Süddeutsche Zeitung

Designermode für Billigmarke Uniqlo:Ungewöhnliche Fast Fashion

Lesezeit: 4 min

Der französische Luxusdesigner Christophe Lemaire hat für die japanische Billig-Kette Uniqlo eine Kollektion entworfen. Das Beste daran: Sie ist schlicht.

Von Tanja Rest

Treffen sich ein japanischer Textilriese und ein leiser französischer Luxusdesigner. Sagt der Textilriese: "Konnichiwa! Du und ich, wir sind einander ähnlich. Wir sollten uns zusammentun." Sagt der leise französische Luxusdesigner: "Avec plaisir. Lass es uns versuchen."

Ungefähr so, glaubt man Christophe Lemaire und den Verantwortlichen bei Uniqlo, ist der Deal vor einem Jahr eingefädelt worden, ein kurzes Kennenlernen, ein paar höfliche Gespräche, am Ende der Handschlag. Dann fünf oder sechs Flüge zwischen Paris und Tokio, die Verzahnung der Designteams, und neun Monate später hängt die Musterkollektion in einem von atmosphärischem Geklimper durchwehten Showroom im Pariser Marais.

Es ist der 7. Juli 2015, Couture-Woche. Wer zwischen zwei Terminen noch eine Viertelstunde übrig hat, drängt sich hier schwätzend, tweetend und grünen Tee schlürfend an zwei prall gefüllten Kleiderstangen vorbei. Eine für die Damen. Eine für die Herren. Hosen, Blusen, Röcke, Pullis, Jacken, Mäntel. Alles Basics in unkomplizierten Farben, wenig aufregend auf den ersten Blick, gut gemacht auf den zweiten, raffiniert auf den dritten. Auf den Etiketten steht: "Uniqlo and Lemaire".

Lemaires Kollektion ist erst auf den zweiten Blick raffiniert

Auf einer Couchgarnitur im Eck sitzt diskret lächelnd der Designer, 50, er trägt ein safarigrünes Hemd, eine ebensolche Hose und einen ins Rötliche changierenden Vollbart. In der freien Wildnis wäre Christophe Lemaire praktisch unsichtbar, und auch hier, inmitten des allgemeinen Geschnatters und der übersteigerten Wichtigkeit, fällt er praktisch nicht auf. Zweimal schiebt man das Aufnahmegerät näher ran, weil seine Worte auf ihrem Weg durch den Raum zu versickern drohen.

Was sagt einer, wenn er der dicke Fisch ist, den ein noch gewichtigerer Angler aus dem Wasser gezogen hat? Der in diesem Moment auch noch neben ihm sitzt in Gestalt von Yuki Katsuta, Head of Research & Design bei Uniqlo? Klar, er sagt all die richtigen Sätze. Dass es eine Ehre gewesen sei, mit einem Team aus Japan zu arbeiten, das so hingebungsvoll der Qualität verpflichtet sei. Dass man die Philosophie teile, die auf Tragbarkeit, Zeitlosigkeit, Hochwertigkeit beruhe. Dass man als Designer am Ende niemals ganz zufrieden sei, "aber das Konzept steht, und es ist gut". Lemaire nickt und lächelt. Herr Katsuta nickt und lächelt auch.

Uniqlo ist ein hierzulande noch kaum bekannter (und im Deutschen auch etwas unglücklich klingender) Name, hinter dem ein Global Player steht: Fast Retailing, die hyperaktive Unternehmensgruppe von Tadashi Yanai, dem reichsten Mann Japans. Zu Fast Retailing gehören Marken wie Helmut Lang, Comptoir des Cotonniers und Theory, aber das wertvollste Pferd im Stall ist Uniqlo.

1984 wurde der erste Laden für Alltagskleidung unter dem Namen "Unique Clothing Warehouse" in Hiroshima eröffnet, heute betreibt das Unternehmen weltweit mehr als 1400 Filialen und beschäftigt 30 000 Mitarbeiter. An der Berliner Tauentzienstraße, vis-à-vis dem KaDeWe, ging vor einem Jahr der erste deutsche Store an den Start. Und so unerquicklich man sich den hiesigen Markt zwischen all den Zaras, Mangos und H&Ms auch vorstellen mag: Am Freitag eröffnet am Leipziger Platz bereits die zweite Dependance; weitere Filialen an anderen Standorten sind geplant.

Das Big Picture sieht de facto so aus: Marktherrschaft im modischen Günstigsegment. Ende 2013 lag Fast Retailing noch an vierter Stelle hinter dem spanischen Inditex (Zara), Gap und H&M; für 2020 hat das Unternehmen angekündigt, seinen Umsatz zu verdreifachen auf dann umgerechnet 38 Milliarden Euro. Kurz gesagt: Fast Retailing ist der kommende Kraftprotz auf Europas Einkaufsstraßen und Uniqlo sein oberstes Muskeltier.

Das allerdings ganz freundlich-pur daherkommt, in anschmiegsamen Wollhosen etwa, weißem T-Shirt ohne alles, einem kuscheligen Cardigan bis über die Knie, dazu vielleicht ein schiefergraues Cape für 149,90 Euro. Alles Dinge, nach denen man bisher lange suchen musste, wenn man nicht viel Geld auszugeben hatte, weil billig ja meistens bedeutet: mehr. mehr Glitzer, mehr Rüschen, mehr Muster; weil billig ist, wo überall was draufpappt, während der wahre Luxus immer öfter in der Reduktion besteht. Und da sind wir bei Lemaire.

Der Mann ist alles, was Fast Fashion nicht ist. Unaufgeregt, leise, aufs Wesentliche konzentriert. Von ihm stammt der Satz: "Ich bin nicht schwul und nicht verrückt nach Fashion Shows, vielleicht ist das einfach nicht das richtige Business für mich." Da war er Mitte zwanzig und wollte aufhören. Aber dann beendete er doch seine Ausbildung bei Thierry Mugler, ging später zu Christian Lacroix und heuerte dann für zehn Jahre als Kreativchef bei der sportiven Marke Lacoste an, die er ordentlich entstaubte und auf Kurs brachte. Die nächste Station war bereits die amtliche Hochburg des distinguierten Luxus. Hermès. Synonym für: die teuersten Materialien, die besten Schneider, Kürschner und Täschner, eine Kapitale der Eleganz, die sich so unbeirrt durch die Zeiten schiebt wie ein Tanker durch aufgepeitschte See. Lemaire kam als Nachfolger von Jean Paul Gaultier. Er blieb vier Jahre.

Wie ist das, wenn man so lange aus dem Vollen geschöpft hat und nun aufpassen muss, dass der Preis für eine Jacke 150 Euro nicht überschreitet? Er sagt: "Manchmal ist es gar nicht leicht, ohne Beschränkungen zu arbeiten. Denn Kreativität entsteht gerade dann, wenn es Grenzen gibt." Und weil das womöglich selbst für seine Ohren euphemistisch klingt, schiebt er noch hinterher: "Beide Häuser, Hermès und Uniqlo, machen Kleider, die du nicht nur verstehst und willst, sondern auch brauchen kannst. Daher ist mir die Umstellung nicht schwergefallen."

Seit fast 25 Jahren hat das Paar ein eigenes Label

Ein anderer Aspekt, den man in Anwesenheit von Herrn Katsuta allerdings umschiffen muss, ist sein eigenes Label Lemaire, das er vor bald 25 Jahren gegründet hat und der offizielle Grund war für seinen Ausstieg bei Hermès. Er betreibt es gemeinsam mit seiner Lebenspartnerin Sarah-Linh Tran, die auch im Showroom an seiner Seite ist, ein apartes Geschöpf von großer Schweigsamkeit. Lemaire, die Marke, hat sich langsam, aber hartnäckig in den Mode-Radar geschoben - Minimalismus en greige, den manche sturzlangweilig, immer mehr Leute aber faszinierend und zeitgeistig finden. Ein solches Label auf mittelgroßer Flamme zu betreiben aber kostet Geld. Uniqlo hat Geld.

Was Uniqlo (noch) nicht hat, ist die Glaubwürdigkeit im Westen. Seit vielen Jahren kauft man sich daher große Namen für viele Saisons ein, Jil Sander etwa, Alexander Wang, Carine Roitfeld oder das frühere Chanel-Girl Inès de la Fressange. Ein gewesener Hermès-Designer passt da prima ins Portfolio, und die Kollaboration, obgleich noch nicht offiziell bestätigt, wird wohl weitergehen.

Was also kriegt, wer "Uniqlo with Lemaire" kauft, diese Kollektion für Männer und Frauen, die seit dem 2. Oktober weltweit in den Läden hängt? Er bekommt tatsächlich gute Basics, zeitlos, mit modernen Schnitten, und besonders die Wollteile machen einen qualitativ hochwertigen Eindruck. Er trägt aber auch dazu bei, dass der Kampf um die Verkaufsflächen in deutschen Shopping-Straßen, die schon heute fast ausschließlich von internationalen Ketten belegt sind, noch ein ganzes Stück härter wird als bisher.

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Quelle:
SZ vom 10.10.2015
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