Süddeutsche Zeitung

Design im Restaurant:Wie aus einer Flughafen-Anzeigetafel eine Speisekarte wurde

Ein Start-up aus dem Ruhrgebiet hatte eine Idee, an der es nun gut verdient. Vorteil für die Gäste: Kein Gericht kann teurer sein als 23,59 Euro.

Von Varinia Bernau, Essen

Natürlich hat auch er ein Smartphone, und natürlich streichelt er sein Smartphone, das machen ja alle. Aber irgendwann war da so eine Sehnsucht, nach etwas Echtem und nicht ganz so Glattem, und Georg Moser, 29, montierte mit zwei Nachbarn die alte Bahnhofsuhr in Duisburg ab. So ging alles los, mit Moser und den Uhren.

Vier Jahre später sitzen er und die zwei Nachbarn im Büro ihres Start-ups Vierkant im Ruhrgebiet. Moser hängt in einem schwarzen Ledersessel und erzählt, wie es mit der Bahnhofsuhr weiterging: Wie sie sie komplett zerlegt und dann wieder zusammenmontiert, sie neu beschichtet und mit kleinen Lämpchen ausgestattet haben. Erst stand sie in einer ihrer Wohngemeinschaften herum, dann präsentierten sie die Uhr auf einer Messe, und schließlich stand die Frage im Raum, ob sich mit ihrer Idee nicht sogar Geld machen ließe.

Wenn man jetzt nach Zürich schaut, muss man sagen: Ja, mit dieser Idee lässt sich wirklich Geld verdienen. Am Montagabend eröffnete in der Schweiz das weltweit älteste vegetarische Restaurant, das Hiltl, eine neue Filiale. Da hängt zwar keine alte Uhr, aber eine etwa zehn Meter lange Tafel, die früher am Flughafen Köln/Bonn unter lautem Gerassel anzeigte, wann und wo der nächste Flieger nach Paris ging. Die drei Freunde aus Essen haben aus der Abflug- eine Speisetafel gemacht.

Irgendwann verhandelten sie über einen Preis in der Höhe eines Einfamilienhauses

Die Geschichte passt gut in eine Zeit, in der zwar ständig alle auf ihre Smartphones schauen, davon aber auch genervt sind. Und Moser und seine beiden Mitstreiter verstehen es, ihre Geschichte so zu erzählen, dass sich nicht nur Technik-Fremdelnde angesprochen fühlen, sondern auch jene, die schlichtes Design, Handwerk und Umweltschutz schätzen. Wenn sie also das alte Inventar aus Bahnhöfen und Flughäfen für Büros oder Restaurants herrichten, dann gehe es nicht nur darum, wertvolle Materialien vor dem Schrott zu retten, sagt Moser. Sondern? "Die alten Fallblatttafeln brauchen nur einmal Anschub zum Umblättern - und damit auch nur etwa ein Zehntel der Energie, die solch eine neue Anzeige verbraucht."

Nach dem Messeauftritt haben sich auch ein paar Innenarchitekten gemeldet. Damals, sagt Mitgründer Jonathan Overhoff, 28, hätten sie nur Tafeln in Weiß und Blau gehabt. Eine Tafel in Weiß und Schwarz aber, wie sie sie am Flughafen Köln/Bonn entdeckten, das habe dann schon etwas hergemacht. Und vor einem Jahr saßen sie mit den Schweizer Restaurantbetreibern zusammen und verhandelten über einen Preis in der Höhe eines Einfamilienhauses.

So eine Anzeigetafel, auf der einst Flüge nach Washington oder London-Heathrow angezeigt wurden, muss man sich wie ein riesiges Regal vorstellen, in dem 1200 einzelne kleine Kassetten lagern: Jede einzelne davon ist mit einem Uhrwerk ausgestattet, das über ein Zahnrad die an einer Rolle hängenden schwarzen Plättchen rotieren lässt. Die drei Gründer haben in ihrer Werkstatt noch neue Elektronik davorgeschaltet, die nun die Sprache eines Smartphones in die Sprache übersetzt, die das alte Uhrwerk versteht. So können die Mitarbeiter der neuen Hiltl-Filiale in Zürich auf einem Smartphone eingeben, welche Speisen sie morgens und abends anbieten. Veganes Sandwich mit Karotten-Frischkäse oder Ingwer-Panaché? In jedem Fall wird es rasseln wie einst auf dem Flughafen Köln/Bonn.

Rolf Hiltl, der in Zürich die Restaurants der Familie in vierter Generation führt, hat nun also seine siebte Filiale in einer ehemaligen Post aus den Dreißigerjahren eröffnetund auf seiner neuen-alten Speisekarte lassen sich bis zu 30 Gerichte gleichzeitig anzeigen. 30 Gerichte, die nicht mehr als 23,59 Franken kosten. Denn die Preise erscheinen auf den Schablonen, die einst die Abflugs- oder Ankunftszeiten anzeigten. Und später als 23.59 Uhr wurde es auch am Flughafen der einstigen Hauptstadt nicht.

Inzwischen haben Moser und seine Kollegen zwar einige Erfolg gehabt, aber auch so ziemlich alle Bahnhöfe und Flughäfen in Deutschland abgeklappert. Es gibt nicht mehr viel für sie zu holen. "Wir hätten früher anfangen sollen", sagt Mitgründer Bernd Holarek, 28, etwas wehmütig. Aber vielleicht, wirft Moser ein, ist dies auch genau der richtige Zeitpunkt. Ein seltener Rohstoff ist ein kostbarer Rohstoff. Und in ihrer Werkstatt stehen noch ziemlich viele Kisten aus Köln/Bonn herum.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2887565
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 02.03.2016/olkl
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.