Stilkritik Vorstellungsrunde:Hallo, ich bin der Donald

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Das Wollknäuel, oder besser, der Ball liegt bei US-Präsident Trump, der beim Dinner zwischen Fifa-Präsident Gianni Infantino und Louis-Vuitton-Chef Bernard Arnault sitzt, dem viertreichsten Mann der Welt. (Foto: Evan Vucci/AP)

Wenn Trump beim Dinner in Davos die Wirtschaftsbosse dazu auffordert, sich vorzustellen, denkt man sofort an nervige Kennenlernspiele beim morgendlichen Stuhlkreis. Zurecht.

Von Violetta Simon

In Seminaren, Elterninitiativen und evangelischen Kirchengruppen bewerfen sich Menschen beim morgendlichen Stuhlkreis mit einem Wollknäuel und sagen Sätze wie "Ich bin die Margot, mein Hobby ist Tischdeckenbeschwerer häkeln und ich bin hier, weil ich mich für alles interessiere, was mit Handarbeit zu tun hat."

Die Vorstellungsrunde - in Workshops wird sie häufig missverstanden als Aufforderung, die Gruppe mit einer Zusammenfassung der eigenen Biografie zu erfreuen, inklusive beiläufig erwähnter Hochbegabten-Stipendien und knapp verpasster Bezirksmeisterschaft in Kunstturnen ("... weil ich nebenbei ein Drehbuch geschrieben habe, das übrigens für die Hofer Filmtage vorgeschlagen wurde ...").

In der Kita bekräftigen Eltern dabei in der Regel erst einmal ihren Willen zum Engagement, um anschließend eine kleine Abhandlung über sämtliche positive Eigenschaften ihrer Zöglinge und eine vorsichtig formulierte Kritik am Umgang der Erzieherinnen mit Weizenmehl unterzubringen.

Wie im Stuhlkreis

Wenn US-Präsident Donald Trump nun beim Weltwirtschaftsforum in Davos bei einem Abendessen die anwesenden Wirtschaftsbosse dazu aufforderte, sich kurz vorzustellen, agierte er im Grunde genau wie ein Seminarleiter - und die anderen spielten mit. Zwar scheint Siemens-Chef Kaeser nicht gesagt zu haben: "Ich bin der Joe und arbeite bei einem großen deutschen Technologiekonzern." Auch beteten die Herren keine Karrierestationen herunter.

Allerdings darf man davon ausgehen, dass die sogenannte Vorstellungsrunde es ähnlich ablief wie im vergangenen Jahr. Wie eine aktuelle ARD-Dokumentation zeigt, reportierten die Topmanager artig, was sie und ihre Unternehmen für die US-Wirtschaft geleistet haben: Anzahl der Werke, Höhe der Investition, Wachstumsrate, Umsatz, Produktionszahlen usw. Dass ihm alle den Gefallen tun und mitmachen würden, dessen konnteTrump sich sicher sein. Zu verlockend war die Aussicht, sich bei dem Spiel "Mein Haus, mein Boot, mein Auto" gegenseitig zu überbieten.

Im Grunde konnten sie einem beinahe leid tun, die Teilnehmer von Trumps Tafelrunde. Da reist man von weit her an, will Deals einfädeln und konkrete Ergebnisse erzielen. Und dann das: Kennenlernspiel mit dem mächtigsten Mann der Welt - inklusive Selbstbeweihräucherung, Namedropping und Speichelleckerei. Fast wie im Stuhlkreis. Nur ohne Wollknäuel.

© SZ vom 22.01.20 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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