Debatte über "Plus Size":Größenwahn

Plus Size Models

Die Plus-Sized-Models Laura Catterall and Hayley Morley in London.

(Foto: Getty Images)

Absolution für Speckröllchen: Die Modelagentur IMG hat die Kategorie "Plus Size" abgeschafft und damit für großes Aufsehen gesorgt. Doch ist die "Übergröße" tatsächlich so diskriminierend? Zwei Meinungen.

Von Julia Werner und Felicitas Kock

Das Etikett Plus Size / Übergröße kann bleiben, findet Julia Werner.

Natürlich muss man es politisch korrekt finden, dass dicke Mädchen nicht mehr mit ihm versehen werden sollen. Dick sind sie trotzdem. Und so wird sich auch nichts daran ändern, dass Übergrößen-Modehersteller weiterhin nach Plus-Size-Models bei den Agenturen fragen, wenn sie eines brauchen. Auch wenn eine der wichtigsten Modelagenturen der Welt jetzt eine neue Sprachregelung vorgibt.

Plus Size, das ist in der Modeindustrie ein technischer Begriff. Haute Couture wirkt nur gut an Frauen, deren Oberweite auf dem Laufsteg nicht wippt. So ein Mädchen nennt man "Fashion Girl". Für Unterwäsche und Bikinis brauchen Fotografen Damen mit etwas mehr Hintern und Busen, ein "Bikini Girl" also - womit wir schon bei Größe 38 wären. Und für Dicken-Mode? Eine dicke Frau. Plus Size, das hört sich charmanter an als "Fat Girl". Wenn diese Rundungen wirklich so normal wären, dann würden die meisten Frauen auf der Welt Konfektionsgröße 44 aufwärts tragen - und die darunter trügen den Zusatz: Minus Size. Es ist aber umgekehrt.

Speckröllchen - gesellschaftlich akzeptiert

Dass so viele Frauen sich nun über die Nachricht freuen, dass in einer Modelagentur ein Fachbegriff abgeschafft wird, sagt viel. Es bedeutet, dass sie es offenbar nötig haben, die gesellschaftliche Absolution für ihre Speckröllchen zu bekommen, anstatt auf sie zu pfeifen.

Übrigens ist nicht neu, dass man nicht gerne drauf schreibt, was drin steckt: die schickeren unter den Übergrößenherstellern versuchen mit allen Mitteln zu vermeiden, den Moppel beim Namen zu nennen. Sie umschreiben ihre Kollektion also mit so schönen Begriffen wie kurvig, sinnlich, weiblich, feminin. Das sind runde Frauen oft. Aber ja auch nicht immer. Und diese blumigen Umschreibungen der Körperfülle unterstellen allen ranken Schlanken das Gegenteil. Wer legt denn fest, was weiblich ist und was nicht? Sind dünne Frauen das etwa nie? Und wieso darf man Fettleibigkeit immer nur auf die Gene schieben, dafür aber die Dünnen ungestraft Hungerhaken nennen?

Dicke Mädchen machen mich verrückt

Die italienische Vogue hat auf ihrer Website vor Jahren eigene Rubriken für verschiedene Typen eingerichtet: es gibt "curvy" genauso wie "black". Viele Schönheitsideale existieren also neben-, nicht miteinander. Das ist nicht diskriminierend, sondern pragmatisch: Schwedinnen interessieren sich nicht für dunkle Make-up-Töne - und "skinny girls" nicht für XL-Klamotten. Solange Frauen andere zu ideologischen Feindinnen machen, nur weil sie anders sind als sie, werden sie unglücklich sein über ihre eigene fehlende Widerstandskraft gegenüber Zuckrigem und Frittiertem.

Stattdessen sollten sie öfter mal ein Lied der Höhner summen. Es fasst die männlichen und damit wichtigsten Vorlieben in klaren Worten zusammen: Dicke Mädchen machen mich verrückt. Dicke Mädchen hat der Himmel geschickt.

Übergröße ist überholt

Das Etikett Plus Size / Übergröße muss weg, findet Felicitas Kock

Überfüllt, überfressen, überlastet: Was mit der Vorsilbe "über" beginnt, endet selten gut - vor allem, wenn von der Höhe und Breite eines Menschen die Rede ist. Wer Übergröße trägt, suggeriert der Begriff, läuft außerhalb der Norm. Ist zu viel, zu mächtig, zu prächtig. Gezeter bricht bislang meist dann aus, wenn Frauen die Grenze falsch gesetzt sehen: wenn das "über" wie bei der neuen Plus-Size-Kollektion der Kette Mango bei Größe 40 beginnt - und das, obwohl die durchschnittliche Konfektionsgröße in Deutschland bei 42 liegt. Nicht gerade kundenfreundlich, Menschen mit durchschnittlichen Maßen zu vermitteln, sie seien eine bedauernswerte Ausnahme.

Doch warum wird überhaupt unterschieden? Warum behandeln wir eine 44 anders als eine 34 - und nicht als Größe, die Frauen eben tragen? Warum braucht es dazu eine eigene Kategorie? Dass Modedesigner ihre Kleider lieber an dürren Damen vorführen - geschenkt. Ist eben praktischer, wenn Models Kleiderständern gleichen. Wo nur Knochen sind, lässt sich das neue heiße Teil aus der Spring/Summer-Kollektion einfach drüberwerfen, wo es individuelle Röllchen gibt, da muss individuell entworfen und liebevoll verkleidet werden.

Dass auf dem echten Laufsteg nur Mageres gewünscht wird, ist spätestens seit der Berliner Fashion Week klar. Dort gibt es zwar - wie aufgeschlossen - seit vergangenem Jahr eine "Curvy is sexy"-Messe, die findet aber hübsch abgeschirmt in einem eigenen Zelt statt und ist nur für Fachpublikum zugänglich.

Alles Laufstegzirkus? Mag sein. Doch wenn sich selbst eine Otto-Normal-Modekette dazu hinreißen lässt, Größe 40 in die "Über"-Ecke zu stecken, läuft etwas falsch. Zumal es in dieser Ecke ganz schön langweilig ist: Da ist in einem bemüht toleranten Ton von gemütlicher Mode die Rede, die glücklich macht. Von Wohlfühlteilen, kuscheligen Stoffen und entspannten Schnitten. Als bestünden dicke Frauen nur aus gefühligem Innenleben. Vielleicht wollen die sich aber gar nicht daheim auf der Couch zusammenrollen oder passend gekleidet in die nächste Zeltausstellung, sondern als Dame ins Büro und als Vamp auf die Piste, so wie viele dünne Menschen auch.

Wunderschön und nachthässlich

Es ist an der Zeit, dass sich die Mode den Körperformen von Frauen anpasst - und nicht das Umgekehrte verlangt. Denn dass Frauen wunderschön (und hässlich wie die Nacht) sein können, egal welche Konfektionsgröße sie tragen, wissen wir nicht erst seit Kurvenmodel Robyn Lawley.

Wenn die Modelagentur IMG die prallen Schönheiten, die sie anlässlich der Anti-Übergrößen-Politik unter Vertrag genommen hat, nicht ostentativ in eine Kategorie jenseits der Norm steckt, muss das gelobt werden. Denn der Begriff Übergröße ist vor allem eines: überholt.

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