Dem Geheimnis  auf der Spur:Havarie als Kunst

Dem Geheimnis  auf der Spur: Bas Jan Ader beim Stapellauf der Ocean Wave in Catham Harbor, Massachusetts im Juli 1975.

Bas Jan Ader beim Stapellauf der Ocean Wave in Catham Harbor, Massachusetts im Juli 1975.

(Foto: Estate of Bas Jan Ader/Mary Sue Ader Andersen, 2017/The Artist Rights Society (ARS) New York. Courtesy of Meliksetian | Briggs, Los Angeles)

Wie der niederländische Künstler Bas Jan Ader 1975 auf der Fahrt über den Atlantik auf Nimmerwiedersehen verschwand.

Von Catrin Lorch

Ein Abschied: Der Künstler Bas Jan Ader hatte einen Studentenchor in eine Galerie in Los Angeles eingeladen, die jungen Sänger versammelten sich um ein Klavier und sangen Shanties, Lieder, die vom Leben auf der See handeln, vom tiefen Wasser und gewaltigen Wellen und Einsamkeit. Der Schunkeltakt fragt nicht, warum einer sich das antut oder ob es sich nicht besser, sicherer an Land leben lässt. "The land is no longer in view, the clouds have begun to frown/ But with a stout vessel and crew we'll say let the storm come down!", heißt es in dem Klassiker "A Life on the Ocean Wave", der die Gefahr beschwört und gleichzeitig auch das Zutrauen in eine erfahrene Mannschaft und das haltbare Schiff.

Ocean Wave hieß auch der Einhandsegler, auf dem Bas Jan Ader in See stach. Allein. Nachdem der Künstler mit einer Taschenlampe in Los Angeles den Weg zum Hafen abgelaufen war, sollte Teil zwei der Trilogie unter dem Titel "In Search of the Miraculous" in der Überquerung des Atlantiks bestehen. Am Nachmittag des 9. Juli 1975 bestieg der schmale, attraktive 33-Jährige in Cape Cod das winzige Boot. Dann setzte er die Segel auf der nicht einmal vier Meter langen Nussschale und machte sich auf in Richtung Europa. Den fernen Kontinent wollte er zehn Wochen später erreichen. Seine Ankunft sollte mit einem zweiten Gesangsabend in dem englischen Küstenort Falmouth gefeiert werden. Die Trilogie wäre mit dem Fußweg vom Hafen in das Städtchen vollendet gewesen. Die Partituren hatte Bas Jan Ader bereits selbst ausgewählt, die Sänger hätten auch einen Rekord gefeiert, denn es war noch niemandem gelungen, in einem so kleinen Boot den Atlantik zu überqueren.

Die Fahrt über den Ozean auf dem winzigen Boot ist sein anspruchsvollster Selbstversuch

Bas Jan Ader war wagemutig - aber nicht vermessen. Der im Jahr 1942 in Winschoten geborene Niederländer war ein erfahrener Segler. Er hatte bereits als junger Mann ein ähnliches Abenteuer bestanden und war mit nur einem Begleiter von Marokko bis nach Kalifornien gesegelt. Die Ankunft sei dabei fast einem Schiffbruch gleichgekommen, heißt es in manchen romantischen Auslegungen seiner Biografie. In den USA studierte Bas Jan Ader dann Kunst und arbeitete stringent an einem Werk, das vor allem in der Thematisierung von Schwerkraft besteht. Der Fall ist daher seine zentrale Metapher. Kurze Filme wie "Fall 1" von 1970 und "Fall 2" zeigen innerhalb weniger Sekunden, wie der Körper des Künstlers sich nicht mehr an einem Ast halten kann und in einen Graben stürzt oder mit dem Fahrrad hineinfällt. Ein anderer Film von ihm, "I'm too sad to tell you", der 1971 entstanden ist, zeigt ihn beim Weinen. Die Fahrt über den atlantischen Ozean war der - wenn man so will - bis dahin anspruchsvollste Selbstversuch des Künstlers.

Doch Bas Jan Ader sollte niemals ankommen, die zweite Etappe der Reise, die Mitteltafel des Triptychons, blieb unvollendet. Zuletzt wurde er wohl kurz vor den Azoren gesichtet. Sein kleines Boot zog man am 10. April 1976 im stürmischen Atlantik vor der Westküste Irlands aus dem Wasser und brachte es nach Spanien.

Vom Künstler keine Spur. Bas Jan Ader und sein Werk gelten seither als einer der großen Mythen der Nachkriegskunst. Lange war er ein "Künstler-Künstler", einer, der dem großen Publikum unbekannt ist, von Kollegen jedoch verehrt wird. Die in Berlin lebende und arbeitende britsche Künstlerin Tacita Dean nannte "In Search of The Miraculous" eine Art von Pilgerreise, die "ein Element der Unterwerfung" umwirbt. Viele sahen in seinem Verschwinden auch nicht unbedingt das Ende des Künstlers, lange hielten sich Vermutungen, Bas Jan Ader habe es von Anfang an auf sein eigenes Verschwinden angelegt - angeblich wurde er in Südamerika gesichtet, dann wieder in Barcelona. Und in seinem Schließfach in Los Angeles tauchte eine Biografie von Donald Crowhurst auf, einem Einhandsegler, der unter ungeklärten Umständen kurz vor Ende einer Weltumseglung verschwand. Dass das Wrack von Bas Jan Aders Ocean Wave später gestohlen wurde, trug zur Legendenbildung bei.

Die Kunstszene entschied sich jedoch spätestens dann gegen alle Legenden, als der Fotograf Christopher Williams für ihn - symbolisch, denn das Meer, dieses nasse Grab hat keine Grabsteine - ein "Bouquet" niederlegte. Seine Fotografie aus dem Jahr 1991 zeigt einen Blumenstrauß und ist "Bouquet for Bas Jan Ader and Christopher D'Arcangelo" betitelt.

Es war wohl diese Arbeit, die den Kunsthistoriker und Galeristen Christopher Müller dazu bewegte, mit seiner Magisterarbeit erstmals das Werk des niederländischen Konzeptkünstlers systematisch zu erfassen. Die von ihm kuratierten Ausstellungen etablierten Bas Jan Ader nach der Jahrtausendwende endlich nicht nur bei einem etwas breiteren Publikum, sondern auch in der Kunstgeschichte und in den Museen. Das schmale Werk, das mit der kleinen Ocean Wave fast verloren gegangen wäre, hat nun seinen Ort gefunden - der Künstler Bas Jan Ader indes, er gilt weiterhin als verschollen.

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