Süddeutsche Zeitung

Der Stil der SPD:Genosse Genießer

Die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli wird gerade mit Hass und Häme bedeckt. Und das alles, weil sie auf einem Foto mit Rolex zu sehen war. Was die alte Frage aufwirft: Wie viel Luxus verträgt die SPD?

Eine Rolex am Arm einer Sozialdemokratin, darf das sein? Obwohl die Antwort recht einfach ist (Ja), wurde diese Frage in der vergangenen Woche doch zur großen Moral- und Neiddebatte ausgetreten. Für die deutschen Sozialdemokraten ist diese spezielle Form der Wohlstandskritik ein zuverlässiger Begleiter. Sie hatten immer wieder Spitzenvertreter, die ein vehementes Stilempfinden an den Tag legten - und sich damit irgendwann den Verdacht einfingen, gar kein echter Sozi zu sein, sondern ein verkappter Bourgeois.

Tatsächlich pflegten alle SPD-Kanzler der jüngeren Vergangenheit einen markanten Auftritt bis hin zu einer modischen Eitelkeit, die man Merkel und Kohl nicht mal mit viel Boshaftigkeit attestieren könnte. Auffallend viel sozialdemokratisches Personal kokettierte darüber hinaus mit exzentrischen Accessoires und öffentlich praktizierter Lebensart. Björn Engholm etwa hat man eigentlich nur noch als elegante Pfeife in Erinnerung. Rudolf Scharping hat sich mit einer sehr gräflichen Homestory verewigt. Und der Begriff der Toskana-Fraktion wurde extra für diese ganz eigene Mischung aus sozialem Idealismus und individuellem Hedonismus erfunden, den die Regierungsverantwortung bei den Linken offenkundig mit sich brachte. Zwischen Kalbsschnitzel im Borchardt und Brunello-Verkostung die Agenda 2010 zu skizzieren, war für den Kanzler Gerhard Schröder kein Problem, für seine Partei allerdings dann doch.

Natürlich muss man nicht arm sein, um gegen soziale Ungerechtigkeit anreden zu dürfen - schon Marx und Engels prassten ganz gerne und waren dem Champagner niemals abgeneigt. Gerade der heutigen SPD täte ein bisschen mehr Glamour wieder gut. Schließlich wirkt es in der Rückschau fast so, als wäre Martin Schulz nicht zuletzt seine arg hemdsärmlige Nähe zu Käsestullen und mehrfach geflickter Gesichtsbehaarung zum Verhängnis geworden. Ein wenig Engholm-Eleganz und oder das Stilbewusstsein eines Willy Brandt wären in seinem Fall nicht verkehrt gewesen.

Dass die Partei jetzt so viel Prügel einstecken muss, liegt eben auch daran, dass sie sich irgendwie loserhaft präsentiert, da greift die alte Pausenhof-Logik: Dresche kriegt der, der danach aussieht. Modisch gesprochen war die inhaltliche Strategie der SPD in den letzten Jahren eben doch eher: Alles aus der eigenen Altkleidersammlung übereinander anziehen und sich dann wundern, warum man bei den anderen keinen Eindruck macht.

Vorrangig ist so eine selbstverdiente Rolex am Arm von Sawsan Chebli also komplett egal. Und wenn man sie doch bemerken möchte, dann als Beweis dafür, dass sich hier jemand offenbar mit klassischen Werten auskennt und trotzdem der SPD treu bleibt. Ja, das geht. Max Scharnigg

Die Schule

Wer: Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern

Neidfaktor: Schweriner Privatschule

Bei den eigenen Kindern hört der Spaß bekanntlich auf. Die Nachbarin mag das größere Haus haben, das dickere Auto, die schickeren Freunde. Wenn sie aber die Dienste einer Privatschule in Anspruch nimmt, gibt sie eiskalt zu verstehen: Meine Kinder sind mir mehr wert als dir deine - und wer würde diese Schuldzuweisung einfach so schlucken? Adressatin des Zorns war im September 2017 die luxuriöser Umtriebe eher unverdächtige Manuela Schwesig. Ihre Partei war mit dem Slogan "Bildung darf nichts kosten" in den Wahlkampf gezogen, sie aber hatte ihren zehnjährigen Sohn auf einer Schweriner Privatschule angemeldet. Dafür gab es Häme von allen Seiten und Haue von der Schulleitungsvereinigung ("bitterer Beigeschmack"). Da die staatlichen Schulen in Mecklenburg-Vorpommern unter harten Sparmaßnahmen leiden, muss man allerdings konzedieren: Wirklich stilsicher war die Entscheidung der Landesmutter nicht. Tanja Rest

Der Anzug

Wer: Heiko Maas, Außenminister

Neidfaktor: Slim-Fit-Anzüge

Sobald einer in der SPD einen gut sitzenden Anzug trägt, drehen alle durch. Warum? Vielleicht ist manchem entgangen, dass viele SPD-Männer längst akzeptable Anzüge tragen, aber zu viel Sitzungsfleisch mit sich führen, um die auffällige schmale Form tragen zu können. Maas kann das, auch, weil er immer exakt 70 Kilo wiegt, wie er mal ausplauderte. In Einheit mit seiner Freundin, der Schauspielerin Natalia Wörner, qualifiziert er sich so für die Bunte. Das ist verdächtig. Nimmt er es ernst mit der Politik, wenn er Zeit hat, sich slim fit zu trimmen? Sollte er nicht besser Akten studieren, als erkennbar zu wissen, dass man beim Einreiher mit zwei Knöpfen nur den oberen schließt? Damit keiner mehr den Witz macht, sagt er oft: "Ich trage keine Maßanzüge, sondern welche von der Stange." Herrlich! Womöglich ist alles auch ganz banal. Maas wurde als Sohn einer Schneiderin geboren. Dass er Wert auf gute Schnitte legt, ist vielleicht eine Sache der Erziehung. Claudia Fromme

Die Uhr

Wer: Sawsan Chebli, Berliner Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales

Neidfaktor: Rolex am Handgelenk

Die Rolex kann eine Imagebitch sein. Als weltbekannteste Luxusuhr (ab ungefähr 5000 Euro, Preis nach oben offen) gilt sie heute als Symbol aller Statussymbole. Für viele steht sie also nur für eins: Reichtum - und zu ist die Schublade. Da wundert es nicht, dass Staatssekretärin Sawsan Chebli Mitte Oktober Opfer einer Neiddebatte im Netz wurde, als ein User ein altes Foto neu montierte, das die Politikerin mit ihrer Rolex Datejust 36 zeigt, und dieses Bild mit dem Zustand der SPD in Verbindung brachte. Nun könnte man auch sagen: In einem Land, in dem es ein staatenloses Flüchtlingskind zur Politikerin und Rolex-Trägerin bringt, kann es um sozialdemokratische Werte so übel nicht stehen. Schlechter Stil wäre es, wenn Chebli vom Rolex-Beach auf Ibiza aus Rentenkürzungen verkünden würde. Hat sie aber nicht. Oder wenn sie Entwicklungshilfeministerin wäre. Ist sie nicht. Noch nicht. Marten Rolff

Die Zigarre

Wer: Gerhard Schröder, Altkanzler

Neidfaktor: Cohiba

Eine Begegnung unter Männern führte dazu, dass ein junger Bundestagsabgeordneter 1985 zum Freund der Cohiba wurde: Nach einem Havanna-Besuch schickte Fidel Castro, offenbar angetan von seinem deutschen Gast, ihm persönlich eine Kiste Zigarren ins Hotel. So geht die Legende, die Gerhard Schröder selbst gestrickt hat. Als Cohiba-Freund und Brioni-Kanzler machte er dann Ende der Neunziger von sich reden, was sein Hedonisten-Image verstärkte und eher sauertöpfischen Parteifreunden verdächtig war. Bei Schröder, dem Genossen Genießer, wirkt die Freude über die schönen Dinge des Lebens - guter Wein, gutes Essen, teure Anzüge, Kunst prominenter Künstler - immer ganz echt; die Freude steht ihm ins Gesicht geschrieben. Schröder ist keiner, der Materielles für peinlich oder überflüssig hält, er hat da eine spielerische Leichtigkeit. Wer wie er in großer Armut aufgewachsen ist, schätzt eben nicht nur innere Werte. Christian Mayer

Das Auto

Wer: Torsten Albig, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein (2012 - 2017)

Neidfaktor: Audi A8 Quattro

Ein bisschen Pech hat Torsten Albig gehabt, dass er Ministerpräsident in einer Zeit wurde, in der sich die Menschen plötzlich dafür interessierten, wie umweltschädlich Politiker-Dienstwagen sind. Beim Negativranking aller Ministerpräsidenten landete Albig, 55, mit seinem PS-starken Diesel weit vorne. Albig war allerdings auch nie zurückhaltend, was den Ausstoß wirkungsvoller Worte angeht. Vor der letzten Bundestagswahl fragte er, warum die SPD einen Spitzenkandidaten aufstellen solle. Frau Merkel mache das doch ausgezeichnet. So einer gibt auch sonst gerne Gas. Und wer weiß, dass der Wirtschaftsjurist fünf Jahre lang Kämmerer von Kiel war und in seiner Parteikarriere als Sprecher von drei SPD-Finanzministern immer genau aufs Geld schauen musste - der versteht, warum Torsten Albig als Landesfürst so richtig Bock darauf hatte, auf der Autobahn mal alle Sparzwänge hinter sich zu lassen. Harald Hordych

Der Wein

Wer: Peer Steinbrück, ehemaliger Bundesfinanzminister (2005 - 2009)

Neidfaktor: Teurer Pinot Grigio

Würde Peer Steinbrück einen Wein ausspucken, der nicht mehr als fünf Euro pro Flasche kostet? Einem den Mittelfinger zeigen? Mag sein. So einen Fusel trinkt er ja nicht. Oho, dachte man im Dezember 2012, als er bei einer Veranstaltung als Kanzlerkandidat behauptete, er würde sich nie eine Flasche Pinot Grigio kaufen, die nur fünf Euro kostet. Eigentlich ging es um eine Erhöhung des Kindergelds - Steinbrück fand, das könne sich Deutschland nicht leisten. Außerdem wisse man nicht, ob die zehn Euro mehr für zwei Schachteln Zigaretten ausgegeben werden, für zweieinhalb Bier oder für zwei Flaschen Wein. Und korrigierte sich rasch auf zwei Gläser. Abgesehen von einem interessanten Weltbild, das er von Eltern hat (saufen & rauchen), war der Auftritt maximal ungeschickt, da er wegen hoher Veranstaltungshonorare ohnehin im Gerede war. Wie man so was am besten aushält? Mit einem Glas Pinot. Pardon: einer Flasche. Julia Rothhaas

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Quelle:
SZ vom 27.10.2018
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