Süddeutsche Zeitung

Design:Tisch mit Berufserfahrung

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Möbelstücke, die schon ein erstes Leben in einer Fabrikhalle hinter sich haben, sind schon lange schwer im Trend. Besonders gefragt sind neuerdings Werkbänke mit Spuren echter Arbeit.

Von Max Scharnigg

Dieser Artikel weist sichtbare Schäden, kleine Mängel oder kleine fehlende Teile auf", steht in der Beschreibung. Das ist leicht untertrieben. Das Ungetüm aus Holz sieht aus wie ein Prellbock im Sackbahnhof, und zwar nach hundert Jahren im Einsatz. Das alte Eichenholz ist überall abgewetzt, von tausendfacher Belastung eingedrückt, angesägt, gesplittert, was früher Ecke war ist heute Stumpf, Farb- und Lackreste sind an vielen Stellen auf der Tischplatte zu einem dunklen Firnis getrocknet und eine Holzwurmfamilie war hier auch mal länger wohnhaft. Objektiv betrachtet ist diese "Schwedische Werkbank von 1890" also eher kein Möbelstück, sondern Altholz. Ein Gebrauchsgegenstand, der sehr lange heftig gebraucht wurde. Tatsächlich aber trägt das Ding ein Preisschild über 2348 Euro und ist damit teurer als ein ziselierter Biedermeier-Schreibtisch oder ein Mahagoni-Sekretär vom gleichen Antiquitätenhändler. Die alte Werkbank wirkt auf der Antikplattform Pamono.de jedenfalls wie eine Abrissbirne zwischen tanzenden Ballerinas.

Sie wird trotzdem ihren Käufer finden. Denn Vintage-Werkbänke und ramponierte Arbeitstische sind in den vergangenen Jahren an Orte gewandert, für die sie niemals vorgesehen waren: Urbane Wohnzimmer und moderne Küchen, sie dienen als originelle Konsole in der neuen Diele oder als Schreibtisch bei jemanden, der im eigentlichen Sinne nichts mit einer Werkbank und ihrem Schraubstock anzufangen wüsste.

Eine Werkbank aus einer Scheune oder Werkstatt zu bergen und sie mit all ihren Macken und Arbeitsunfällen zu behandeln wie ein wertvolles Stilmöbel, diese Entwicklung ist auf dem Antikmarkt relativ neu und liegt in der anhaltenden Begeisterung für Industrial Chic begründet. Das eigentliche Credo, dass Antiquitäten zwar alt aber dabei möglichst gut erhalten (oder aufwendig restauriert) sein sollten, gilt dabei eben gerade nicht. Je authentischer abgenutzt von einem ersten Leben in Fabrik, Werkstatt oder Bauernhof, desto begehrter sind Industrialstücke als Teil einer industriefernen aber zeitgeistigen Wohnungs- oder Hauseinrichtung, die mit der rohen Ästhetik spielt. Dieser Trend begann vor vielen Jahren mit emaillierten Stalllampen, ausrangierten Kinosesseln, unverputzten Backsteinwänden oder einzelnen Leuchtbuchstaben, die man damals tatsächlich noch auf dem Flohmarkt finden konnte. Der Drang, krudes Werkzeug nach Hause mitzunehmen, das von der Elterngeneration auf den Sperrmüll gebracht worden wäre, entsprang in den Neunzigerjahren wohl jener Ironie, dank der man damals auch T-Shirts mit unflotten Firmenlogos trug.

Klar, so ein Apple-Laptop in Alu sieht auf einer abgenutzten Holzplatte gut aus

Es kann aber auch als Gegenbewegung zur glänzenden Klavierlackästhetik der Jahrtausendwende gelesen werden oder als analoge Antithese zur beginnenden Digitalkultur. Vielleicht spielte auch eine Rolle, dass damals in den Städten die ehemaligen Arbeits- und Industrieviertel und ihre Architektur gentrifiziert wurden, und die neuen Bewohner den alten Ortsgeist romantisch zitieren wollten. Und klar, so ein Apple-Laptop in Alu sieht auf einer abgenutzten Holzarbeitsplatte nicht nur besser aus - sie bietet auch haptischen Trost angesichts der berührungslosen neuen Netzarbeit. "Wieder was mit den Händen zu machen", das ist ja jener fromme Wunsch, der Millennials und Generation X verbindet. Die nicht selbst abgenutzte Werkbank im Loft dient dafür sozusagen schon mal als Faustpfand und als fester Halt in unsicheren Zeiten.

In der nächsten Stufe der Industrial-Begeisterung wurden abgegriffene Turngeräte zu mäßig brauchbaren Anrichten umfunktioniert, auf Ebay alte Arbeitslampen mit Scherenarm hochgesteigert und jede Transportkarre, die mal in einem Gewerbegebiet war, wurde zum Couchtisch umgetauft. Auf dem Wunschzettel standen Metallspinde aus Arbeiterumkleiden, jegliche Formen von Stapelkisten, Bahnhofsuhren und eben Tische und Arbeitsplatten, in die Generationen von Handwerkern ihre Kerben gehauen haben. Keine Frage, dekorativ sind diese Sachen im wohnlichen Umfeld. Zumindest wenn man den harten Fabrikcharme daheim mit allerlei angenehmen Materialien kontrastiert, mit Kaschmir, Leder und weichen Formen.

Längst sind derart authentische Fabrikmöbel aber selten, und gibt es unter Antikhändlern solche, die sich ganz auf diesen Stil spezialisiert haben (in München zum Beispiel Thilo Scholze in der Theresienstraße). In der Branche erzählt man dabei immer noch gerne von ergiebigen Butterfahrten in den Osten Europas, bei denen alte Fabrikhallen ausgeweidet wurden bis hin zu Porzellanisolatoren, die später in Eigentumswohnungen im Westen für reizvoll-knisternde Deko sorgen sollten. Auch im gehobenen Interieurbereich spielte der Trend eine Rolle - Designer wie Piet Hein Eek oder Axel Vervoordt haben die Schönheit von benutzten Materialien und Banalmöbeln immer wieder unterstrichen und authentische Patina zur Pflicht erhoben.

Die Mainstream-Möblierer zogen nach und bieten heute allenthalben Fake-Industrial an: Edison-artige Glühlampen, Regale die aussehen wie Wäschewagen aus dem Knast oder aus Heizungsrohren montiert. Oder sie stellen unschuldiges Mobiliar kurzerhand auf klobige Industrierollen, das genügt zur Neudeklarierung als "Kultiger Workstyle". Selbst bei Ebay-Kleinanzeigen floriert der Trend - der Suchbegriff Industrial ergibt dort eine bunte Versammlung von rostigen Gartentischen, Munitionskisten der Bundeswehr und eben Werkbänken aus jüngster Hobbybastlervergangenheit - zu Liebhaberpreisen.

Unter Handwerkern war eine gute Werk- und Hobelbank schon immer ein geschätztes Möbel und mit massivem und sauber verzinkten Aufbau nicht günstig. Als Dreh- und Dengelpunkt war sie Zentrum jeder Werkstatt und bekam über die Jahre viel persönlichen Charakter - weil jede Arbeit Spuren darauf hinterlassen hat. Vielleicht macht dieses sichtlich gelebte Leben den Reiz von alten Werkbänken aus, ähnlich wie bei den Paletten eines Malers. Vielleicht verleihen die stabilen Alt-Tische ihren Neubesitzern aber auch nur das gute Gefühl, das wenigstens etwas im Leben Bestand hat und fest auf dem Boden steht.

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Quelle:
SZ vom 25.01.2020
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