Das neue Essen auf Rädern:Spitzenküche für zu Hause: Rehrücken à la Ruth

Das neue Essen auf Rädern: Rehrücken vom "The Taste"-Kochshow-Gewinner. Wer kann, der kann.

Rehrücken vom "The Taste"-Kochshow-Gewinner. Wer kann, der kann.

(Foto: Eating with the Chefs, Berlin)

Abends stundenlang am Herd zu stehen, ist passé. In der Hauptstadt liefern nun sogar Spitzenköche ihre Kreationen in die Wohnung. Ein Test.

Von Ruth Schneeberger, Berlin

"Wir sind in acht Minuten da. Bitte setz schon mal Wasser auf und heize den Ofen auf 145 Grad vor."

Normalerweise würde ich eher ablehnend reagieren, wenn mich jemand per SMS an den Herd komplimentiert. Ich esse zwar sehr gerne, aber kochen sollten lieber andere. Dafür bringe ich die Kohle nach Hause. Jeder sollte tun, was er am besten kann. Aus genau diesem Grund bin ich jetzt in fröhlicher Erwartung: Ein echtes Spitzenkochessen wird zu mir nach Hause geliefert. Und ich muss es nur noch aufwärmen.

Erst die Schuhe, dann das Essen

Essenslieferdienste wie Lieferando, Deliveroo, HelloFresh, Lieferheld und monatlich weitere neue boomen in Deutschland. Schaut man sich die Werbung an, scheint bald niemand mehr seine Abendstulle selbst zu schmieren. Geliefert wird neben der klassischen Pizza auch das Lieblingsessen vom Thai, der vegane Snack für Figurbewusste, die Familienration für die gesamte Woche oder einfach der Einkauf vom Supermarkt. Nach Büchern, Elektroartikeln und Mode ist es nun das Essen, das immer häufiger nach Hause geliefert wird.

In der Hauptstadt erreicht der Trend jetzt seinen bisherigen Höhepunkt: Mit dem Lieferdienst "Eating with the Chefs" kann der Kunde Spitzengastronomie in sein privates Kämmerlein ordern. Da lohnt sich ein Test. Lebt ein wirklich gutes Essen nicht auch von der besonderen Umgebung? Sind es nicht gut ausgebildete Kellner, silbernes Besteck, feine Tischtücher, Kerzen, wohltemperierte Musik und der berühmte Gruß aus der Küche, die das Essen in einem Sternerestaurant oder der gehobenen Gastronomie zum Erlebnis machen?

Vorspeise vom "The Taste"-Koch

Zumindest kann man sich zu Hause ohne Klimbim ganz auf das Besserverdiener-Essen konzentrieren und herausfinden, ob es seinen Namen überhaupt verdient; denke ich mir und prüfe die Homepage. Besonders groß ist die Auswahl nicht, aber das kennt man ja von teuren Restaurants. Schon besser gefallen mir die Preise: 6,90 Euro für eine Vorspeise mit Aal? Gäbe es wohl selbst in Berlin nicht in einem Spitzenrestaurant, wird also hoffnungsfroh geordert. Die Seite empfiehlt, auch die Hauptspeise und das Dessert vom selben Koch zu bestellen. Wahrscheinlich, weil es aufeinander abgestimmt ist. Der Koch heißt Kristof Mulack und ist Gewinner der Kochshow "The Taste".

Mit dem Rehrücken als Hauptspeise bin ich einverstanden, da ich Verschiedenes testen will, wähle ich als Dessert aber die Kreation eines anderen Kochs: ein verheißungsvolles Pralinenbiskuit mit persischer Gewürzfeige von Gunnar Richert. Die Idee, nach Köchen zu bestellen, gefällt mir. Das geht im Restaurant nicht. Durch den Lieferdienst kann ich mich durch Berlins beste Köche kosten, ohne auch nur vom Sofa aufzustehen.

Also fast. Die Bestellung macht leichte Probleme. Ich versuche vier Mal, mein Wunschmenü zu odern - leider ohne Erfolg. Die Seite hakt. Ich rufe an. Hier zeigt sich erneut, dass es sich nicht bloß um einen üblichen Bestellservice mit aufgehübschtem Angebot handelt: Der Mitarbeiter am Servicetelefon ist auffallend freundlich. Er löst das Problem, mein Spitzenessen wird auf den Weg gebracht. Ich wähle den Liefertermin "zwischen 20 und 21 Uhr".

Um kurz vor acht kommt obige SMS. Per App könnte ich verfolgen, wo genau der Bote gerade ist. Aber auch hier hakt die Technik ein bisschen. Dafür steht das Essen kurz darauf fast auf die Minute pünktlich vor der Tür. Als ich frage, was ich mit dem Essen tun soll außer essen, sagt der blonde junge Mann: "Steht alles drin. Das müssten Sie eigentlich schaffen." Sieht man mir meine Unkenntnis in Sachen Essenszubereitung etwa an?

Beim Drinstehen hakt es dann auch noch einmal: Bis ich erkannt habe, wo auf den Flyern zu den einzelnen vakuumverpackten Speisen die genaue Zubereitung aufgeführt ist, nämlich unlogischerweise kleingedruckt auf der Rückseite anstatt neben den Essensbildern, habe ich das Essen schon zubereitet. Auf meine Art.

Eating with the Chefs

Aal mit karamellisierten Fenchelsamen - wirklich köstlich.

(Foto: Eating with the Chefs, Berlin)

Unser tägliches Essen bring uns heute

Dem Geschmack tut das keinen Abbruch. Die Vorspeise ist vorzüglich. Geräucherten Aal mit marinierter Gurke an Joghurtschaum hätte ich mir als Appetizer zu Hause nie gemacht und im Restaurant aufgrund der üblichen Spitzenrestaurantpreise für Aal auch eher verkniffen. Jetzt lerne ich durch die Broschüre sogar, wie ich ihn am schönsten auf dem Teller platziere und bestreue ihn mit karamellisierten Fenchelsamen. Alle Zutaten (außer dem Aal) fallen üppig aus. Sollte ich demnächst privat Aal kaufen, habe ich noch Fenchelsamen vorrätig. Die Kombination aus süß und fischig ist perfekt abgestimmt und macht genau den Unterschied zwischen einem normalen und einem besonderem Gericht aus.

Eating with the Chefs

Pralinenbömbchen, gekitzelt von diversen Aromenraketen. Alle Achtung. Danach ist man ausgesprochen angenehm satt.

(Foto: Eating with the Chefs, Berlin)

Auch der Rehrücken mit Pastinake und Kräuterseitlingen ist genehm. Ich bin kein Pastinaken-Fan, aber als Cremesauce und als krosse Chips sind sie tatsächlich perfekt zu den sogar für mich unkaputtbaren Filethäppchen an zarten Pilzen und Rosenkohl. Das Dessert ist sehr reichhaltig: eine dicke Kugel nougatartigen Pralinenbiskuits an Gewürzfeige, die mit Mangosauce und Chilifäden aufgepeppt wird. Mitgeliefert wird ein Töpfchen frischer Kräuter, ein Mix aus Basilikum und Koriander. Das veredelt nicht nur das Dessert, sondern seitdem auch das eine oder andere Gericht - wenn ich denn mal koche.

Eine Weinempfehlung (Château de Montfaucon 2013 Côtes du Rhône für 11,90 Euro) gibt es obendrein. Ich teste - und muss auch dieses Detail für gut befinden. Nach dem Schmaus bin ich sehr angenehm gesättigt. Die für Spitzenköche üblichen Mini-Kreationen wurden zwar standesgemäß eingehalten, waren aber so gut aufeinander abgestimmt, dass es weder dem Gaumen noch dem Magen an irgendetwas fehlt. Ich bin versucht zu sagen: Es war das perfekte Essen. Zu einem Preis von gut 35 Euro inklusive übrig gebliebenem Wein kann man da nicht meckern.

Ein ganz besonderer Duft

Kleines Schmankerl obendrauf: Als ich vom Müllruntertragen zurückkomme, was im Restaurant, so viel zu den Nachteilen, natürlich nicht zu meinen Aufgaben gehören würde, duftet die ganze Wohnung noch nach sehr leckerem Essen. Und zwar nach solchem, das nicht mit handelsüblichem Bratfett oder aus billigen Produkten gekocht wurde, sondern nach solchem, das aus wenigen, aber edlen Zutaten behutsam zubereitet und gekonnt verfeinert wurde. "Unsere Köche brauchen drei Stunden und zehn Minuten für die Zubereitung. Deine Zeit: ca. zehn Minuten", verkünden die Macher stolz über ihre Gerichte.

Die Macher, das sind Clemens Riedl, ehemaliger Studi-VZ-Geschäftsführer, Eatüber-Gründerin Chanyu Xu und Jochen Wolf. Die drei starteten ihr Angebot im Herbst und liefern mittlerweile nach ganz Deutschland (wobei außerhalb Berlins mit leichtem Aufpreis per DHL Express am nächsten Tag geliefert wird, also keine Sofortbestellung möglich ist). Damit gesellen sie sich auf einen hart umkämpften Markt.

Selber kochen geht auch - Hauptsache, das Essen wird gebracht

Konkurrent "HelloFresh" bietet quasi das Gegenteil: Essen für jeden Tag. "Wir schauen uns an: Wie oft isst der Mensch im Monat? Das sind 90 bis 100 Mahlzeiten. Wie viele davon decken wir ab?", erklärt Mitbegründer Dominik Richter seine Ambitionen. Auf "HelloFresh" bestellen Kunden ebenfalls aus Berlin nach ganz Deutschland und sie wählen auch hier nach Rezept aus. Die Plattform bietet eine möglichst breite Auswahl an Gerichten, exakt portionierte Zutaten ausgewählter Qualität und liefert die Ware auch gerne für eine ganze Woche. Aufwärmen reicht bei diesem Angebot nicht, die Kunden müssen selbst kochen.

Seit vier Jahren laufe das Geschäft sehr gut, sagt Richter, mittlerweile auch außerhalb der Großstädte. Weltweit beschäftigt er mehr als 1000 Mitarbeiter an zehn Betriebsstätten. Die Kunden sollen Zeit und Aufwand sparen, aber auch Müll reduzieren - weil alles genau errechnet und portioniert ist. "Zehn Prozent von Supermarkteinkäufen schmeißt der Kunde normalerweise weg", so Richter. Weil Zusatztransportwege wegfielen, sei das gezielt gelieferte Essen auch "deutlich frischer". Mit dem Konzept hat "HelloFresh", das auch Rezepte von Jamie Oliver im Angebot hat, sich unter den Essen-Start-ups aus Berlin an die europäische Spitze manövriert.

Davon ist "Eating with the Chefs" noch weit entfernt und wird es vielleicht auch bleiben. Wer sich den Luxus eines Spitzenrestaurants oder sogar Sternekochs gönnen will, der wird es sich wohl nicht nehmen lassen, doch zwischen Kerzenschein und Silberbesteck Platz zu nehmen und sich bedienen zu lassen - gerade weil das so anders ist als zu Hause. Einen Vorteil aber hat das Spitzenessen auf Rädern - außer dem Geschmack: Will man zu besonderen Gelegenheiten (Hochzeit, Geburtstag, Date) Gästen Kochkünste vortäuschen, die man nicht hat, gibt es dazu nun den passenden Lieferanten.

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