Design:Der Herr der Kurven

Designmuseum Danmark Stühle Arne Jacobsen

Das sitzende Vermächtnis: Egg, Swan, Drop, Ant und die berühmte Serie 7.

(Foto: Designmuseum Danmark)

Sein Schwung währt ewiglich: Zum 50. Todestag des Möbeldesigners und Architekten Arne Jacobsen.

Von Max Scharnigg

Zu den vielen Eigenschaften, die Arne Jacobsen zu einem Designer mit jahrhundertübergreifender Reichweite machen, gehört sein Wille, den Menschen einzuplanen. Seine Mitarbeiter erinnerten sich in einem Dokumentarfilm vor einigen Jahren daran, wie Jacobsen geradezu manisch jeden in seiner Umgebung bis hin zum Briefträger zum Probesitzen auf aktuellen Stuhl-Prototypen einlud. Dieser Hang zum Testen am lebenden Objekt bewährte sich.

Denn es sind in den vergangenen hundert Jahren zwar viele schöne, kühne, wegweisende Stuhlmodelle entstanden, doch nur wenige sehen auch dann noch gut aus, wenn sie ihrer Funktion zugeführt werden, wenn sie also unter amorphen und vielgestaltigen Menschenkörpern verschwinden. Die großen Jacobsen-Stühle aber schaffen das, sie schlucken ihren Be-Sitzer einfach so weg, verleihen ihm mit ihren perfekten Proportionen und dem harmonischen Schwung immer eine schönere Silhouette. Gleichzeitig geben sie dem sitzenden Menschen aber auch das Gefühl, nie inniger gesessen zu haben.

Allen voran gilt das natürlich für das Egg, bürgerlich Modell 3316, diesen immerwährenden Sehnsuchtsort aus dem Jahr 1958. Was man darin sitzend fühlt, entspricht ungefähr einer mütterlichen Umarmung, es stellen sich umgehend Geborgenheit, Sicherheit und so eine Art Instant-Heimatgefühl ein. Es ist kein Wunder, dass diese Sitz-Skulptur bis heute trotz ihres stolzen Preises (ab ca. 6000 Euro) so begehrt ist, denn gerade für die nomadische Geworfenheit der Netzmenschen mit Smartphone oder Laptop auf dem Schoss ist das alte Ei ein echtes Refugium - wer auf einem Flughafen schon mal eines ergattert hat, wird das bestätigen können: Die Welt ringsum fällt von einem ab.

Aufnahme von 1963 und zeigt die Produktion des Egg- und des Swan-Sessels von Arne Jacobsen

Produktion des Egg-Sessels im Jahr 1963.

(Foto: Fritz Hansen)

Jacobsen hat dieses Sessel-Meisterstück neben vielen anderen maßgeblichen Entwürfen für das SAS Royal Copenhagen Hotel entwickelt, denn er war ja zunächst und vor allem Architekt. Aber einer, der auch vom Innenleben seiner Bauten präzise Vorstellungen hatte, bis hin zur Kuchengabel oder den Griffen der Jalousien; deshalb schuf er nicht nur schöne Hüllen, sondern tatsächlich funktionale Gesamtkunstwerke. Das Hotel-Hochhaus in Kopenhagen ist bis heute so ein lebendiges Denkmal der Moderne und des skandinavischen Mid-Century-Stils, aber auch ein Denkmal des rechten Winkels, so phänomenal kantig und rechteckig steht es da.

Jacobsens souveräner Stil zeigte sich in dem Kontrast, mit dem er das nüchterne Äußere mit einem kurvenreichen, aufregenden Innenleben versah. So entwarf er neben dem Egg auch noch den Swan-Sessel für die Lobby. Ein flamboyantes Sitzmöbel, das ebenfalls ohne einen einzigen geraden Zentimeter auskommt und trotzdem von gravitätischer Würde ist. So sehr diese Entwürfe auch dem damaligen Zeitgeist und dem Aufbruch in ein neues Wohnen entsprechen, haben sie auch eine zeitlose Eleganz und einen Komfort, der sich fortan gegen alle Moden durchsetzen würde. Oder anders gesagt: Arne Jacobsens Version der skandinavischen Moderne ist ungebrochen mehrheitsfähig geblieben. Das Egg wird seit 1958 mit minimalen Änderungen produziert und zwar, wie die meisten seiner Stühle, bei der dänischen Firma Fritz Hansen, die das mobiliare Erbe des Ausnahmedesigners pflegt. 2014 ging dort auch eines seiner Lieblingsprojekte wieder in Produktion, der Drop-Chair - ein Polsterstuhl in der ebenso satten wie perfekten Form eines Tropfens.

Man sieht vor allem den Sesseln an, dass Jacobsen vor der Universität noch eine Steinmetzlehre absolviert hatte - da ist so eine skulpturale Präsenz der Möbel, die bisweilen wirkt, als wären sie aus einem Block herausgehauen. Jacobsens superorganische Formoffensive in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre ist aber auch den neuen Möglichkeiten des Materials geschuldet. Damals war schäumbarer Kunststoff der Firma Styropor auf den Markt gekommen. Das versetzte ihn in die Lage, die Stuhlformen ganz frei zu arbeiten und den Sesseln nicht nur eine leichte Gestalt, sondern überhaupt Leichtigkeit zu verleihen - die gewaltige Egg-Schale etwa wog damit nur elf Kilo.

Ant Chair by Arne Jacobsen 1952 Architects Architects Arne Jacobsen PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxO

Wackelt nicht, oder? Drei Beine sollten für Stuhl "Ant" genügen.

(Foto: Richard Bryant/imago/Arcaid Images)

Arne Jacobsen war Pfeifenraucher und Perfektionist; ihn reizte es stets, bei Form und Material an die Grenze des Machbaren zu gehen. Bestes Beispiel ist der Stuhl Ant, den er 1952 für die Kantine des Medizinunternehmens Novo Nordisk entwarf und der bei seiner Vorstellung für Erstaunen sorgte: Nicht weil die Rückenlehne an die Körpersegmente einer Ameise erinnerte, sondern weil dieser Stuhl nur drei Beine hatte. Da die öffentliche Verwunderung darüber nicht verstummen wollte, sah sich Jacobsen damals sogar zu einer trotzigen Stellungnahme genötigt: "Warum vier Beine, wenn drei ausreichen? Wenn man auf einem Fahrrad mit zwei Rädern fahren kann, kann man wohl auch auf einem dreibeinigen Stuhl sitzen."

Diese Kritik an der Ameise befeuerte auch seinen nächsten Entwurf, der zu einem Bestseller werden sollte. Auf einem Nachkommen (oder Plagiat) dieser Serie 7 von 1955 hat wahrscheinlich jeder Europäer schon mal gesessen. Diese abermals kühn geschwungenen Stapelstühle mit vier Beinen stehen in unzähligen Konferenzsälen, Auditorien und Wartezimmern, als leichte Sitzmöbel aus einem Stück gebogenem Schichtholz, das beim Sitzen angenehm federnd nachgibt. Zusammen mit den Side Chairs des Ehepaares Eames dürfte die 7er-Serie jedenfalls der wichtigste Klassiker des Mid-Century sein und einer der Gründe dafür, dass diese Designepoche so eine ungebrochene Strahlkraft hat.

Dass man dem Entwurf sein Alter bis heute kaum ansieht, macht die Genialität Jacobsens deutlich: Er hatte wie kaum ein Zeitgenosse eine wirklich makellose Internationalität im Sinn und schliff an seinen Entwürfen, bis sie völlig fettfrei in der Moderne standen. Das Wort Retro fällt dem Betrachter dazu jedenfalls kaum ein, und das ist ein Kompliment. Nicht nur seine Gebäude und Sitzmöbel atmen diesen feinen Stil, auch seine AJ-Leuchten-Serie, die bei Louis Poulsen gefertigt wird oder seine Badezimmerarmaturen, die 1968 für die dänische Nationalbank entstanden und bis heute von Vola produziert werden: Die schön schlichte Funktionalität dieser Sachen ist das eine, sie bringen aber zusätzlich eine gewisse Dynamik mit, mit denen sie jede Einrichtung stimulieren.

Professor Arne Jacobsen

Arne Jacobsen mit Aufnahmen einer Schule, die er in London gebaut hatte.

(Foto: V. Wright/Getty Images)

Schon zu Lebzeiten konnte Arne Jacobsen den Erfolg seiner Designs erleben, zahlreiche Auszeichnungen und die Berufung an die Kopenhagener Universität sowie eine Vielzahl internationaler Aufträge sprachen für ihn. Dass er im Eames-Land auf der anderen Seite des Atlantiks nicht recht präsent war, lag übrigens angeblich an seiner Flugangst. Als er am 24. März 1971 unerwartet starb, steckte Jacobsen jedenfalls gerade in einer Vielzahl an Projekten, darunter die dänische Botschaft in London oder das Rathaus in Mainz. Diese und weitere Bauten stellten seine ehemaligen Mitarbeiter mit dem Architekturbüro Jacobsen und Weitling fertig. Wie alle anderen Jacobsen-Gebäude ist das Mainzer Rathaus mit seinen vielen originalen Einrichtungsstücken heute ein Pilgerort für Designfans. Wer noch inniger in die Formwelt des Meisters eintauchen möchte: Die Suite 606 des SAS Royal Copenhagen ist seit 60 Jahren im Originalzustand erhalten.

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