Die Zeitungsreporter waren schnell zur Stelle. Im Polizeifunk hatten sie gehört, dass sich etwas Besonderes anbahnte, als die Ermittler zur Ecke West 39. Straße und South Norton Avenue im Leimert Park beordert wurden. In der städtebaulich noch unterentwickelten Region von Los Angeles mit nur wenigen Häusern war sonst wenig los.
Hingegen steuerte der Zeitungskrieg um die höchsten Auflagen zwischen den Blättern von William Randolph Hearst und denen der Chandler-Dynastie um die Los Angeles Times gerade auf den Höhepunkt zu. So hatte die Polizei alle Hände voll damit zu tun, die Fotografenscharen zu bändigen, die am 15. Januar 1947 den Fundort einer besonders grausam verstümmelten Frauenleiche umlagerten.
Eine griffige Schlagzeile hatten die Reporter bald parat. Sie waren zum nahe gelegenen, beliebten Küstenort Long Beach ausgeschwärmt und hatten dort Hinweise auf eine schöne junge Frau gefunden, die den damaligen Kinohit "Die blaue Dahlie" mit Alan Ladd und Veronica Lake mehr als einmal gesehen hatte und sich in Anspielung daran angeblich mit einer Dahlie geschmückt hatte. Doch am liebsten trug sie schwarz. Ein Populärmythos war geboren - der Mythos der "schwarzen Dahlie". Eine der seltsamsten Blüten der Floristik.
Auch an dem Mord war alles rätselhaft. Schon die Inszenierung des Fundortes wirkte bizarr. Die nackte Leiche war an der Hüfte in zwei Teile zerteilt worden. Einige Zentimeter abgerückt lag ihr Unterleib mit gespreizten Beinen - wie zum Geschlechtsverkehr bereit. Die Brüste waren zum Teil abgeschnitten, der Oberkörper mit Wunden übersät. Und der Mund war von einem Ohr zum anderen zu einem unnatürlichen Grinsen aufgeschlitzt. Für viele Polizisten war und blieb es der grausigste Fund ihres Lebens.
Die Leichenteile waren gewaschen, die inneren Organe entfernt oder fein säuberlich in den Torso zurückgestopft worden. Am Fundort war kein einziger Tropfen Blut zu entdecken. Es handelte sich also keinesfalls um den Tatort. Der Polizei war es gelungen, die Fotografen davon abzuhalten, Details abzulichten. Daher sind die schockierenden Bilder der "schwarzen Dahlie" bis heute ausschließlich kühle Polizeifotos.
Zu den vielen Verdächtigen gehörten auch Stars wie Orson Welles und Woody Guthrie
Das Presseecho auf den Titelseiten war trotzdem phänomenal. Nur mit der Nachricht vom Ende des Zweiten Weltkriegs hatte der Los Angeles Examiner eine höhere Auflage. Bald wurde die Geschichte der wahren "schwarzen Dahlie", Elizabeth Short, einer 22-jährigen schwarzhaarigen Schönheit aus Boston bekannt. Ein mit ausgeschnittenen Zeitungsbuchstaben beklebter Umschlag, den die Polizei von einem "Black Dahlia Avenger" zugeschickt bekam, enthielt ihre Geburtsurkunde, ein Notizbuch und andere persönliche Schreiben. Direkte Hinweise auf eine angestrebte Filmkarriere in "Hollywood Babylon" blieben zwar aus. Klar wurde aber, dass sie viele Männerbekanntschaften gehabt hatte. Auch der Prostitution wurde sie verdächtigt. Schnell bekannten sich Dutzende von Männern zur Tat. Bald hatte die Polizei eine Liste mit 22 Verdächtigen, die die Zeitungen noch um Prominente wie Orson Welles, Woody Guthrie und Norman Chandler, den Herausgeber der L. A. Times, ergänzten. Es gibt eine Zeichnung aus dieser Zeit, in der Hollywood als tiefe Schlucht Tausende Frauen anlockt, die in ihrem Höllenschlund verschwinden. Eines dieser Opfer der Glitzerwelt schien Elisabeth Short zu sein.
Seit 70 Jahren ist dieser spektakuläre Fall unaufgeklärt. Unter den vielen Büchern und Filmen zum Thema ragt James Ellroys Roman von 1987 heraus, in dem er auch die Polizei- und Gangsterszene der Zeit porträtiert. Ellroy hatte aber noch einen persönlichen Grund für das Buch, das 2006 von Brian de Palma kongenial als Film-Noir-Thriller verfilmt wurde. Ellroys Mutter Geneva Hilliker - ebenfalls eine frei lebende Frau mit zahlreichen Männerbekanntschaften - war 1958 auch Opfer eines brutalen Mordes geworden. Ihre Leiche wurde nicht bizarr entstellt, aber James Ellroy erklärt in seinem Tatsachenbericht "Die Rothaarige", dass er bei der Beschäftigung mit der "schwarzen Dahlie" seine eigene traumatische Erfahrung mitverarbeitet habe.
Mit 50 Männern soll Elizabeth Short zum Zeitpunkt ihres Todes Kontakt gehabt haben. So lässt sich der Mord wohl als frauenfeindliches Hassverbrechen erklären, bei dem die Attraktivität und das weibliche sexuelle Begehren symbolisch mitzerstört werden sollten. "Hollywoods irrster Mord endlich gelöst" titelt zwar auch heute noch so manche Boulevardzeitung. Doch am Ende finden sich dann nur die bekannten Fakten neu aufbereitet.
Die verrückteste Geschichte bietet der ehemalige LAPD-Mordermittler Steve Hodel, der herausgefunden haben will, dass sein Vater George Hodel der Mörder gewesen sei. Der war Arzt und erfüllte so die wichtigste Bedingung der Spurensuche. Denn über anatomischen Kenntnisse muss der Mörder und Präparator von Elizabeth Short verfügt haben, um sie in zwei Teile zerschneiden zu können, ohne einen Knochen zu verletzen. Seriöse Beweise für diese These gibt es nicht. Steve Hodel fand aber im Nachlass des Vaters eine Kiste mit Fotos, darunter nicht nur Schnappschüsse von Elizabeth Short, sondern auch Kunstfotos des Surrealisten Man Ray, der ein Freund der Familie war und in seinen Bildstudien "Les Amoureux" und "Minotaur" aufs grausigste an die "schwarze Dahlie" zu erinnern scheint.
Sex und Tod, grausames Verbrechen am Leben und an der Schönheit und das Böse, das dahinter aufscheint: Auch weil die Geschichte der "schwarzen Dahlie" all das enthält, ist sie so wirkmächtig.