Konsum in Corona-Zeiten:Aus der Mode

junge Frau im kurzen Rock und Netzstr¸mpfen trâÄ°gt Papiert¸ten von Tezenis und H&M in der Innenstadt von Frankfurt, Hesse

Shoppingszene in der Frankfurter Innenstadt

(Foto: Ralph Peters/imago images)

Die Bekleidungsindustrie produziert CO₂-Emissionen, Müllberge - und globale Ungleichheit. Das Bewusstsein dafür wächst, auf Instagram und an der Kasse. Es könnte die Mode völlig verändern.

Kommentar von Lena Jakat

Um im Job gut angezogen zu sein, reicht es im Sommer 2020, wenn in der Videokonferenz die Falten auf der Bluse nicht zu erkennen sind. Nächte in angesagten Bars werden ersetzt durch zögerliche Biergartenbesuche, Städtereisen entfallen. Wer kauft da schon Krawatten, Pumps, Handtaschen? Die Modeindustrie ist von der Pandemie schwer getroffen. Sehr schwer. Schätzungen gehen davon aus, dass dieses Jahr bis zu ein Drittel der weltweiten Umsätze wegbrechen könnten - 545 Milliarden Euro. Hugo Boss meldete jetzt einen Umsatzrückgang von 60 Prozent, das Traditionshaus Strenesse musste den Betrieb endgültig einstellen, Bogner Jobs abbauen.

Lief das Bekleidungsgeschäft vor Corona noch zu 80 Prozent über den stationären Handel, verlagert es sich in Zeiten geschlossener Filialen zunehmend ins Netz - dorthin, wo ohnehin die Mode längst verhandelt wird. Viele Menschen kleiden sich, um Zugehörigkeit zu demonstrieren oder um sich zu unterscheiden. Kleidung macht Individualität sichtbar, sehen und gesehen werden ist die Mechanik der Mode. Und die funktioniert schon lange digital. Gesehenwerden heißt gerade für jüngere Menschen: Posten bei Instagram, bei Youtube und Snapchat. Influencer heißen nicht nur so, sondern prägen das Konsumverhalten ganzer Generationen. Die neuen Topmodels sind für die Branche wertvolle Marketinginstrumente, die als erste unter vielen Marken allerdings sich selbst bewerben. Ihre Bilderwelten folgten schon vor Corona nicht dem Saisonkalender der Traditionshäuser und den übertourten Zyklen der Fast Fashion.

Wie überholt dieses System der immer häufigeren Kollektionswechsel und der immer neuen, immer schnelleren Massenproduktion ist, offenbarte sich endgültig in der Corona-Krise. Die Sorge vor Lieferengpässen wurde abgelöst von der Angst vor überquellenden Lagern. Die Konsumenten konsumieren weniger - weil das Geld knapp wird, aber auch, weil sie sensibler werden. Das Bewusstsein für Nachhaltigkeit wächst. Die Modeindustrie verursacht 20 Prozent des weltweiten Abwassers und zehn Prozent der CO₂-Emissionen, produziert Müllberge aus T-Shirts in Wegwerfqualität und ist mit ihren Produktionsstätten in den Billiglohnländern ein Haupttreiber der globalen Ungleichheit. Ein System, das auch die Kunden, die es stützen, zunehmend infrage stellen.

Das neue Konsumbewusstsein wird auch gern digital ausgestellt und so zu einem weiteren Mittel der Distinktion. Eines, das man sich in Form des fair produzierten Kleids aus veganer Seide auch leisten können muss. In einer Zeit, da es eben nicht mehr reicht, das neueste Teil zu tragen, muss die Geschichte stimmen, der Instagram-Auftritt authentisch wirken.

Es ist falsch, dieses neue Verantwortungsbewusstsein als reine Selbstdarstellung abzutun. Aber damit sich wirklich etwas ändert, müssen die Konsumenten Ernst machen und ihre Macht unter Beweis stellen, indem sie tatsächlich weniger und ausgewählter konsumieren. "Gut angezogen" muss neben der ästhetischen eine qualitative und, ja, auch eine moralische Dimension enthalten, die Kunden einfordern und Konzerne liefern müssen.

Überhaupt, der Begriff der "Mode": Stetig füttert er die Sehnsucht nach Neuem, definiert immer wieder neu, wer dazugehört und wer abgehängt wird und produziert dabei tonnenweise Textilien. Vielleicht ist es an der Zeit, sich von der "Mode" zu verabschieden.

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