Dänisches Design:Der Kult-Kübel

VIPP

Im gleichen Stil – die Modulküche von Vipp, daneben ein Modell des Abfallbehälters, mit dem 1939 alles angefangen hat.

(Foto: Vipp)

Seit achtzig Jahren stellt die Firma Vipp ihren Tretmülleimer her. Zum Geburtstag präsentiert sie jetzt auch noch das passende Interieur dazu.

Von Max Scharnigg

Es gibt viele nette Gründungslegenden für alte Handwerksbetriebe, aber die des dänischen Metallwarenherstellers Vipp ist wohl eine der schönsten: Im Jahr 1932 gewann ein gewisser Holger Nielsen in der Lotterie ein Automobil. Er verkaufte es umgehend, schaffte sich von dem Geld eine Metallpresse an und begann damit eine kleine Werkstatt zu betreiben. Richtig in Schwung kam die aber erst ein paar Jahre später und zwar dank der Hilfe seiner Frau - denn die benötigte 1939 für ihren Friseursalon einen zuverlässigen Abfallkübel. Herr Nielsen machte diesen Wunsch, wie man heute sagen würde, zu seinem Projekt und heraus kam ein Tretmülleimer, der achtzig Jahre lang nicht nur der stabilste seiner Klasse, sondern Tret- und Angelpunkt seiner Firma Vipp bleiben sollte.

Expertise in Sachen Mülleimer qualifiziert einen eigentlich noch nicht zum Sofahersteller

Größen und Farben veränderten sich, aber in den Grundzügen blieb der "Vipp Bin" seinem ersten Entwurf treu - ein trutziges Zwischenlager aus Stahl, mit luftdicht und sanft schließendem Deckel und jahrelang klaglos arbeitendem Tretpedal. Nielsens Tochter Jette Eglund stellte das Ding genauso her wie heute noch ihre Kinder Kasper und Sofie. Der nicht preiswerte Funktionskübel wurde im Laufe der Zeit zum Statussymbol der privaten Abfallentsorgung. Zahnputz- und Klobürstenbecher gesellten sich dazu, auch mal Seifenspender, aber etwas anderes als formale Hohlkörper schien das Familienunternehmen nicht zu interessieren.

Bis vor wenigen Jahren auf einer Möbelmesse eine ganze Vipp-Küche enthüllt wurde und dem staunenden Fachpublikum klarmachte, dass die Dänen neue Pläne für ihre Zukunft gefasst hatten. Genauer gesagt: Dass sie zum achtzigsten Geburtstag ihrer Firma gewillt waren, endlich auch die Räume rund um den ikonischen Mülleimer in Angriff zu nehmen. "Die Menschen waren überrascht, weil sie wussten, dass die Entwicklung einer kompletten Küche ein großes Risiko für uns war. Normalerweise macht man es ja andersherum - man entwirft erst eine Küche und liefert irgendwann den passenden Mülleimer dazu." sagt Kasper Eglund, der Enkel des Firmengründers.

Die architektonisch anmutende Modulküche, die mit ihrer mattschwarzen Stahloberfläche ein zeitlos-industrielles Sexappeal verströmt, war dabei nur der Auftakt. Es folgte das im Netz bejubelte Projekt Vipp Shelter, bei dem eine modernistische "Cabin", also eine autarke Hütte in die dänischen Wälder gestellt wurde - als Einsiedelei deluxe und coole Vision aller verhinderten Aussteiger. Und jetzt im Jubiläumsjahr platzt der Neuigkeitenordner regelrecht: Eine Leuchtenkollektion und ein Sofa, Vasen, Wolldecken, Sessel und auch ein jüngst eröffnetes, experimentelles Kleinsthotel gehören zum neuen Selbstverständnis der Firma.

Die Entwürfe stehen mit kühler Modernität deutlich jenseits des üblichen Skandinavien-Looks

"Die Idee hinter dem Hotel und auch dem Shelter-Projekt war, dass wir den Menschen unsere neuen Produkte vorstellen mussten und sie zum Ausprobieren einladen wollten. Das sind Investitionen für unsere Käufer und bei einem Auto macht man doch auch eine Probefahrt. Warum nicht bei einer Küche?", sagt Eglund und wenn man mit ihm spricht hat man schon den Eindruck, er wüsste, dass diese Offensive nach achtzig Jahren Mülleimer alles andere als gewöhnlich ist. Nicht nur weil der Markt eigentlich schon genug exklusive skandinavische Wohnlabels listet, sondern weil eine Expertise in Sachen Kübel ja nicht zum Sofahersteller qualifiziert. "Das stimmt, aber wir haben uns Zeit genommen, viel ausprobiert und verworfen und schließlich mit Experten zusammengearbeitet."

Bei genauerer Betrachtung hat das wachsenden Portfolio tatsächlich einen roten Faden - dem Metall als Ur-Werkstoff etwa, ist man in Kopenhagen treu geblieben, Sofa, Leuchten und Sessel haben eine Struktur aus pulvergestrahltem Stahl oder Aluminium. Und die Entwürfe positionieren sich in ihrer kühlen Modernität deutlich jenseits des üblichen Scandi-Looks mit Holz und sonstigem Naturgepränge. Funktionalität und Langlebigkeit bestimmten das Design des Mülleimers und wenn es nach den Vorstellungen des Chefs geht, sollen die Möbel es ihm nun genauso trendbefreit nachmachen und der Kultfaktor überspringen. Und wenn es nicht klappt? Dann dürfte wieder ein Lottogewinn nötig sein.

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