Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Comeback der Konserve

Lesezeit: 3 min

Vorsicht, Serbischer Erbseneintopf wird knapp: In Zeiten von Corona erinnern sich die Deutschen wieder an die Vorratshaltung. Warum das Hamstern von Konserven verständlich ist - und liebenswert.

Von Max Scharnigg

Bei allem Unglück, manches an der Corona-Krise trägt auch heitere Züge. Die leeren Regalfächer beim Schwabinger Rewe etwa, dort wo laut Schildchen Sauerkirschen und Rote Bete im Glas hätten stehen sollen. Es ist doch rührend, dass in Münchens Eigentumswohnungen und Stilaltbauten fortan offenbar Sachen gehortet werden, mit denen die essende Mehrheit bisher eher wenig anfangen konnte, und die ohne Virus wohl irgendwann auf der Roten Liste der Supermärkte gestanden hätten. Oder welcher Urbanist hätte noch bei einem Volksbegehren "Rettet die Birnen in der Büchse" unterschrieben? Wer hätte sich die Blöße gegeben, öffentlich für "Lübecker Hochzeitssuppe" aus der Dose einzutreten? Heute fühlt man sich als aufgeklärter Konsument ja schon deutlich prekär, wenn man den Kindern als Notlösung mal eine Doseneinheit Erbsen & Möhrchen extrafein ins Püree mischt.

Dank Corona aber erleben Büchse, Konserve und sonstige Dauergebinde jetzt ihr strahlendes Comeback als Retter bei einer drohenden Privatquarantäne. Und beinahe ist man überrascht, dass dieses krasse Überlebens-Equipment, diese harte Katastrophenkost, tatsächlich seit Jahr und Tag im nächsten Supermarkt steht. Aber gut, haltbar sind die Sachen nun mal, gut möglich, dass sie da schon sehr lange auf diese Pandemie gewartet haben, oder?

Fertigessen aus der Büchse wirkt jedenfalls wie ein Relikt, ein Witz in der Tonlage von Heinz-Erhardt-Filmen. Nicht mal Angler in Karikaturen fischen heute ja noch leere Dosen aus dem Wasser. Und welcher Millennial kann denn bitte noch eine Konserve mit dem genialen Öffner eines Schweizer Taschenmessers oder dem bewährten DDR-Dosenöffner "Ökonom" sauber und gewaltfrei aufkneifen? Gibt's dafür mittlerweile nicht vielleicht eine App? Nö. Und auch sonst nichts Modernes, denn selbst die Designer, die in den vergangenen fünfzehn Jahren akribisch die gesamte Küchenausstattung bis hin zum Bieraufschäumer (Fa. Menu) ästhetisiert haben, haben den Dosenöffner irgendwie vergessen. Hatte einfach keine Lobby mehr, das Ding. Denn dass in Privatküchen wirklich noch nennenswert aus der Dose konsumiert werden würde, das war nicht abzusehen.

Was aus der Dose kommt, ist kein Essen, höchstens Nahrung

Nein, Lohas, Millennials und benachbarte Generationen begegneten der klassischen Konservendose bis vor zwei Wochen stattdessen wohl eher in Form einer DIY-Deckenlampe oder umfunktionierter Besteckbehälter auf den Tischen der geschmackvoll eingerichteten Hipster-Gastronomie am Eck. Dort gefällt sie in ihrer minimalistischen Gestaltung mit den typischen Stabilisierungssicken und weckt bei der mittelalten Kundschaft zuverlässig Retro-Erinnerungen: An das Dosenwerfen auf dem Jahrmarkt, an die klappernden Büchsen an Autos von Frischvermählten, denen man als Kind fasziniert nachsah (ist auch selten geworden).

Vielleicht auch an die kuriose Gulaschsuppe über dem Esbit-Kocher, im ersten und letzten Campingurlaub mit den Eltern am Ossiacher See oder an die eigene Studentenzeit, als Ravioli aus der Dose noch als Kateressen dienlich waren. Aber spätestens damals hat dann auch der lässigste Lebenskünstler irgendwann kapiert: Wenn was aus der Dose aufgewärmt wird, ist das nicht Essen, sondern höchstens noch Nahrung und eben eine akute Maßnahme gegen das Verhungern.

Davon abgesehen aber läuft es allen Ernährungstrends der letzten Jahrzehnte zuwider. Das klassische Dosengericht gilt nun mal als Gegenteil von frisch, hausgemacht, nährstoffreich, leicht, bio, saisonal und regional. Es kann zudem Spuren von allem enthalten und ist deshalb insgesamt keinesfalls vorzeigbar - sofern es sich nicht zufällig um Jahrgangssardinen handelt oder Afeltra-Kirschtomaten von Eataly. Anders gesagt: Egal wie oft "Verbesserte Rezeptur" darauf steht, der Pichelsteiner Topf von Erasco ist einfach nicht instagramtauglich.

Wenn es hart auf hart kommt, muss billige Industriesuppe her

Aber vielleicht ändert sich das jetzt gerade. Vielleicht verbreitet sich die alte Kulturtechnik des allabendlichen Dosenöffnens bald genauso schnell wie das Virus. Denn ein Blick in die riesigen Lagerregale von Amazon offenbart: Serbischer Erbseneintopf hat jetzt schon zwei Monate Lieferzeit! Und bei Artverwandten aus dem Bereich der sogenannten "Nass-Fertiggerichte" sieht es nicht viel besser aus. Das Zeug ist gefragt wie nie. Im Angesicht der mörderischen Grippe schaltet das Genussvolk zwischen Passau und Flensburg also offenbar einen Gang runter und stellt die Grundlagen der Vorratshaltung auf die bewährten Säulen aus Weißblech. Botschaft: Acai-Bowl, Ingwershot und veganes Hendl kann man sich vielleicht in Friedenszeiten leisten, aber wenn es hart auf hart kommt, muss billige Industriesuppe her, mit schön Rindfleischextrakt. Der Heilbronner Hersteller Knorr wird sich jedenfalls ärgern, dass er ausgerechnet 2018 nach 130 Jahren die Produktion seiner legendären Erbswurst eingestellt hat. Dieser grüne Überlebensknüppel fehlt jetzt spürbar!

Das Hamstern von Konserven ist dabei absolut verständlich und auch liebenswert. Denn egal, wie gesund und umsichtig man sonst sein Essen kuratiert, irgendwie ist es auch ein pervers beruhigendes Gefühl, jetzt ein paar solcher 800-Gramm-Eimer "Erbseneintopf Hubertus" heimzuschleppen und sie feinsäuberlich im Kellerregal zu stapeln. Sie haben diese satte Schwere und kompakte Griffigkeit, die ihrem Besitzer zusammen mit einem Haltbarkeitsdatum bis 2024 das Gefühl geben, ganz gut gewappnet zu sein, wogegen auch immer.

Der neue Dosenhype ist deshalb wohl weniger als konkrete Sättigungsbeilage, sondern eher als Placebomedikament gegen die aktuelle Misslichkeit der ganzen Welt zu verstehen. Schließlich möchte man eben irgendwas tun, um sich hinterher nicht vorwerfen zu müssen, dass man nichts getan hat. Und dafür ist so ein bisschen Konserven-Aktionismus schon in Ordnung. Wer mit einer Palette Lübecker Hochzeitssuppe und einem halben Dutzend Gläser Roter Bete zu Hause sitzt und kontrolliert durch die Nase atmet, kann zumindest nicht viel Schaden anrichten.

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Quelle:
SZ vom 07.03.2020
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