Designer Jason Wu bei Boss:Eine Nummer größer

Jason Wu

Jason Wu nach der Präsentation seiner neuen Kollektion in New York am 13. März.

(Foto: AP)

Der Designer Jason Wu wurde 2009 über Nacht mit einem Kleid für Michelle Obama berühmt. Jetzt soll der New Yorker die Marke Hugo Boss, bekannt für ihre Anzüge, internationaler machen. Ein Besuch am Fuß der Schwäbischen Alb bei einem Mann, der sagt: "Ich helfe aus."

Von Silke Wichert, Metzingen

Moderne Architektur am Fuße der Schwäbischen Alb

Der hübsche Nebeneffekt bei der Verpflichtung eines neuen Designers ist ja, dass das für die Modepresse sofort eine Geschichte ergibt, erst mal egal, wie die Kollektion dazu ausfällt. Und weil Boss vor eineinhalb Jahren den taiwanisch-kanadisch-amerikanischen und vor allem international bekannten Designer Jason Wu für die Damenkollektion engagierte, schrieben danach also auch die internationalen Publikationen "Meet the new Boss", "Who's the Boss?" und so weiter. Sämtliche denkbaren Wortspiele mit diesem Namen gelten hierzulande als abgeschmackt, anderswo sind sie da noch nicht so pingelig. Was damit zu tun haben dürfte, dass anderswo in den vergangenen Jahren nicht so viel über die Marke geschrieben wurde.

Das beschauliche Metzingen bekommt jetzt mehr Besuch aus dem Ausland als sonst, und die meisten, die am Firmensitz der Hugo Boss AG aus dem Taxi steigen, sind dann erst einmal tief beeindruckt, dass es moderne Architektur irgendwie an den Fuß der Schwäbischen Alb geschafft hat. Das Hauptgebäude ist ein verglastes Atrium, drinnen polierte Betonböden, die Kantine ist mit Möbeln der Manufaktur e15 eingerichtet, drumherum weitläufige Campus-Architektur. Das Herzstück des Gebäudes bildet ein riesiger Lichthof, in dem ihr neuer Stardesigner gerade für alle Mitarbeiter sichtbar die nächste Herbstkollektion an zwei Models fotografieren lässt.

Eigentlich gibt es bei Boss natürlich ein voll ausgestattetes Fotostudio für solche Zwecke, aber der Raum war ihm zu klein. Man fliegt doch nicht den ganzen Weg aus New York hierher und setzt sich dann irgendwo ins schummrige Kämmerlein. Jetzt ist der größte verfügbare Raum sein Fotostudio. Think big.

Jason Wu wurde mit einem Abendkleid für Michelle Obama bekannt

Jason Wu ist mit einem Abendkleid für Michelle Obama bekannt geworden. Diese fedrige, weiße One-Shoulder-Robe, die sie beim Ball zur Amtseinführung ihres Mannes trug. Damals fragten alle: "Jason - who?" Der Mann kennt sich aus mit Wortspielen. Es konnte ihm egal sein, er war 26, er hatte hart für diesen Moment gearbeitet, sich mit dem Entwerfen von Puppenkleidern sein Studium finanziert, war kurzerhand nach Chicago geflogen, um das Kleid persönlich bei der neuen First Lady abzugeben. Danach waren sein Name und seine eigene Linie Jason Wu über Nacht etabliert.

U.S. first lady Michelle Obama donates her 2009 Inaugural Ball gown to the Smithsonian's National Museum of American History

Dieses Abendkleid machte Jason Wu über Nacht berühmt. Michelle Obama trug es 2009 zur Amtseinführung ihres Mannes. Heute kann es in einem Museum bewundert werden.

(Foto: REUTERS)

So richtig abgehoben hat sein Label dann aber doch nicht, jedenfalls nicht so wie die anderer junger amerikanischer Designer, wie Alexander Wang. Ein Angebot von einem Megakonzern wie Hugo Boss konnte Jason Wu gar nicht ablehnen. Vielmehr fragten sich einige in der Branche, ob er für Boss der Richtige sei. Etwas Businesstaugliches hatte der Mann noch nie über den Laufsteg geschickt. Er ist 32, sieht aber selbst wenn er Anzug trägt, was er oft tut, eher nach Mitte zwanzig aus. "Wenn Sie die Anforderungen für diesen Job in eine Google-Suche getippt hätten - mein Name wäre da nicht aufgetaucht", gibt Wu zu. Die Suche nach dem passenden Designer hat lange gedauert. Wahrscheinlich war der New Yorker nicht die erste Wahl. Dafür hat die einflussreiche Vogue-Chefin Anna Wintour ihn angeblich ins Gespräch gebracht.

"So ein modernes Atelier gibt es sonst nirgendwo"

Bei seinem ersten Besuch in Metzingen kam er unangemeldet und ging als Erstes in das "Technical Center", wo die Prototypen der Entwürfe gefertigt werden. Fassungslos sei er gewesen, sagt Wu. "So ein modernes Atelier gibt es sonst nirgendwo." Und alles sei so perfekt durchorganisiert, so - na klar: "deutsch". Das "Technical Center" ist eine nüchterne Anordnung von Fertigungsstraßen mit ein paar vor sich hinvegetierenden Benjamini-Bäumchen dazwischen. Hier wird mit Stoffen experimentiert und maschinell vernäht, was eigentlich nur von Hand möglich zu sein scheint. Scheren gibt es keine mehr, alles ist Lasercut. "Man kann hier so viel machen, so viel mehr als bisher", sagt Wu.

Designer Jason Wu bei Boss: Auf Hochglanz getrimmt: Die Firmenzentrale in Metzingen, die Hugo Boss vergangenes Jahr bezog, ist ein moderner Bau aus Glas und Stahl.

Auf Hochglanz getrimmt: Die Firmenzentrale in Metzingen, die Hugo Boss vergangenes Jahr bezog, ist ein moderner Bau aus Glas und Stahl.

(Foto: Boss)

Auf dem Weg zurück zum Hauptgebäude kommt man an einer Glastür vorbei, auf der ein weißes DIN-A4-Blatt klebt: "Entdecken Sie unseren neuen Power-Napping-Raum!" Nicht bei allen Trends ist man in Metzingen ganz vorne mit dabei.

2,57 Milliarden Euro Umsatz, 10 000 Mitarbeiter

Designer Jason Wu bei Boss: Metallische Strenge: Designs aus der neuen Herbst-/Winterkollektion.

Metallische Strenge: Designs aus der neuen Herbst-/Winterkollektion.

(Foto: Boss)

Genau das beschreibt vielleicht ganz gut den Spagat, den dieses Unternehmen gerade versucht zu machen. Hugo Boss ist das, was man einen "Heavy Hitter" nennt, ein Schwergewicht mit 2,57 Milliarden Euro Umsatz, 10 000 Mitarbeitern, mehr als 6000 Verkaufsstellen. Der Aktienkurs ging die letzten sieben Jahre unter der Führung von CEO Claus-Dietrich Lahrs stetig nach oben. Luca Solca, Chefanalyst für den Luxusmarkt bei der Investmentbank Exane BNP Paribas, bewertet die Aktie als "outperform" und rät zum Kauf. Warum also überhaupt einen neuen Designer holen?

Weil die Schwaben immer noch zu einem guten Teil "HAKA" und "DOB" fertigen statt großer Mode - also Herrenkonfektion und Damenoberbekleidung. Selbst im Technical Center ist noch überall von DOB und HAKA die Rede. Wu hat diese Begriffe freilich noch nie gehört. "D-O-B?" - what's that?" Er schaut irritiert, auf Englisch klingt das nach Achtzigerjahre-Boygroup. Er ist für "High Fashion" zuständig, deshalb haben sie ihn geholt. Sie wollen es jetzt wirklich wissen. Wo sie früher, uli-hoeneß-like, vielleicht doch zu sehr das Festgeldkonto hüteten und sich auf deutsche Tugenden beriefen, wagen sie nun endlich etwas. Von den Großen des Landes sind ja auch nur noch sie übrig. Jil Sander - längst verkauft. Escada - in der Bedeutungslosigkeit versunken. Rena Lange - wird gerade abgewickelt. Aber wer international wahrgenommen werden will, muss natürlich auch bei einer internationalen Fashion Week präsent sein. Praktischerweise sitzt Jason Wu ohnehin in New York.

Darum passt Jason Wu perfekt zu Hugo Boss

Früher, als die Schwaben noch bei der Berliner Modewoche mitmachten, war Boss dort das absolute Highlight. Nicht der Mode wegen. Sie hatten die besten Locations, die größten Stars, sie gaben die rauschendsten Feste. Die "Hugo"-Party von 2007 in der russischen Botschaft ist noch heute legendär. Der Champagner wurde irgendwann in Flaschen statt Gläsern verteilt.

Damals war Bruno Pieters gerade vom damaligen Geschäftsführer Bruno Sälzer für die junge Marke von Boss engagiert worden. Der erste namhafte Designer im Haus. Und dann gleich ein belgischer Avantgardist! Es funktionierte überhaupt nicht. Die Kollektion verkaufte sich mäßig, Pieters passte nicht in die Strukturen der Maschine Hugo Boss, nach drei Jahren war sein Engagement zu Ende. Sälzer-Nachfolger Claus-Dietrich Lahrs hatte dann wohl erst einmal die Nase voll von Star-Designern. Er kam von Dior und war John-Galliano-erprobt. In einem Interview erklärte er, die Marke sei bei Boss der Star. Man würde sich immer wieder Talente ins Haus holen, aber nur temporär. Was man halt so sagt, wenn eine Idee gerade gescheitert ist.

Silberne Mesh-Kleider und Dutzende Prominente

Designer Jason Wu bei Boss: Ein Kleid aus der Herbst-Winter-Kollektion von Jason Wu auf der Fashion Week New York.

Ein Kleid aus der Herbst-Winter-Kollektion von Jason Wu auf der Fashion Week New York.

(Foto: AP)

Jetzt ist Jason Wu da und Lahrs schwärmt in Interviews davon, dieses Ausnahmetalent an Bord zu haben. Vergangene Woche haben sie in New York die Herbst-/Winterkollektion 2015 gezeigt. Wieder saßen mehr Prominente in der ersten Reihe als während der ganzen Mailänder Modewoche zusammen. Die Kritik fiel nicht ganz so positiv aus wie sonst. Die silbernen, sexy am Körper entlangfließenden Mesh-Kleider waren ein Highlight, die Smokinganzüge wirkten aber eher wie ein halbherziges Alibi. Aber immerhin gibt es jetzt internationale Modekritiken über Boss.

Und viel wichtiger: Schon nach der ersten Kollektion gingen die Verkaufszahlen der Damenmode deutlich nach oben. Auch die Mäntel mit den Keulenärmeln und die schlichten Kleider mit Dreiviertellänge werden in ihrer kommerziellen Version für die Läden gut verkauft. Das müssen sie auch. Denn noch immer macht die Damenkollektion nur elf Prozent des Gesamtumsatzes aus, dabei ist der Markt für Frauen doppelt so groß wie der für Männer. "Boss peilt die Lücke zwischen dem überfüllten Ready-to-wear-Luxussegment und dem umkämpften Massenmarkt an - das ist clever", findet Analyst Luca Solca. Auch deshalb bewertet er das Unternehmen so positiv, obwohl die aktuellen Bedingungen für die Modebranche mit langsamerem Wachstum in China keineswegs einfach sind.

Im Scherz sagt er: "Sie müssen deutscher werden."

Im Nachhinein gesehen, konnte es niemand Besseren für diesen Job geben als Jason Wu. Er hat die Kollektion femininer und innovativer gemacht, vor allem internationaler. Boss reiht sich jetzt in die Labels ein, die Mode für erfolgreiche Frauen machen wollen - ob mit Business oder ohne. Das war die Aufgabenstellung. Wu ist sich aber auch nicht für den Rest zu schade. Er fliegt mal eben nach Shanghai, "um ein bisschen bei der PR zu helfen", sagt Wu, holt alle seine Kontakte ins Boot, betreut jeden Schritt der Kollektion. Er sei eine "hands-on" Person, er packt mit an, er rasiert sich selbst den kurz geschorenen Kopf. Wu gehört zur Generation der ambitionierten Einwandererkinder. Er kam mit neun nach Kanada und sprach kein Wort Englisch. In Zeiten, in denen andere Designer über den Druck stöhnen, immer mehr Kollektionen entwerfen zu müssen, sagt er, er arbeite gern rund um die Uhr.

Dafür hat er in New York ein zweites Boss-Atelier mit eigenem Team eingerichtet und verbringt jetzt eine Woche im Monat in Metzingen. Umgekehrt müssen die Mitarbeiter seines Labels sich jetzt besser organisieren. "Sie müssen deutscher werden", sagt er, nur halb im Scherz. Er passt wirklich fabelhaft hierher.

"Ich helfe aus"

Was nicht heißt, dass er nicht seine eigenen Vorstellungen durchsetzt. Man wäre gern im Meeting gewesen, als dieser junge Mann den Schwaben das Konzept für die neue Kampagne mit dem Model Edie Campbell erläuterte. Die Engländerin ist ein Liebling der Designer, guckt aber meistens so bedröppelt, als wäre sie kurz davor loszuheulen und hat einen Hang zu eigenwilligen Haarschnitten. Vorher pflegte man bei Boss eher den glattgebügelten Ansatz mit schönen Models mit Föhnfrisur. Edie Campbell verharrt auf den neuen Fotos in seltsamen Posen. Wu fand das "edgy", in jedem Fall war es ein Statement. "Wir brauchen Image", sagt Wu. "Alles andere hat Boss schon."

Accessoires sind noch eine Baustelle. Handtaschen, die Frauen unbedingt tragen möchten, sind von Boss bisher eher nicht bekannt. Deshalb hat Wu eine neue Accessoire-Designerin an seiner Seite. Sie kommt von Céline, dem Haus, das in den vergangenen Jahren die begehrtesten Taschen entwarf. Die Boss-Accessoires sind nun klarer, mit subtilerem Branding, alles wird in Italien in eigenen Ateliers gefertigt. Vielleicht kann Jason Wu bald wieder etwas zu Michelle Obama fliegen.

President Barack Obama and first lady Michelle Obama dance as Jennifer Hudson performs at the Commander in Chief's Ball in Washington

Fünf Jahre später: Michelle Obama trägt bei der zweiten Amtseinführung ihres Mannes wieder Jason Wu. Dieses Mal ein knallrotes Kleid aus Seide und Chiffon.

(Foto: REUTERS)

Irgendwann am Ende dieses Tages im großen Lichthof bekommt man noch einen Vorgeschmack auf die Ambitionen des jungen Designers. Die Männermodels vom Vortag müssen noch einmal ans Set. Wu ist nicht ganz zufrieden mit ihren Looks. Es ist zwar nicht seine Kollektion, er hat noch nie für Männer entworfen, aber "das Image, das wir vermitteln, muss dasselbe sein", sagt Wu. Er mischt sich bereits ein. Oder wie er es nennt: "Ich helfe aus."

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