Süddeutsche Zeitung

David LaChapelle:Sein Land ist abgebrannt

David LaChapelle war der Fotograf, der den Konsum- und Körperfetischismus der Jahrtausendwende auf den Punkt brachte. Dann nahm er das Geld und erkaufte sich die Freiheit.

Von Tanja Rest

Die Legende geht so: Der heißeste Superstarfotograf des Planeten und die größte Diva des Pop telefonieren miteinander. Er will etwas, das sie nicht will, oder umgekehrt, jedenfalls ist die Diva stocksauer und brüllt ihn an. Er müsste sich jetzt eigentlich in die Hosen machen vor Angst - denn dies ist keine Geringere als Madonna am anderen Ende der Leitung. Es stellt sich aber heraus, dass dort, wo bei einem vernünftigen Menschen die Angst sitzen sollte, bei ihm nur noch Langeweile und Überdruss sind, und nicht nur Madonna betreffend. Es ist ein alles und alle umarmender Überdruss, die Stars, die Models, die Agenten, die Editors, das ganze hysterische Gelichter und Gewimmel, es ist ihm auf tödliche Weise gleichgültig geworden, und als er das kapiert: Legt er auf.

Ende 2006. "I hung up on her." Dass Madonna mit ihm das Video zu "Hung up" drehen wollte, ist in dieser Geschichte eine kleine, elegante Pointe.

Legende wie gesagt, denn genau so wird es nicht gewesen sein. Die ehemalige Nudistenkolonie zum Beispiel, ein Stück Dschungel auf der Hawaii-Insel Maui, hatte er schon Monate zuvor gekauft mit dem Gedanken, vom immer schneller dahinrasenden Zug seiner Karriere abzuspringen. Auch wurden die Stars launischer und die Magazinleute schmallippiger, seine Fotos waren ihnen zu krass geworden. Ein Schimmel, der an der nackten Brust von Angelina Jolie leckt: ging gerade noch. Aber Models, die vor zerborstenen Häusern und Sandsäcken posieren - Wochen, nachdem Hurrikan Katrina New Orleans verwüstet hatte? Unmöglich, fand die italienische Vogue. Es war also, wie man so sagt, ein Häuflein Mist zusammengekommen.

Gisele Bündchen, als geile Hausfrau mit High Heels im Blumenbeet

Wahr aber ist, dass David LaChapelle Ende 2006 von der Bildfläche verschwand. Mit ihm verpufften all die infernalischen Titel und Modestrecken von Rolling Stone, Interview, Vogue, Vanity Fair, die dann wieder von den Testinos, Meisels und Leibovitzen bespielt wurden, und seither sehen die Celebrities wieder so sauber aus, wie es sich für den Hochadel des 21. Jahrhunderts geziemt. Ende der Geschichte.

Hat er die Entscheidung je bereut? Er schaut einen an, als habe man sie nicht mehr alle. "Machen Sie Witze? Ich war ganz oben. On top. Ich habe mehr verdient als jemals zuvor, aber Geld war nie die Motivation. Ich habe also das Geld genommen und mir die Freiheit gekauft."

Zehn Jahre später sitzt LaChapelle, 53, in einer Backsteinhalle im Londoner Stadtteil Shoreditch auf einem Sofa. Abends soll hier die Party steigen zum Start der neuen Diesel-Kampagne, Naomi Campbell wird erwartet, Diesel-Chef Renzo Rosso, die Modemeute. Und nicht zuletzt er selbst. An den Wänden klebt eine Fotocollage attraktiver junger Jeans-Menschen, die einen regenbogenbunten Aufblaspanzer durch eine Mauer schubsen, in der ein herzförmiges Loch klafft. LaChapelle hat diese Fotos gemacht. "Make Love not Walls", heißt der Slogan. Die Diesel-Leute werden ihn beim Dreh im Oktober 2016 nicht ganz so politisch gemeint haben, wie er im März 2017 geworden ist. Jetzt führt er direkt ins Weiße Haus.

Frage an ihn also gleich mal: Wie würde er Trump inszenieren? Da explodiert er direkt. "Nie im Leben hätte ich gedacht, dass dieser Idiot Präsident sein würde! Ihn fotografieren, warum? Ich meine, er sieht lächerlich aus, allein die Hautfarbe ist doch total irre. Er sieht wie ein beschissener Clown aus! Was soll ich zu diesem Bild hinzufügen, es ist ja alles schon da. Der Mann ist eine übertriebene Parodie der Gier."

LaChapelle wiederum ist der Inbegriff von Vielfalt. Amerikanischer Sohn einer litauischen Mutter und eines frankokanadischen Vaters, seine Muse Amanda Lepore ist transsexuell, sein Boyfriend Mexikaner. In der frühen Clinton-Ära hat er, ebenfalls für Diesel, den Kuss zweier Matrosen der Navy inszeniert, und das hat einen Skandal gegeben, wie er lauter und schöner nicht hätte sein können. 1995 war das, wenig später hatte er Sarah Jessica Parker in Spitzenwäsche vor der Kamera ("Sex and the Subway").

Seine Zeit brach an.

Man weiß, dass er die Schimmel-leckt-Angelinabrust-Phase hinter sich gelassen hat, hätte diesbezüglich aber trotzdem ein paar Fragen. Was hat Courtney Love gesagt, als sie erst als Mutter Gottes verkleidet wurde und dann einen Model-Jesus in den Schoß gelegt bekam, der ihrem toten Ehemann Kurt Cobain aufs Barthärchen ähnlich sah? Wie hat er Lil' Kim dazu gekriegt, nichts als Louis-Vuitton-Logos am nackigen Leib zu tragen, wie ist Gisele Bündchen im Blumenbeet gelandet, als geile Hausfrau in High Heels? Es interessiert ihn nicht mehr. Es fällt ihm nicht mal ein, sich davon zu distanzieren. Er redet über die Fotos, die ihn reich und berühmt gemacht haben, wie über alte Freunde, die er immer noch mag, aber irgendwann aus den Augen verloren hat: "Ich habe alles gesagt, was ich zur Mode und zum Pop zu sagen hatte. Dann fing ein neues Kapitel an."

David LaChapelles Biografie ist jetzt die Geschichte eines Mannes, der überlebt hat. Nicht nur viele seiner Protagonisten, Michael Jackson, Whitney Houston, Amy Winehouse, Alexander McQueen, Anna Nicole Smith. Sondern auch eine ganze flackernde, kokszerfressene Ära.

Aufgewachsen in Connecticut, wo er in der Schule wegen seines Schwulseins gemobbt wurde. Mit 15 nach New York durchgebrannt, wo er im Studio 54 Tische abräumte und Mick Jagger und Grace Jones beim Feiern zusah. Als Fotograf entdeckt von Andy Warhol, der ihn für sein Interview-Magazin mit dem Satz verpflichtete: "Mach, was du willst, aber sorge dafür, dass alle gut aussehen." Und das tat er.

Während die Aids-Epidemie der Achtziger in der New Yorker Schwulenszene wütete (den Namen seines damals verstorbenen Partners trägt er bis heute auf die Knöchel der rechten Hand tätowiert, L-U-I-S), stellte LaChapelle von Schwarz-Weiß auf Farbe um und entwickelte diese hochartifizielle Ästhetik, die Ende der Neunziger den Zeitgeist auf den Punkt brachte: ein bisschen Apokalypse, ein bisschen Sakrokitsch, ein bisschen Porno in surrealistischen, grell ausgeleuchteten Kulissen. Das New York Magazine nannte ihn den "Fellini der Fotografie", andere erkannten in seinem Werk exakt die Warenförmigkeit, die sie für den Bankrott der Kunst hielten. Es war nie klar, ob er dem Körper- und Konsumfetischismus den Spiegel vorhielt oder ihn durch die Hintertür doch feierte. Es war streng genommen auch egal. Die Britneys, Courtneys und Kanyes standen Schlange für einen Platz in seinem Bildersturm.

Die Promis sind als Kunstgeschöpfe enttarnt, der Rausch ist vorbei

Blättert man heute in dem 2006 erschienen Bildband "Heaven to Hell", blickt man in den Schlund einer verloschenen Zeit. Die Promis sind als Kunstgeschöpfe längst enttarnt, die analoge Welt ist prüde geworden, dafür gibt es Sex, Fetisch und extreme Inszenierungen nonstop im Netz, wo jeder, der will, ein Star sein darf. Man könnte heute die nackte Naomi Campbell in ein Pferdegeschirr stecken, ihr eine brennende Kerze auf den Hintern stellen und sie auf Händen und Knien durch eine Blümchenwiese kriechen lassen, das würde keinen Menschen jucken. Der Rausch ist vorbei. LaChapelle-Land ist abgebrannt.

Ihm jetzt gegenüber sitzen heißt auch, nach Spuren dieser Zeit zu suchen. Aber da ist fast nichts. Ein winziges Näschen in einem vollen, hübschen, seltsam glatten Gesicht; Augenlider und Brauen sehen nach permanent Make-up aus, könnten aber auch echt sein. Nur seine Stimme hat Patina, es ist exakt die von Marlon Brando in "Der Pate", bloß eine Oktave höher. "Ich dachte, ich würde mit der Fotografie abschließen", krächzt er, "dann wurde es das produktivste Jahrzehnt meines Lebens."

LaChapelles Fotos hängen inzwischen in Galerien und Museen, sie waren 2016 in 18 Ausstellungen vertreten, alte wie auch jüngere Arbeiten. Die neuen Bilderzyklen werden noch in diesem Jahr als Doppelband bei Taschen erscheinen, manche sind längst schon wieder Teil des Foto-Kanons: das Kunstmuseum etwa, in dem meterhoch das Wasser steht ("After the Deluge"); die abgetrennten Köpfe der Heiligen, die er in einem zerstörten Wachsfigurenkabinett gefunden hat ("Last Supper"); die Menschen, die auf einem Floß durchs wilde Meer treiben ("The Raft"). Oder auch die Blumensträuße, in denen bei näherem Hinsehen Handys, Zigarettenkippen und zerdrückte Bierdosen stecken ("Earth laughs in Flowers"). Das alles ist unverkennbar LaChapelle und trotzdem fremd, die Celebrities sind aus seinen Bildern verschwunden und mit ihnen die ganze fiebrige Ekstase. Es sind, wenn man so will, Stillleben.

EIne Kampagne erreicht mehr Menschen als mit Kunst

Für Magazine arbeitet er nicht mehr, aber hier und da ein Pop-Video wie Hoziers "Take me to Church" mit dem Ballett-Star Sergei Polunin oder ein lässiges Jeans-Shooting in Gesellschaft schöner Menschen für seinen Freund Renzo Rosso: Das schiebt er schon noch rein, das braucht er wohl auch. "Die Kunstwelt ist so abgeschottet. Ich finde es absolut großartig, mit einer Kampagne auf einen Schlag Menschen in 72 Ländern zu erreichen, Menschen auf der Straße!" Und wie zum Beweis tuckert draußen auf der Shoreditch High Street ein Taxi vorbei, das mit Jeans-Models und einem Regenbogenpanzer beklebt ist.

LaChapelle lebt die Hälfte des Jahres im Dschungel von Maui, er meidet Social Media und ist weitgehend abgeschnitten von der Glamourwelt, deren oberster Zirkusdirektor er war. Seine Fotos entstehen, wenn er auf dem Sofa liegt, ganz ruhig und bei sich, und seine Helden aufmarschieren lässt. Michelangelo ist dann auf Augenhöhe mit Michael Jackson, Walt Whitman genauso weise wie Grace Jones, Marlene Dietrich und Marilyn Monroe. Man hat ihm Eklektizismus vorgeworfen und dass sich sein Werk nicht seriös verorten lasse. LaChapelle sieht es so: "Wenn ich mich nur für eine Sache interessieren würde, wäre mir schon vor 20 Jahren langweilig geworden." Und da hat er irgendwie ja recht.

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Quelle:
SZ vom 04.03.2017/hsel
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