Das Chanel-Jäckchen:Eine wie keine

Schon bemerkt? Die Chaneljacke ist jetzt überall - selbst wenn sie nur so aussieht und in Wirklichkeit von Zara, Sessun oder Basler stammt. Über den Zauber einer Stilikone.

Verena Stehle

Da locken die Modehefte mit Hawaiikleidchen und Sandalen mit Palmblattdekor und Bikinis mit Wolkenmuster, die sich im anstehenden Tulum-Urlaub so phantastisch machen würden. Die auch toll zum Südsee-Abenteuerroman von Christian Kracht passen, der einen gerade so amüsiert. Aber was soll man tun? Alles, wovon man träumt, und was man haben will, ist ein schwarzes, wolliges, total un-südseehaftes Jäckchen von Chanel.

Das Chanel-Jäckchen: Obligatorische Symbiose: Grimaldi-Spross Charlotte Casiraghi und die Chaneljacke.

Obligatorische Symbiose: Grimaldi-Spross Charlotte Casiraghi und die Chaneljacke.

(Foto: Karl Lagerfeld/Chanel)

Seit einiger Zeit schon hat man eigentlich keine Chance, nichts von dem französischen Luxusmodehaus zu wollen. Denn es ist Karl Lagerfeld in den letzten zehn, fünfzehn Jahren gelungen, das Label vom Reiche-Oma-Schick zum generationenübergreifenden Herzschmerzauslöser zu machen. Es gibt Chanel-Outfits, die nach Rockerbraut aussehen. Oder nach Endzeitfilm. Oder, wie dieses Frühjahr, nach Seeanemone mit Sixties-Touch. Es gibt alles und immer sieht es ungesehen und dabei trotzdem unmissverständlich nach Chanel aus. Und wer sich die teuren Kleider oder Taschen nicht leisten kann, darf sich heute trotzdem als Teil der Crowd fühlen: Mit den Nagellackfarben, um die, sehr clever, seit ein paar Jahren ein ähnlicher Hype (Limited-Edition!) gestiftet wird wie um die Kleider.

Die Fußnägel sind also längst mit Chanels neuem meerblauen Nagellack oder dem vielfach kopierten schlammfarbenen Ton bepinselt, in der Truhe im Flur liegt ein Vintage-Minimodell der vielfach kopierten Kettenhenkeltasche, und wer in diesen Tagen ein Modegeschäft betritt, wird staunen: Überall hängt die Chaneljacke, selbst wenn sie nur so aussieht und von Zara, Sessun oder Basler stammt.

Das Ur-Modell wurde 1954 von Gabrielle ,Coco' Chanel erfunden, um den Frauen die Freiheit zurückzugeben, die ihnen das Korsett genommen hatte. Die klassische Chaneljacke sieht aus wie ein hochgetunter Janker: gerade geschnitten, aus Tweed, mit Ripsbandborten, ohne Kragen, innen ein eingenähtes, vergoldetes Messingkettchen, für den richtigen Sitz. Dazu die etwas zu kurzen Ärmel, damit Schmuckfans wie Coco Chanel ihre Armreife zeigen können, und ein Futter aus Seide, das exakt zur Farbe des Tweeds passt und das doppelte C trägt. Das im Buchstabenrücken gespiegelte C - die griffe (französisch für "Markenzeichen") - ist der Prestige-Hinweis überhaupt.

Die Wiederentdeckung des Neuen

Wie in jedem Frühling muss Neues her, aber die Parkas, Barbours und Motorradlederjacken aus den vergangenen Jahren haben sich abgetragen. Umso neuer und frischer erscheint dagegen das Chaneljäckchen, das in den 60er Jahren Romy Schneider, Jane Fonda und Jeanne Moreau so liebten, und bald alle Frauen, die schön, reich, angehimmelt und häufig adelig waren. Von den achtziger Jahren an, mit dem Siegeszug von Puristen wie Jil Sander, sah man das opulente Stück seltener. Und dann auch nur an coiffierten alten Damen, die mit Creed-Parfums eingenebelt in Charlotte County lebten.

Die junge Redakteurin Dani Stahl vom New Yorker Magazin Nylon hat vielleicht in einem der vielen Chanel-Bücher ein Bild entdeckt, das Romy Schneider in einem Chanelkostüm im Atelier zeigt, 21 Rue Cambon, genau gegenüber des Hotel Ritz. Stahl dachte sich wohl den Rock weg, fand die Jacke alleine elegant genug und steckte prompt die US-Jungschauspielerin Elizabeth Olsen für das November-2011-Cover in ein fichtenwaldgrünes Chanel-Jäckchen. Etliche Stylisten müssen die Kombination (zu zerrissenen Jeansshorts!) spektakulär gefunden haben, seither leihen sie das olle Teil nämlich häufig für ihre jungen Kundinnen aus Film-, Musik- und It-Girl-Industrie aus. Die Chaneljacke wird sicher weiterhin in feineren Rentnerkreisen zum Kaffeekränzchen und Macarons-Knabbern getragen, aber eben auch von deren Enkelinnen. Hailee Steinfeld zum Beispiel, dieses hübsche Kind, das im Film "True Grit" Jeff Bridges an die Wand spielte.

In meteorologischer Hinsicht passt das Teil so gar nicht in diesen launenhaften April 2012. Hochtechnisierte Funktionsjacken wären sehr viel angebrachter, die in kalten Aprilnächten wärmen und vor Aprilschauern schützen, die stabil, aber leicht und dünn genug sind, um sie in die Hosentasche zu stopfen. Die Chaneljacke ist sperrig, schwer und klimatisch nicht ausgetüftelt. Dass sie dennoch wunderbar in diese Zeit passt, demonstriert ein neuer Bildband, der im Herbst im Steidl-Verlag erscheint und der gerade mit einer Ausstellung in Tokio vorgefeiert wurde. Mehr als 100 Promis tragen in dem Buch das "Little Black Jacket", das beinahe schon simple, schwarze Modell. Das Styling verantwortete die ehemalige Chefin der Pariser Vogue, Carine Roitfeld, fotografiert hat Karl Lagerfeld.

Die berühmteste Jacke der Welt

Modeexperten übertreiben enthemmt, wenn es um die Jacke geht: Sie sei die berühmteste Jacke der Welt, ein zeitloser Klassiker, eine Ikone, ach was, ein moderner Mythos! Sicher richtig ist: Karl Lagerfeld war immer so clever, das Original-Schnittmuster nie groß zu verändern und die Jacke trotzdem jede Saison neu zu erfinden - indem er die Stoffe variiert und mit Perlen, Knöpfen aus seltenem Galalith oder vergoldetem Metall verzieren lässt, in die das doppelte C, ein Kleeblatt oder eine Kamelie eingraviert sind. Wenn ein Mythos eine Aussage ist, eine Art der Bedeutung für die Gesellschaft, dann passt das uralte Jäckchen herrlich in diese Zeit. In der Luxus, Tradition und Substanz schick sind, weil man sie nicht kopieren kann.

Dass Luxus wieder in Mode ist, sagen auch neue Studien, wie jene, die die Unternehmensberatung Bain & Company mit Fondazione Altagamma, dem italienischen Verband der Luxusgüterhersteller, publiziert hat. Aus der "Luxury Goods Worldwide Market"-Studie geht hervor, dass der Umsatz des Luxusmarkts 2011 bei 191 Milliarden Euro lag, zehn Prozent über dem des Vorjahrs; bis 2014 soll das Luxussegment jährlich um sechs bis sieben Prozent wachsen. Vorbei also die Zeiten, als die Supersuperreichen beschämt die Etiketten aus ihren Designerkleidern trennten und Lagerfeld der Chaneljacke den Wirtschaftskrisen-Chic verpassen musste, um nicht weltfremd, oder obszön zu wirken. Vor einigen Saisons präsentierte er sie mit ausgefransten Ärmeln, im Frühjahr 2011 waren es ironische Mottenlöcher. Ganz in der Tradition von Coco Chanel, die in den Kriegsjahren den schlichten, sogenannten Chic Pauvre erfand, der bewirkte, dass Frauen nie overdressed aussahen.

Carine Roitfeld untertrieb einmal gehörig, als sie die Chaneljacke beschreiben sollte: Die Jacke sei fast wie eine Jeansjacke. Und genau so hat sie die Chaneljacke in ihrem neuen Buch inszeniert. Die Fotos suggerieren, man könne das Teil einfach so überwerfen, weil es zu jedem Typ und zu allen Anlässen passt. Hollywood-Youngster Elle Fanning trägt die Jacke zum Beispiel zum süßen Gänseblümchenkränzchen, Millionärstochter Alice Dellal kombiniert sie zum üblichen Straßenpunklook. Marlon Brandos Sohn Tuki zur exotischen Gesichtsbemalung. Dass dieses Jäckchen sehr, sehr weit entfernt ist von einer Jeansjacke, wird spätestens bei Charlotte Casiraghi klar. Die anmutige, hochwohlerzogene, immer schöner werdende Enkelin von Grace Kelly hat nicht nur die gleichen Initialen wie Coco Chanel und ein ähnlich erlauchtes Umfeld. Sie trug die Tweedjacke schon in einem Alter, als andere Kinder eben Jeansjacken mit Apfel-Aufnähern anhatten und Regenwürmer aßen.

Verfügbar und unerreichbar zugleich

Das ist es, was den Hype um die Chaneljacke nie ausklingen lässt: ihre Verfügbarkeit bei gleichzeitiger Unerreichbarkeit. Das Original hängt in jeder Chanel-Boutique, es sind aber nur die Araber-Clans, die einfach so hineinstolpern und sie als schnelles Souvenir kaufen. Für Mittelverdiener bedeutet die Chaneljacke ein Vermögen, etwa 3000 Euro muss man für sie hinlegen. Und wer sie je aus Gag anprobiert hat, der weiß: Er wird sie erst kaufen, wenn er sich einen Private Shopper leisten kann. Der die ganze Transaktion erledigt. Die Verkäuferinnen im Münchner Laden reagieren auf den Wunsch, die Jacke anzuprobieren, so fassungslos, als hätte man gerade freundlich erklärt, dass man zwei scharfe Handgranaten in der Tasche habe.

Im Internet werden Original-Schnittmuster des französischen Jäckchens gehandelt wie Bombenbaupläne. Mehr oder minder gute Fakes findet man allerorten, bei Etsy wie bei Ebay. Wie würde bloß Coco Chanel - die Frau, die die legendäre Modejournalistin Diana Vreeland einst als Monster bezeichnet hat - auf all diese Klone reagieren? Nun: Sie wäre gerührt. Durch Nachahmer fühlte sie sich bestätigt. Jackie Kennedys pinker Chanelfake von 1963 muss also ein Riesenkompliment gewesen sein. Die Materialien stammten zwar aus dem Hause Chanel, das Teil an sich ließ Patriotin Kennedy aber im Salon Chez Ninon in New York fertigen. Aber ein Original ist unkopierbar. "Mode ist Virtualität", schreibt Barbara Vinken im Buch "Mode nach der Mode", "die sich im Augenblick des Wahrwerdens als bezaubernd zeigt und im selben Augenblick auch schon vergeht."

Carine Roitfeld musste vierzig werden, ehe sie sich das Original leisten konnte. In der aktuellen Ausgabe des Schweizer Magazins Annabelle sagt sie, die Petite Veste Noire sei keine Jacke, die man haben muss, es reicht, davon zu träumen.

Vielleicht, weil man sonst einsehen müsste: Auch wenn sie sitzt wie angegossen, wird sie irgendwie immer eine Nummer zu groß sein.

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