Dem Geheimnis auf der Spur:Ewige Schatzsuche

Dem Geheimnis auf der Spur: Cocos Island gilt ganz unabhängig von Stevensons Roman als die Schatzinsel schlechthin.

Cocos Island gilt ganz unabhängig von Stevensons Roman als die Schatzinsel schlechthin.

(Foto: Avi Kapfer-MarViva Foundation)

Unter allen Inseln, auf denen vergrabene Piratenbeute vermutet wird, versammelt Cocos Island die meisten Gerüchte.

Von Harald Eggebrecht

Dublonen, Dublonen!" oder in anderer Übersetzung "Dukaten, Dukaten" schreit der Papagei auf der Schulter von Long John Silver, einer der unsterblichen Gestalten der Weltliteratur. Erfunden hat ihn der große Robert Louis Stevenson in "Treasure Island", "Die Schatzinsel", einem jener Bücher, das für alle Zeiten sein Feuer und seine Faszination nie verliert. In der "Schatzinsel" gelang Stevenson nicht nur ein herrlich "reißendes Märchen" (Ernst Bloch) mit großer Ausfahrt zu einer geheimnisvollen Insel, Schatzsuche und Schatzfund, mörderischen Piraten und zuletzt glücklicher Heimkehr, ein toll schillernder Abenteuerroman aus der Sicht des vierzehnjährigen Jim Hawkins. Doch die "Schatzinsel" ist auch ein wundersames Psychomeisterwerk, weil Stevenson nicht einfach hier die Guten, da die Bösen versammelt und gegeneinander führt, sondern alle Beteiligten als höchst zwiespältige Wesen beschreibt, die von Goldhunger und anderen Begierden, finsteren Mordplänen und jähen Affekten genauso geschüttelt werden, wie sie Liebenswürdigkeit, Witz, auch Reue und Mitgefühl zeigen können.

Ausgangspunkt für alle Karten und Berichte ist der sagenghafte Kirchenschatz von Lima

Stevenson selbst hat geschrieben, dass er durch das Malen seines Stiefsohnes Lloyd Osbourne auf die Schatzinsel-Idee gekommen sei und selbst eine Zeichnung angefertigt habe: "Sie war aufwendig und sehr schön koloriert. Ihre Gestalt nahm meine Fantasie sofort gefangen, sie besaß Ankerplätze, die mir anmutig wie Sonette erschienen. Es soll wohl Menschen geben, denen Landkarten nichts bedeuten, und ich kann das kaum glauben. Hier ist eine unerschöpfliche Fundgrube für jeden Interessierten, der Augen hat zu sehen oder für zwei Penny Vorstellungskraft, um zu verstehen. Man muss sich nur erinnern, wie man als Kind im Gras gelegen und in einen unendlichen Wald aus Halmen geschaut hat, wo Heerscharen von Feen aufmarschierten. Ganz ähnlich begannen, wenn ich mich über die Karte der Schatzinsel beugte, die zukünftigen Figuren des Buchs sich dort in den Fantasiewäldern zu tummeln."

Der Schweizer Schriftsteller Alex Capus hat in seiner romanhaften Recherche über Stevenson erzählt, dass Stevenson während seines Aufenthaltes in San Francisco 1879/ 80 unweigerlich mit den Legenden und kursierenden Karten in Kontakt kam, die behaupteten, dass eine kleine Insel vor der Küste Costa Ricas jener Ort sei, wo nicht nur der Kirchenschatz von Lima versteckt worden sei, sondern auch diverse Piratenkapitäne dort ihre Beute vergraben hätten. Es ist höchstwahrscheinlich, dass Stevenson diese Seemannsschnurren in den Hafenkneipen gehört und später für seine "Schatzinsel" vergnügt genutzt hat.

Doch Cocos Island, vor der pazifischen Küste von Costa Rica gelegen, gilt auch ganz unabhängig von Stevenson als Schatzinsel schlechthin, die bis heute Amateure wie Profis magisch anzieht. 1978 hat die Regierung von Costa Rica die unbewohnte Insel unter Naturschutz gestellt, damit sie nicht ununterbrochen von Schatzsuchern umgewühlt wird. Seit 1997 ist sie sogar Unesco-Welterbestätte.

Ausgangspunkt für alle möglichen "echten" und unechten Karten, "wahren" und sonstigen Berichte ist der sagenhafte Kirchenschatz von Lima, der 1820 vor den anrückenden Aufständischen der von Simón Bolívar initiierten Unabhängigkeitsbewegungen in Sicherheit gebracht werden sollte. Doch schon davor sollen freibeuterische Seefahrer wie William Dampier, der immerhin dreimal um die Welt segelte und sich auch als Navigator und Geograf einen Namen machte, oder der berüchtigte Sir Henry Morgan auf der Cocos-Insel Beute vergraben haben. Tatsächlich war Dampier auf der Insel, die er auch beschrieben hat. Doch Henry Morgan operierte nur in der Karibik gegen spanische Schiffe. Noch unglaubwürdiger sind Gerüchte über den Piraten Benito Bonito, der historisch nicht zu belegen ist. Und auch der Kirchenschatz aus Lima ist wohl nicht vom schottischen Kapitän William Thompson auf der Kokosinsel vergraben worden. Auch Thompson und sein Schiff Mary Dear sind umstritten. Wahrscheinlicher ist es, dass der legendäre Limaschatz, darunter angeblich eine Marienstatue aus purem Gold, von den Spaniern selbst aus der Festung der peruanischen Hafenstadt Callao weggeschafft werden konnte, nachdem ihnen der britische Vizeadmiral Thomas Cochrane freien Abzug gewährt hatte.

Dennoch versuchen alle nur denkbaren Abenteurer und Globetrotter ihr Glück als Schatzsucher auf dieser Insel, die ja mehr oder weniger vollgestopft sein muss mit Gold, Edelsteinen und Silberbarren. Selbst der britische Admiral Henry St. Leger Bury Palliser wies 1897 die Mannschaft seines Flaggschiffs HMS Imperieuse dazu an, auf Cocos Island zu graben - erfolglos.

Unter allen Fantasten, die vom großen Fund träumten und die Insel umpflügten, ragt besonders der deutsche Fabrikantensohn aus Remscheid, August Gissler, hervor. Er schaffte es sogar, von der Regierung Costa Ricas 1897 zum Gouverneur der Kokosinsel ernannt zu werden. Er gründete eine Aktiengesellschaft zur Finanzierung der Schatzsuche. Von 1889 bis 1903 leitete er sogar eine kleine Kolonie, dann machte er mit seiner Frau alleine weiter. Gissler war sich seiner Sache sicher, weil er zwei Karten aus unterschiedlichen Quellen hatte. Doch obwohl er sich zwanzig Jahre lang buchstäblich in die Insel hineinbohrte in kilometerlangen Tunneln, die heute noch zu besichtigen sind, blieben seine Hoffnungen unerfüllt. Gissler starb verarmt 1935 in New York. Seine Ausbeute bestand nur aus sechs Münzen, die er am Strand der Wafer Bay gefunden hatte. Es waren: Dublonen, Dublonen!

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