ich würde das alles anziehen wollen, wenn ich eine Frau wäre", sagt Rudi. Zumindest die Shorts trägt er bereits.

Die Kritiken sind durchwachsen, aber mit wohlwollendem Grundton. Denn eigentlich mögen alle den Italiener mit den kurzen grauen Haaren und der noch drolliger aussehenden Zahnspange. Vor allem wissen alle: Dieser Designer hat sowieso schon einen schweren Job, vielleicht den schwersten der ganzen Modewelt.

Der Mann heißt eigentlich Rodolfo Paglialunga. Weil das schwer aussprechbar ist, nennen ihn alle einfach nur Rudi. Er hat lange bei Prada gearbeitet, zuletzt als "Women's Design Director". Dann war er kurz Chefdesigner der wiederbelebten Marke Vionnet, behielt den Job aber nicht lange genug, um bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Als er vergangenen Juni als neuer Kreativdirektor von Jil Sander präsentiert wurde, sagte der Name den Nicht-Modeleuten also erst einmal: gar nichts.

Das ist im Moment fast so etwas wie ein Trend. Viele Marken holten zuletzt Leute aus der zweiten Reihe. Alessandro Michele bei Gucci, Nadège Vanhee-Cybulski bei Hermès, Julie de Libran bei Sonia Rykiel. Nur haben die meisten dieser Häuser nicht ganz so viel Hin und Her erlebt und brauchen vielleicht nicht ganz so dringend ein Ausrufezeichen wie Jil Sander.

Jil Sanders zweites Comeback bei ihrem eigenen Label dauerte nur drei Saisons

Designerwechsel: Jil Sander verließ ihr Haus im Jahr 2000, kehrte 2003 zurück und noch einmal 2013. Oben ein Entwurf aus dieser Zeit.

Jil Sander verließ ihr Haus im Jahr 2000, kehrte 2003 zurück und noch einmal 2013. Oben ein Entwurf aus dieser Zeit.

(Foto: Getty Images (oben), dpa)

Der langjährige und dann, wie es heißt, am Telefon abservierte Chefdesigner Raf Simons verabschiedete sich nach der Herbstkollektion 2012 unter Tränen. Dann wurde mit großem Trara die Gründerin Jil Sander als neue/alte Designerin präsentiert. Das war schon ein ordentlicher Scoop, so etwas erlebt die Modewelt auch nicht alle Tage. Als würde Helmut Schmidt noch einmal für die SPD rekrutiert. Doch nach nur drei Saisons war das Happy End schon wieder vorbei. Jil Sander verließ das Haus erneut, um sich um ihre erkrankte - inzwischen verstorbene - Lebensgefährtin zu kümmern. Seitdem hat sie sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Erst übernahm ihr Designteam, nun also Rudi.

Bemerkenswert, dass ausgerechnet bei der Marke, die für absoluten Purismus und Klarheit steht, hinter den Kulissen das größte Chaos herrscht.

Ein Jahr ist Paglialunga jetzt Chefdesigner, die Zahnspange ist er mittlerweile los, den Erwartungsdruck noch lange nicht. Er muss allmählich beweisen, dass er eine Vision für die Marke hat, bevor sich nach all den Richtungswechseln keiner mehr dafür interessiert, ob es überhaupt noch eine gibt. Im Februar lieferte er eine zweite, sehr viel stärkere Damenkollektion für den nächsten Herbst ab. Oberteile und Kleider mit farbigen Querstreifen - und eine ganze Armada toller Mäntel. Sämtliche Modekritiker über 1,70 Meter schrieben, dass sie gern eines dieser langen Exemplare hätten, den blauen klassischen, den grünen aus "unlined" Kaschmir und natürlich den geschorenen schwarzen Nerzmantel. Kommerziell galt ja bislang als Schimpfwort in der Mode, mittlerweile geht ein bisschen davon vollkommen in Ordnung - zumal bei einer Marke, die ein bisschen Abverkauf offensichtlich gebrauchen kann. Schon unter Raf Simons soll Jil Sander konstant im roten Bereich gewesen sein. 2013 fiel der Umsatz von 110 Millionen Euro auf 72,5 Millionen, der Verlust liegt mittlerweile angeblich bei 74 Millionen. Circa 50 Leute wurden bereits vor die Tür gesetzt, das Designteam ist geschrumpft. Ein paar Mäntel werden es nicht rausreißen.

Was ist bloß passiert mit der Marke, die 1975 von Jil Sander gegründet wurde und die Ästhetik der Neunzigerjahre so entscheidend prägte? Die so zeitlos war und deshalb doch eigentlich nicht aus der Zeit fallen konnte? Nach den überladenen Achtzigern war der Minimalismus der "Queen of Clean", so der Titel von Jil Sander, eine Sensation, vor allem war er nahezu einmalig. Nie wieder hat eine deutsche Marke in der internationalen Modewelt so viel Aufsehen erregt. Wann immer es seitdem um "german style" ging, war damit unweigerlich Jil Sander gemeint. Wer sich so kleiden wollte, konnte noch zu Helmut Lang greifen, viel mehr war nicht. Vor allem nichts Erschwingliches. Aber seit der H&M-Ableger Cos nichts anderes als einfarbiges Understatement anbietet, ist die Grundversorgung vieler damit gesichert. Dann kam 2008 Phoebe Philo zu Céline. Wer seitdem klug gemachten und auch noch femininen Minimalismus will, nun ja, der geht eben dorthin.

Designerwechsel: Rodolfo Paglialunga übernahm 2014. Zuvor arbeitete er für Vionnet und Prada. Seine jüngste Kollektion für die Herbst- und Wintersaison 2015/16 erhielt positive Kritiken.

Rodolfo Paglialunga übernahm 2014. Zuvor arbeitete er für Vionnet und Prada. Seine jüngste Kollektion für die Herbst- und Wintersaison 2015/16 erhielt positive Kritiken.

(Foto: Getty Images)

Der Ansatz von Raf Simons, Jil Sander ein bisschen weniger dunkelblau und sachlich, dafür avantgardistischer und fragiler zu gestalten, war zumindest ein Weg, die Marke wieder zeitgemäß zu machen. In jedem Fall war sie relevant. Legendär sind seine Maxi-Röcke zu T-Shirts, in denen die Models wie in brusthohen Vasen standen. Danach war die lange Länge überall zurück. Seine pastellfarbenen Mäntel - für den Winter! - waren laut Einkäufern damals ein Bestseller. Auch die Presse liebte seine Kollektionen, die konservative Jil- Sander-Kundin offensichtlich weniger. Allerdings heißt es von ehemaligen Mitarbeitern auch, die Geschäftsführung habe Raf Simons nie wirklich machen lassen und ständig den Geldhahn zugedreht, ihm die schlimmsten Zulieferer verordnet. Man sieht jetzt bei Dior, wozu Simons in der Lage ist - wenn man ihn lässt.

Erst für die zurückgekehrte Jil Sander soll die japanische Onward-Holding, die die Marke 2008 kaufte, noch einmal alles mobilisiert haben. Sie durfte anfangs teuerste Stoffe nutzen, alles und jeden zwischen Hamburg und Mailand hin- und herschicken, Joe McKenna, ihren legendären Lieblings-Stylisten, anheuern. Sander war immer durch und durch Unternehmerin. Und Perfektionistin. Wenn sie abends an der Mailänder Boutique vorbeilief und die Schaufensterbeleuchtung nicht ihren Vorstellungen entsprach, musste jemand kommen und das in Ordnung bringen. Sofort.

Auch was das Design anging, hatte sich nichts geändert. Ihre Schnitte waren immer noch präzise auf den Punkt, dazu injizierte sie neues Volumen. Am ganzen Körper zitternd, nahm sie nach der ersten Show backstage die Glückwünsche entgegen. Man merkte, sie wollte das alles wirklich. "Ich bin wieder zu Hause", hat sie damals gesagt. Es war wohl bei allen der unbedingte Glaube, mit Jil Sander würde Jil Sander wieder Jil Sander werden.

Paglialunga sagt über seine Vision einen Satz, den fast alle Folgedesigner eines bekannten Hauses herunterbeten: "Ich respektiere die DNA, will ihr aber auch meine eigene Handschrift geben." Aber ein bisschen "+J" oder "-J", ist es das wirklich, worum es noch geht? Bräuchte die Marke nicht vielmehr das, was sie ihren Kunden immer verspricht: einen klaren Schnitt? Etwas, das auch all jene wachrüttelt, die nach dem dritten Designerwechsel den Überblick verloren haben, wofür das Label steht?

Designerwechsel: Raf Simons, heute bei Dior, wurde 2005 Chefdesigner von Jil Sander. Oben ein Look aus der Sommerkollektion 2011.

Raf Simons, heute bei Dior, wurde 2005 Chefdesigner von Jil Sander. Oben ein Look aus der Sommerkollektion 2011.

(Foto: Getty Images)

Schöne Kollektionen allein reichen in diesen imagegesteuerten Zeiten nicht mehr aus. Bei Online-Boutiquen wie Net-A-Porter und Mytheresa wird in der Kategorie "Designer" - der kurze Weg zu den begehrtesten Marken - nur noch ein Name mit J gelistet: Jimmy Choo.

Das Management der Firma ist, vorsichtig gesagt, nicht gerade das kreativste

Bisher hat sich Jil Sanders Markenauftritt kaum verändert, die Anzeigenkampagne dieses Sommers war bemerkenswert blass. Das Management ist, vorsichtig gesagt, nicht das kreativste. Immerhin die Preise, die mit Sander noch weiter durch die Decke gingen, bis ein Top fast 1000 Euro kostete, sind wieder ein bisschen gefallen. Die Blusen mit Ziehbändchen und die seitlich weit aufspringenden Röcke hängen jetzt im Berliner Laden "The Store" zwischen jungen und ziemlich angesagten Labels wie J.W. Anderson und Proenza Schouler. "Zurück zur Nische" könnte ein Weg sein. Ein paar gute Accessoires könnten auch nicht schaden. Man mutmaßte bereits, Paglialunga habe Jil Sander mit der "View Bag", einer Handtasche, die beim Anheben lässig in der Mitte zusammensackt, die erste It-Bag verschafft.

Zwei Jahre rechnet man, bis ein Designer im Unternehmen angekommen ist und die neue Strategie den Kunden erreicht. Mal geht es schneller, mal langsamer. Mal laut, mal leise. Mal gar nicht. Hoffentlich gibt man Paglialunga genügend Zeit, richtig anzukommen. Nach seiner ersten Show sagte der Designer, er würde sich wünschen, dass die Frauen von Paris bis Japan wieder Vionnet tragen. Ein Versprecher, er meinte natürlich Jil Sander.

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