Dem Geheimnis auf der Spur:Terrassen im Meer

Lesezeit: 3 min

Was für eine Bühne: Ein Taucher besichtigt das Yonaguni-Monument. (Foto: imago/Nature Picture Library)

Ist das Yonaguni-Monument vor der japanischen Küste eine Schöpfung der Natur oder ein Werk des Menschen? Ein Wunder ist es so oder so. Manche glauben schon vor lauter Begeisterung, hier das "japanische Atlantis" entdeckt zu haben.

Von Florian Welle

Es sind herrliche Bilder: Die Taucher nehmen uns mit hinunter ins azurblaue Wasser des Chinesischen Meers. Ein paar Hundert Meter vor der Steilküste der japanischen Insel Yonaguni liegt am Iseki Point (etwa: Ruinenpunkt) in bis zu rund 30 Metern Tiefe eine der weltweit faszinierendsten Felsformationen - natürlich auch in zahlreichen Filmen im Internet zu besichtigen.

Man taucht mit den Profis über terrassenartig geformte, weitläufige Flächen, die mit ihren scharfen, fast genau rechtwinkeligen Kanten und Absätzen aussehen, als wären sie von Menschenhand geschaffen. Oder zwischen wuchtigen, von Korallen übersäten Blöcken hindurch, deren säulenartige Anordnung einem schlagartig den Glauben an den Zufall rauben.

Die einzelnen Plätze, zu denen uns die Taucher führen, tragen mittlerweile so schöne Namen wie Triangle Pool oder Waterway. Zusammen ergeben sie das weltberühmte Yonaguni-Monument, ein gigantischer Sandsteinfelsen in der Länge von 200 Metern, den der Tauchlehrer Kihachiro Aratake 1985 zufällig entdeckte. Wenn jetzt auf einmal hinter den Steinen noch Arielle, die Meerjungfrau, hervorlugen würde, könnte einen das auch nicht mehr verwundern.

Vor lauter Begeisterung glauben viele schon, hier das "japanische Atlantis" gefunden zu haben

Studiert man die weltweite Presse zum Yonaguni-Monument, so begegnen einem Schlagzeilen, die einen größeren kulturhistorischen Kontext aufrufen. Da ist, noch vergleichsweise bescheiden, vom "Tempel im Chinesischen Meer" die Rede. Oder, schon sensationsheischender, von "Japans Pyramiden". Am besten jedoch klingt natürlich: "Japanisches Atlantis".

Das Mysterium wirft natürlich viele Fragen auf. Wurde das Monument mit seinen bühnenähnlichen Plateaus sowie zahllosen Auf- und Abstiegen vor Tausenden Jahren von einer Zivilisation geschaffen, die später untergegangen ist? Zum Beispiel als religiöse Kult- und Weihestätte? Oder handelt es sich bei der beeindruckenden Anordnung einfach nur um eine natürliche geologische Formation? Beide Ansichten haben Befürworter wie Gegner. Verkürzt könnte man auch sagen: Zivilisationstheorie versus Erosionstheorie.

Einer, der davon überzeugt ist, dass hier einst Menschen Hand angelegt haben müssen, ist Masaaki Kimura. Der emeritierte Professor für Geophysik an der Ryukus-Universität forscht seit Jahrzehnten zu Yonaguni. Seinen ersten Eindruck fasste er für einen Fernsehfilm so zusammen: "Es hat mich sofort an die Pyramiden erinnert, und ich dachte, ich sei im alten Ägypten." Kimura argumentiert, dass die vertikalen Wände genauso wie die wahlweise an Straßen oder Bühnen erinnernden Terrassen nicht das (Meister-)Werk einer launischen Natur, sondern wegen ihrer akkuraten Ausführung und gleichmäßigen Anordnung nur als Hinweise auf ein menschliches Bauwerk gedeutet werden können.

Da immer neue, architekturähnliche Formen wie zum Beispiel kreisrunde Löcher an dem Felsblock entdeckt werden, hält sich die These von einer uns bislang unbekannten Zivilisation hartnäckig. Würde sie stimmen, es wäre eine Sensation.

Kimura geht davon aus, dass das Yonaguni-Monument um 8000 v. Chr. entstanden sein muss, also etwa 5000 Jahre früher als die ägyptischen Pyramiden. Es wäre somit das älteste Bauwerk der Welt, das Manifest einer versunkenen Hochkultur. Allerdings geht die Wissenschaft davon aus, dass zu der Zeit die meisten Menschen Jäger und Sammler waren. Demnach wären sie noch nicht in der Lage gewesen, ein solches Wunderwerk zu bauen.

Professor Kimura lieferte mit seiner Ansicht Mythologen und Esoterikern eine Steilvorlage. Für sie stellt dieser Einwand kein Problem dar. Ihrer Ansicht nach handelt es sich bei dem Monument um Überreste einer durch den Anstieg des Meeresspiegels am Ende der letzten Eiszeit versunkenen Hochkultur. Mit anderen Worten: Es ist das japanische Atlantis, das in bestimmten Kreisen gleichbedeutend mit dem sagenhaften Kontinent Mu ist. Aber Mu ist noch einmal ein anderer Geheimniskomplex und würde an dieser Stelle bedeutend zu weit führen. Für Graham Hancock, Autor von Bestsellern über die großen Menschheitsrätsel von der Bundeslade bis zur Sphinx, ist die Frage jedenfalls nicht mehr, ob am Iseki Point einst Menschen am Werk waren, sondern nur noch: zu welchem Zweck.

Diesen parawissenschaftlichen Auffassungen stehen Naturwissenschaftler wie Robert Schoch skeptisch gegenüber. Der amerikanische Geologe, der 1998 als erster westlicher Forscher selbst dort getaucht ist, geht davon aus, dass die auffälligen Strukturen und Schichtungen des Felsens allein durch die Kräfte der Natur entstanden sind. Genauso wie Schoch argumentiert der Geologe und Profitaucher Wolf Wichmann. Auch er hat sich mehrmals das Yonaguni-Monument mit eigenen Augen angesehen.

Für Spiegel Online hat er über seine Ergebnisse in einem Beitrag und einem Interview ausführlich Bericht erstattet. Unter anderem schreibt er dort: "Die Terrassenflächen und -wände verlaufen sämtlich entlang der vorgegebenen Schwächezonen im Felsen: den Schichtfugen des Sedimentgesteins und dem senkrecht zu diesen verlaufenden Klüftungsnetz. Auch alle anderen beobachteten Formen entsprechen dem Erosionsmuster, welches die an dieser Lokalität wirksamen Kräfte auslösen. So gibt es Brandungsgassen, Strudellöcher im scheinbar massiven Gestein, sekundär ausgehärtete Krustenüberzüge, sowie Löcher, die von Seeigeln und Bohrmuscheln ins Gestein gefräst worden sind. Alle diese Formen sind leicht als natürlich entstanden deutbar." Die Theorie einer versunkenen Hochkultur lässt sich vor dem Hintergrund dieser Argumentation kaum ernsthaft aufrechterhalten.

© SZ vom 09.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: