Dem Geheimnis auf der Spur:"Mein theuerstes Wesen"

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Wer war Beethovens "Unsterbliche Geliebte"? Seit fast 200 Jahren rätseln Historiker über einen mysteriösen Liebesbrief des Komponisten.

Von Wolfgang Schreiber

Mein Engel, mein alles, mein Ich." Ludwig van Beethoven, 41 Jahre alt, schreibt der Frau, die er anbetet und begehrt, einen rätselhaften Liebes- und Schmerzensbrief. "Kann unsre Liebe anders bestehn als durch Aufopferungen, durch nicht alles verlangen, kannst du es ändern, daß du nicht ganz mein, ich nicht ganz dein bin. ." Beethoven verschweigt in dem mit Bleistift gekritzelten, dreiteiligen Brief nicht nur den Namen der angebeten Frau, auch Ort und Jahreszahl. Als Datum vermerkt er bloß: "am 6ten Juli Morgends" - und fügt in der Brieffortsetzung hinzu: "Abends Montags". Er teilt ferner mit, den Brief sende er mit der Post nach "K". Noch ein Rätsel: Hat Beethoven den Brief überhaupt abgeschickt? Sein Adlatus Anton Schindler fand ihn im Nachlass des Toten.

Wer war die Frau? Nach ihr fahnden die Musikhistoriker seit fast 200 Jahren. Immerhin ergab sich durch die Erwähnung des Wochentags die Chance, herauszufinden, dass der genannte Montag, 6. Juli, dem Jahr 1812 angehören musste. Obwohl auch die Jahre 1795, 1801, 1807 und 1818 einen Montag mit dem Tagesdatum enthielten. Beethovens spezieller Briefhinweis zum Postverkehr machten für "K." das böhmische Karlsbad am wahrscheinlichsten - somit als Absendeort die nordwestlich von Prag gelegene Kurstadt Teplitz, wo sich Beethoven im Sommer 1812 tatsächlich zur Kur aufhielt.

Beethovens größter Wunsch war es über viele Jahre, mit einer Frau die Ehe einzugehen

Wie absonderlich Beethoven dort auf die Zeitgenossen gewirkt haben muss, beschreibt niemand anders als Goethe im Brief an seine Frau Christiane. In Teplitz fand nämlich um die Zeit die berühmte Begegnung des Komponisten mit dem zwei Jahrzehnte älteren Dichter statt: "Zusammengeraffter, energischer, inniger habe ich noch keinen Künstler gesehen. Ich begreife recht gut, wie der gegen die Welt wunderlich stehen muß." An anderer Stelle wird Goethe deutlicher: "Er ist leider eine ganz ungebändigte Persönlichkeit." Der Republikaner Beethoven bewertet den Weimarer Fürstendiener strenger - an seinen Verleger: "Göthe behagt die Hofluft zu sehr - mehr als es einem Dichter ziemt."

Der "ungebändigte" Beethoven bedrängt geradezu die Frau, die er in der Brieffortsetzung heftig anschwärmt: "guten Morgen am 7ten Juli - schon im Bette drängen sich die Ideen zu dir meine Un-sterbliche Geliebte, hier und da freudig, dann wieder traurig, vom Schicksaale abwartend, ob es unß erhört".

Gönnerinnen und Schülerinnen, Freun-dinnen, schließlich die "Unsterbliche Ge-liebte" - Beethoven hat sich zeit seines Lebens in Beziehungen zu Frauen gestürzt, sie in seiner scheuen, ehrerbietigen, auch begehrlichen Art hochgeschätzt, angebetet, geliebt. Beethovens größter Wunsch war es über viele Jahre hinweg, mit einer Frau die Ehe einzugehen. Vergeblich!

"Wer die 'unsterbliche Geliebte' auch gewesen sein mag, es ist offensichtlich, dass Beethoven im Sommer 1812 jede Hoffnung auf ein glückliches Eheleben verlor." Der belgische Musikwissenschaftler Jan Caeyers hat in seiner exzellenten Beethoven-Biografie ("Der einsame Revolutionär", 2012) die Flut von Büchern, Theorien und Vermutungen zur Unsterblich-Unbekannten verarbeitet: Er legt sich zwar nicht auf eine einzige Person fest, da es kaum hieb- und stichfeste Beweise gibt, aber Caeyers lässt erkennen, für welche Frau die besten Argumente sprechen. Die Musikforschung der letzten Jahrzehnte ist der Lösung des Rätsels tatsächlich nähergekommen.

Beethoven nennt seine Angebetete im Brief "mein theuerstes Wesen" oder auch "einziger schaz". Sie gehörte jedenfalls der kunstliebenden Gesellschaft Wiens an, der sich Beethoven verbunden fühlte. Den Kandidatinnen wurden bisher zugerechnet: die Gräfin Giulietta Guicciardi und die Sängerin Amalie Sebald, die Pianistinnen Anna Maria Erdödy und Dorothea von Ertmann, sodann die Clemens-Brentano-Schwester Bettina und Therese Brunsvik.

Deren Schwester Josephine von Brunsvik sowie, etwas schwächer platziert, Bettinas Schwägerin Antonie Brentano, Bankiersgattin, wären quasi die Siegerinnen des seltsamen Wettstreits um die Identifizierung von Beethovens großer Liebe. Zu diesem Ergebnis kam 1977 Harry Goldschmidt in seiner in Leipzig erschienenen "Bestandsaufnahme" um die Unsterbliche Geliebte, diese schicksalhafte erotische Affäre Beethovens. Um eine solche handelte es sich, folgt man der Argumentation von Marie-Elisabeth Tellenbach, die 1983 nachweisen wollte, wie sehr Beethovens Brief mit der adeligen Ungarin Josephine von Brunsvik zusammenhängt.

Am 3. Juli 1812 soll es in Prag zu einer gemeinsamen "erfüllten" Nacht gekommen sein

Demnach begegneten sich Josephine und Beethoven, der mit ihr Jahre davor eine intensive Beziehung hatte und ihr dann eine Reihe leidenschaftlicher Liebesbriefe schrieb, am 3. Juli in Prag, wo es zu einer gemeinsam verbrachten "erfüllten" Nacht gekommen sei. Beethovens im Brief vom 6./7. Juli neu entfachte Hoffnung auf Besiegelung der Liebe wird glaubhaft in den Worten: "sey ruhig, nur durch ruhiges Beschauen unsres Daseyns können wir unsern Zweck zusammen zu leben erreichen". Josephine, kurz vor der Scheidung vom Ehemann stehend, reiste jedoch vorzeitig, wohl in Panik, von Karlsbad zurück nach Wien. Neun Monate später brachte sie ihr siebtes Kind zur Welt, mit Namen Minona (ein Anagramm zu Anonym). Beethovens natürliche Tochter?

Jan Caeyers, der Biograf, bleibt in Sa-chen Josephine von Brunsvik vorsichtig: Eine solche "Rekonstruktion" der Ereig-nisse wirke zwar "plausibel", doch balanciere das Ganze "auf der hauchdünnen Grenze zwischen Fakten und Fiktion". Es zählt die Intuition: Nur Beethovens Musik kann das definitive, immer neu zu sprechende Schlusswort sein.

© SZ vom 19.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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