Dem Geheimnis auf der Spur:Geist der Garage

Dem Geheimnis auf der Spur: Der Schrein des tief religiösen Künstlers James Hampton ähnelt einem Thron.

Der Schrein des tief religiösen Künstlers James Hampton ähnelt einem Thron.

(Foto: Courtesy of the smithsonian american art museum)

Der US-Amerikaner James Hampton schuf nur ein Kunstwerk - einen Thron oder Schrein aus Gebrauchsmaterialien in seiner Garage. Außerdem schrieb er ein Tagebuch in einer Schrift, die bisher niemand entziffern konnte.

Von Florian Welle

Eine Kulturgeschichte der Garage ist überfällig. Was verdankt die Welt nicht alles den wenigen Quadratmetern Beton mit Tor. Ohne sie etwa kein Garagen-Rock. Vor allem kein Tablet und kein iPhone. Der berühmteste Unterstellplatz steht in 2066 Crist Drive, Los Altos, und gehörte Steve Jobs. "Steve Wozniak und ich haben in dieser Garage hart gearbeitet - innerhalb von zehn Jahren hat sich Apple von zwei Typen in einer Garage zu einem Zwei-Milliarden-Dollar-Unternehmen entwickelt", erzählte Jobs einmal.

Garagen, wenn sie nicht dem Auto dienen, sind Rückzugsorte für Bastler, Tüftler, Nerds, also für eher verschrobene Zeitgenossen unter uns. So machte auch der Eigentümer einer Garage in Washington D.C. große Augen, als er die Immobilie nach dem Tod des Mieters öffnete und vor einer mehrere Meter großen Installation stand, deren gesamte Oberfläche metallen schimmerte. Was, bitte, hatte der Afroamerikaner James Hampton, der niemals verheiratet war und so gut wie keine Freunde zu haben schien, hier nur seit 1950 bis zu seinem Tod durch Magenkrebs im November 1964 getrieben?

Heute befindet sich der von Hampton ziemlich schräg betitelte "Throne of the Third Heaven of the Nations' Millennium General Assembly", manchmal auch einfach "The Hampton Throne" genannt, im Washingtoner Smithsonian American Art Museum. Es gibt im Internet ein kurzes Video, das einen ersten Eindruck vermittelt von dem aus gut 180 silber- und goldglänzenden Einzelteilen bestehenden Gebilde: Zunächst meint man, ein adeliges Prunkbüfett zu sehen. Hier allerlei Kronen, dort tellerartige Gebilde. Doch nach und nach verstärkt sich der Eindruck, dass es sich vielmehr um einen mit vielen Schnörkeln aufwendig verzierten Altar handeln müsse; in der Mitte ein mit Flügeln versehener Thron, über dessen Lehne in Großbuchstaben der Spruch prangt: "FEAR NOT".

Fürchte dich nicht! X-mal taucht der Spruch in der Bibel auf und erzeugt mit anderen Sprüchen, die Hampton hier und da angebracht hat, das Bild eines tiefreligiösen Mannes, der mit seinem wohl einzigen wie definitiv einzigartigen Werk als Vertreter der sogenannten Außenseiterkunst posthum in die Kunstgeschichte eingegangen ist. Die Installation ist symmetrisch angeordnet. Links und rechts wird sie von den großen "Butterfly Stands", den Schmetterlingsständern, flankiert. Während auf der einen Seite alles auf das Alte Testament verweist, steht die andere in Bezug zum Neuen.

Hampton benutzte Gebrauchsmaterial, das er oft auf Müllhalden fand

Als Basismaterial benutzte Hampton ausrangierte Holzmöbel, Bretter, Schubladen und Kartonagen, die er häufig auf Mülldeponien aufgelesen hatte. Anschließend beklebte und ummantelte er sie mit Alu- und Goldfolie; Speisegläser, Glühbirnen und Elektrokabel erzeugen weitere Effekte, die teuren Glanz vorspiegeln. Hampton arbeitete mit Gebrauchsmaterialien, die sein Werk über die Jahre anfällig für Schäden aller Art machten. Weshalb es seit der ersten Zurschaustellung 1971 immer wieder restauriert werden musste.

Wer war dieser Mann? 14 Jahre lang hatte er sich Nacht für Nacht in eine unbeheizte Garage zurückgezogen, um etwas zu erschaffen, das man wohl als eine Art religiösen Tribut zu begreifen hat - Hampton glaubte an die Wiederkunft Christi -, dessen tiefere Bedeutung sich aber wohl für immer entziehen wird. Die biografischen Details sind spärlich. James Hampton kam 1909 in Elloree, South Carolina, als Sohn eines baptistischen Wanderpredigers zur Welt. 1928 ging der Country Boy in die US-Hauptstadt, wo er sich als Koch durchschlug. Zu dieser Zeit hatte er seine erste Vision, wie eine Inschrift auf dem "Throne" informiert: "This is true that the Great Moses the giver of the tenth commandment appeared in Washington April 11, 1931." Weitere Visionen sollten folgen.

Während des Krieges diente Hampton drei Jahre lang bei der Armee und lernte so auch die westpazifischen Inseln Guam und Saipan kennen. Beeinflusste die Kunst der Einheimischen sein Werk? Nach dem Krieg wurde er dann Hausmeister bei der General Services Administration, ein Job, den er bis zum Tod ausüben wird. Kurz: ein auffällig unauffälliges Leben, wäre da nicht das nächtens geschaffene bizarre Kunstwerk. Bizarr auch deshalb, weil es neben den englischen Texten mit Zetteln versehen ist, deren Schrift bislang niemand entziffern konnte.

Mehr noch: In Hamptons Nachlass fand sich ein Notizbuch, dessen mehr als 100 Seiten in der gleichen Schrift beschrieben sind. Nur wenige Worte darin sind lesbar, so der mysteriöse Titel "The Book of the 7 Dispensations by St. James". Wobei "dispensation" im Englischen mehrere Bedeutungen von "Befreiung" über "Gabe" bis zu "göttlicher Fügung" und einem "religiösen System" haben kann. Ungeachtet dessen ist dieses verschlüsselte Notizbuch eines der bis heute größten Rätsel in der Geschichte der Kryptologie. Während einige mutmaßen, es könnte sich um die Kreolsprache Gullah handeln, gehen andere davon aus, dass es sich um unverständliche Zungenrede handelt, wie sie auch in der Bibel thematisiert wird.

Bei all dem verwundert es nicht mehr, dass selbst das einzige Foto, das in diesem Zusammenhang existiert und einen Mann mit Brille vor dem "Hampton Throne" zeigt, Rätsel aufgibt: Handelt es sich bei dem Porträtierten überhaupt um den menschenscheuen James Hampton oder wurde das Foto vielleicht erst nach dessen Tod gemacht? Die Identität des Fotografen konnte nie festgestellt werden. "Revelation", Offenbarung, steht am Ende jeder Seite des Notizbuchs als eines der wenigen verständlichen Worte. Seine Entzifferung gliche in der Tat einer Offenbarung.

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