Design:Alles so schön hellbunt hier

Design: Die "Optical Light"-Leuchte des britischen Designers Lee Broom gibt es auch als Stehlampen.

Die "Optical Light"-Leuchte des britischen Designers Lee Broom gibt es auch als Stehlampen.

Das Licht wird groß, die Sofas pastellrosa und die wichtigsten Accessoires gibt's für wenige Euro im Supermarkt. Zehn Aha-Momente von der Salone del Mobile, der größten Möbelmesse der Welt.

Von Max Scharnigg, Mailand

Grcic und Co.

Der schönste Moment der Mailandwoche war vielleicht der, als die Bar zusammenbrach. Da hatte, gegen 23 Uhr, der Andrang auf die subversive Disco-Performance von Stardesigner Konstantin Grcic und Stargrafiker Mirko Borsche gerade seinen Höhepunkt erreicht. Alle Nachtschwärmer (also alle in Mailand unter 60) wollten den großen Vernissage-Abend in den Straßen der Stadt mit einem Besuch in dem winzigen Laden in der Via Macedonio Melloni abrunden, in dem die beiden Kreativen ihr obskures Tanz-Totem errichtet hatten. Das spuckte Licht, Nebel, Musik und vor allem harte Beats aus einer einzigen Maschine und damit das Versprechen, jeden Raum sofort in eine Disco zu verwandeln. Es funktionierte auch gut. Nur dass ausgerechnet beim Happening eines der wichtigsten Produktgestalter versäumt wurde, zwei Schrauben in die Tischplatte der Bar zu donnern oder sie anderweitig zu fixieren - das war schon lustig. So rauschten also die aufwendig gestalteten Cocktailkärtchen mitsamt Flaschen und Bechern in die tanzende Menge, die sich fortan selbst bediente.

Davon abgesehen waren deutsche Designer auf der Messe diesmal in Bestform unterwegs und allgegenwärtig, allen voran das tolle Trio: Stefan Diez, Konstantin Grcic und Sebastian Herkner, die alle mehrfach international und bei den wichtigsten Herstellern vertreten sind. Aber auch Werner Aisslinger, Christian Werner, Kati Meyer-Brühl und viele Newcomer zeigten starke Entwürfe. Und Altmeister Ingo Maurer sprach mit seiner Leuchten-Installation in der ehemaligen Kirche San Paolo Converso ein wirklich sakrales Lichtgebet und zeigte wie nebenbei eine ganze Reihe an neuen Lampen, allesamt höchst poetisch und längst nur noch seine eigene Stilgrammatik deklinierend.

Große Leuchten

Apropos Licht. Das wird jetzt richtig groß, vor allem, wenn es von der Decke hängen soll. Während die LED-Technik bei der Gestaltung von Tischlampen für immer filigranere Gebilde sorgt, werden die Deckenlampen im Gegenzug zu regelrechten Kuppeln, Muuto hat es mit seiner großen Industrie-Haube namens "Under the Bell" von Iskos Berlin schon vorgemacht. Diesmal hingen felsgroße Lampen aus japanischem Papier am Stand von Vitra, der leicht exzentrische britische Lampendesigner Lee Broom fuhr mit einem Lieferwagen voller großer opaker Glaszylinder vor und der zypriotisch-britische Lichtflüsterer Michael Anastassiades ließ eine ganze Traubenrebe aus Glasballons von der Decke regnen. Das Dimore Studio, über dessen satte Arbeit im Fendi Palast in Rom noch zu sprechen sein wird, zeigte dazu sehr elegante Leuchtbojen die halbhoch und tonnengroß durch ihre Installationen schwebten. Zu merken für den Hausgebrauch - die großen Papierlampen aus den 80er-Jahren und auch solche aus Korb und anderen Flechtmaterialien sind ruhig mal wieder aus dem Keller zu holen. Oder einfach die alte Kinderbadewanne an die Decke hängen und illuminieren . . .

Design: "Under the Bell" von Iskos Berlin

"Under the Bell" von Iskos Berlin

Kräutertöpfe!

Aufwendige Messebauten, kunstvolle Raum-Arrangements, luxuriöses Styling, das bietet die größte Möbelmesse der Welt im Übermaß. Aber das wichtigste Utensil des Jahres kostet trotzdem nur zwei Euro und ist problemlos daheim zu installieren: Der Kräutertopf. Das ganze große Gelände, auf dem diesmal die integrierte Messe Eurocucina wieder High-End-Herde, wandfüllende Kühlschränke und viele raffiniert dünne Küchenplatten zeigte, war voll mit Kräutertöpfen.

Design: Das wichtigste Accessoire rechts oben im Bild: Küchenkräuter.

Das wichtigste Accessoire rechts oben im Bild: Küchenkräuter.

Es sah bei manchen Ausstellern aus, als wären sie frontal mit einer Rosmarin-Plantage kollidiert. Alles nur, um den sterilen Oberflächen, den modernen Mineralverbundstoffen und blanken Stahlgeräten ein bisschen Leben einzuhauchen und Kochlust zu emittieren. Ein müder Trick - aber er funktioniert zuverlässig. Thymian, Rosmarin und Salbei sorgen selbst in der ödesten Messeatmosphäre für Appetit und Frische und sollten deswegen viel öfter auch daheim als Stimmungsmacher platziert werden - und zwar nicht nur in der Küche. Stylisten-Merkregel dazu: Töpfe immer im Dreierpack kaufen und dicht nebeneinander aufstellen, dann wird aus jedem Rosmarin gleich ein prägendes Raum-Element.

Glanz und Dixon Muster, Farbe, Haptik, Stoff! Die Epoche der puristischen Wohnumgebung ist endgültig Geschichte. Stattdessen propagieren viele Labels eine überschwängliche Mischung aus Boheme, gehobener Mid-Century-Ästhetik und einer guten Prise Dekadenz. Botschaft: Mein Heim ist mein Palazzo. Aus den Wohnzimmern werden jedenfalls wieder warme Salons und dunkle Etablissements, manche sagen auch Opium-Höhlen dazu. Zu den immer noch allgegenwärtigen Blendermaterialien Kupfer, Bronze und Messing hat sich dabei heller Marmor für alle Einsatzzwecke durchgesetzt: Bei Menu für Uhren, bei Marsotto als sehr schiefe Tischchen, bei La Chance als massive Stele für den Couchtisch, bei Tom Dixon für filigrane Lampen. Dixon ist aber vor allem bei Metallarbeiten kaum zu stoppen.

In seiner großflächigen Restaurant-Installation in der Rotonda della Besana (Baujahr 1695) zeigte er die Fülle seiner akuten Oberflächenlust - Lampen etwa mit glänzendem Kupfersockel und einer amorphen Glashaube, die wirkt wie geschmolzener Bernstein. Genau die passende Beleuchtung für diese neuen dunklen Luxuswohnzimmer. Tom Dixon stellte diesmal sowieso einen ganzen Katalog an Neuheiten vor. Darin finden sich auch noch fabelhafte irisierende Vasen, ein ganzes Kaffeeservice, Martini-Gläser und Schreibtischzubehör aus reinem Kupfer, dazu Kugelschreiber und Schlüsselringe aus massivem Messing. Der Stardesigner aus London, der von einer großen Designplattform neulich als gefragtester Gestalter der Welt gekürt wurde, ist zur Zeit eben wie ein moderner König Midas - alles was er anfasst, wird zu Edelmetall.

Teppichgrenzen, bunt und rosa

Neue Teppichgrenzen

Seit Wohnräume also wieder warm und spürbar sein sollen, bekommt auch der Teppich eine ganz neue Aufmerksamkeit. Deshalb waren beim diesjährigen Salone auch wieder etliche Hektar neuer Bodendecker zu sehen - jeder Designer will einen im Portfolio haben und umgekehrt wollen alle Teppichhersteller sich mit Entwürfen von Rang schmücken. Besonders auffällig diesmal: Die Teppiche werden polyform und sprengen ihre übliche Geometrie.

Design: Der Trend geht zum mäanderenden Teppich: Hier beim Modell Lattice, das das Designerduo Bouroullec für den Hersteller Nanimarquina auflegte.

Der Trend geht zum mäanderenden Teppich: Hier beim Modell Lattice, das das Designerduo Bouroullec für den Hersteller Nanimarquina auflegte.

Bei den Labels Ames und Nanimarquina zum Beispiel sehen sie aus, als würden mehrere Matten übereinander liegen, es treffen sich unterschiedliche Farben, Muster und Formen in einem einzigen Teppich. Bei Ikea ist dieser Trend mit den nagelneuen Modellen Ternslev und Sattrup ebenfalls schon angekommen. Im Raum sorgen diese vielfältigen Kanten und unterschiedlichen Dicken für einen Lageneffekt, der wiederum der Heimeligkeit nicht abträglich ist und auch große Bodenflächen strukturiert. Großmeisterin Patricia Urquiola ging noch einen Schritt weiter und verpasste ihren Entwürfen für Credenza Carpets einen derart gekonnten 3-D-Effekt, dass man vor jedem Schritt auf den Teppich kurz mal erschrocken die eigene Optik justieren musste. Die Inspiration für diese Serie fand sie in den Glasmosaiken, die Gerhard Richter 2007 für den Kölner Dom entwarf.

Rosa und anderes Bunt

Wer heute noch Weiß, Grau und Fichte natur in seine Wohnung trägt, hat die Farbkanone nicht gehört. Alles, selbst die Gasherde von Smeg, die bisher strenge Edelstahlboliden waren, wird jetzt massiv getüncht. Liebste Farbe stilübergreifend: Zartes Altrosa. Gefolgt von sehr leichten Pastelltönen und gerne abgerundet mit Gelb in jeder Grelligkeit. Kein Wunder, dass die niederländische Designerin Hela Jongerius bei ihrer sehenswerten Installation für Möbel-Primus Vitra eine Farbmaschine baute, bei der neun große Räder mit superbunten Vitra-Möbeln rotierten und den Besuchern viel Gelegenheit gaben, über ihre eigene Lieblingsfarben nachzudenken - und auch darüber, ab wann ein Wohnraum eigentlich aussieht wie das Bällebad bei Ikea.

Design: Viele leichtfüßige Sofas gab es zu sehen und viele davon mit Stoffen in Altrosa. Hier das Modell "Tepee" des Möbellabels SCP, entworfen von Lucy Kurrein.

Viele leichtfüßige Sofas gab es zu sehen und viele davon mit Stoffen in Altrosa. Hier das Modell "Tepee" des Möbellabels SCP, entworfen von Lucy Kurrein.

Sogar die strengen Stahlrohrklassiker im Programm von Thonet haben in der Outdoor-Version eine Farbkur verpasst bekommen, die Finnen von Artek, sonst Anhänger der reinen Birke, präsentierten probehalber ihren neuen Sessel gelb gestreift und bei Cassina bewegte man sich sogar am Rande eines Sakrilegs. Dort holte man den Sessel "Utrecht" von Gerrit T. Rietveld aus der zeitweiligen Versenkung und verpasste ihm eine Art Kindergeburtstagsdekor.

French-Chic und Poufs

Das Pouf-Rätsel

Pouf sagt man weltmännisch zu einem gepolsterten Klumpen, der in Nähe einer Sitzgruppe zu liegen hat. Stabiler als ein Kissen, weicher als ein Hocker, hat sich dieser Pouf offenbar ziemlich unentbehrlich gemacht, jedenfalls lagen die Teile an jedem zweiten Stand in den Mailänder Möbelhallen herum. Gerne sehr bunt, denn so ein Pouf hat kaum andere Möglichkeiten, sich sonst irgendwie zu artikulieren. So ganz dringlich kommt einem das Utensil trotz dieser Präsenz aber nicht vor. Sicher, er gibt einen ordentlichen Farbtupfer in den Raum und tut nicht allzu weh, wenn man nachts dagegen hinkt.

Design: Bunt, weich, lustig: Der Pouf war dieses Jahr allgegenwärtig, obwohl sein Nutzwert gering ist. Hier das Modell "This Way That Way" von Donna Wilson.

Bunt, weich, lustig: Der Pouf war dieses Jahr allgegenwärtig, obwohl sein Nutzwert gering ist. Hier das Modell "This Way That Way" von Donna Wilson.

Aber er nimmt eben ziemlich störrisch einen Quadratmeter weg und dient auch Rückengesunden nicht länger als zehn Minuten als Sitzfläche. Danach ist er nur zum Fußablegen, als Klamotten-Auffanglager oder unweigerlich irgendwann als Katzen-Empore zu gebrauchen. Der Grund für das starke Pouf-Aufkommen im Jahr 2016 ist wahrscheinlich einfach zu erklären: Textil und Farbe waren die großen Themen und der weiche Klotz vereint eben beides in sich. Und er macht für seinen Entwurf zudem keine allzu komplexe Statik-Überlegungen notwendig.

French Chic

Klar, die Italiener mit ihren mondänen Möbelgrossisten sind jedes Jahr eine sichere Bank, die Skandinavier haben sich nach einer Dekade als oberste Design-Lotsen ein bisschen ausgetobt, die Japaner tüfteln weiter puristisch vor sich hin, die Briten sind stets starke Einzelkämpfer - jetzt aber kommen auch noch die Franzosen.

Eine auffällige Zahl sehr vergnüglicher, kleiner Kreativmarken aus Frankreich konnte dieses Jahr jedenfalls mit ihren Ständen überzeugen: Petite Friture, La Chance, Hartô, Tolix. Nicht unbedingt große Designer-Namen locken dabei, sondern die sympathische Gestaltungslust junger Kollektive, die sich in ihren Wohnvisionen jeweils ziemlich ähnlich sind: Easy Living mit leichten Stücken und Pastellfarben, smarte kleine Möbel, die wie Bonbons in einer Wohnung verstreut werden sollen und die Lebenslust nicht weiter beschweren. Ein kleiner Sekretär an die Wand gedübelt (Hartô), ein lustiger Hocker (La Chance), ein Sofa, das wie ein Eiswagen aussieht (Petite Friture) - fertig ist der neue Light-Style a la Française.

Löchriges und Dunkelholz

Dunkelholz

Es ist nicht lange her, da musste jedes Eichenholz gekalkt oder gelaugt sein, bevor es das Haus betreten durfte oder am besten gleich Ahorn oder Esche, hell jedenfalls für die hellen Räume mit den weißen Decken und lichten Vorhängen, für die weißen Computer und das bleich geschliffene Parkett. Diese skandinavische Bleichsucht und auch der artverwandte Schwarz-Weiß-Kontrast sind Vergangenheit, stattdessen wird es beim Holz angenehm düster: Edel gedunkeltes Nussbaumholz oder goldene Bambusoberflächen haben Konjunktur, nicht zuletzt durch die nicht nachlassende Freude an Mid-Century-Remixen und einem Hauch von Kolonial-Stil, der durch die Hallen wehte.

Beim deutschen Avantgarde-Label e15 stehen etwa die architektonischen Konsolen von David Chipperfield in dunkler Walnuss sehr vielbeachtet auf dem Programm oder auch nur eine diskrete, dunkle Kassette für die Preziosen der Münchner Schmuckdesignerin Saskia Diez. Der dänischen Traditionshersteller Carl Hansen & Costellt seinen wunderschönen neuen Embrace-Sessel nicht nur in Eiche, sondern ebenfalls gleich in Nußbaum vor die neugierigen Besucher. Die neue Begeisterung für das Nussige und Geräucherte hat einen guten Grund - wenn die Accessoires überwiegend aus Edelmetallen und Carrara-Marmor sind, wirken sie eben besonders gut im Zusammenspiel mit dunklem Hintergrund.

Loch und Löcher

Prunkstück beim Auftritt des italienischen Avantgarde-Labels Kristalia war ein Loch. Es war so groß, dass ein Mann durchpasste und zuvor ziemlich mühsam aus dickem Flachstahl gefalzt und zurecht gebogen worden war. Oben auf dem Loch ruhte eine massive Tischplatte für acht Personen. Ikonische Stücke wie dieses, von seinem Schöpfer Kensaku Oshiro passend "The Hole" genannt, wandern erfahrungsgemäß eher selten in heimelige Wohnküchen, sondern direkt ins Museum Of Modern Art.

Das Thema Loch ist aber durchaus auch ein praktikabler Trend - Kristalia zeigt gleich nebenan den gänzlichen durchlöcherten und deshalb luftig wirkenden Colander Chair von Patrick Norguet. Der Entwurf sieht dem 13eighty-Stuhl des Designer-Duos Scholten & Baijings verblüffend ähnlich, die auf der Suche nach einem neuen Outdoor-Stuhl für das Label Hay ebenfalls mit Hunderten Löchern arbeiteten. In den Schranktüren bei Normann Copenhagen und Tolix sorgen Lochplatten für Werkstatt-Charakter und weniger Biederkeit. Und nahezu allen Stücken der Möbelmesse ist auch dieses Jahr wieder ein Loch gemeinsam. Das nämlich, das sie ihrem Käufer in den Geldbeutel reißen werden.

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