Corona-Krise:Die Show ist vorbei

Bis vor Kurzem machte die Modeindustrie gigantische Umsätze. Nun stehen kleinere Labels, Dienstleister und Produzenten in Billiglohnländern vor dem Ruin. Ein Schadensbericht.

Von Tanja Rest

Corona-Krise: Fashion Weeks: abgesagt. Moderedaktionen: in Kurzarbeit. Designstudenten: entwerfen Atemmasken. Die ganze Branche steht still.

Fashion Weeks: abgesagt. Moderedaktionen: in Kurzarbeit. Designstudenten: entwerfen Atemmasken. Die ganze Branche steht still.

(Foto: M.Kilarski/mauritius images)

Seit sechs Wochen hängen die Frühjahrskollektionen in den Läden, und sie sind wunderschön. Bei Versace lodert diesmal alles in Dschungelgrün, bei Dolce & Gabbana sprießen Ananas, Bananen und Papayas, Dior hat gleich einen ganzen Blumengarten über seine Kleider ausgeschüttet. Für Regentage gibt es hinreißend hübsche Chloé-Anoraks und Trenchcoats von Burberry mit Grafikmuster, für Cocktailpartys an lauen Abenden auf der Terrasse verwaschene Dior-Homme-Hemden und weiße Damastkleider von Valentino.

Zwei Wochen hatten alle diese Kleider Zeit, einen Käufer zu finden, im besten Fall einen, der sie liebt. Nun hängen sie wie auf ihrer eigenen Beerdigung in lichtlosen Räumen hinter verschlossener Tür herum. Man könnte sie online shoppen, zumal die Preise bei Net-a-porter und Mytheresa bereits gesenkt werden. Aber wer will das jetzt? Was soll man mit einer Garderobe, die man nicht ausführen kann?

Die Corona-Krise trifft die Mode hart, härter als andere Branchen. Sie trifft sie nicht nur als Arbeitgeber (etwa 300 Millionen Beschäftigte und 1,4 Billionen Euro Umsatz weltweit), sie trifft sie auch in ihren Lieferketten, ihrer Schlagzahl, ihrer Begehrlichkeit, im Kern ihres Selbstverständnisses. Mode war immer eine Wette auf die Zukunft, die ein halbes Jahr im Voraus bei den Buchmachern abgegeben wurde: Wer werden wir sein, wie werden wir leben, woran werden wir glauben in der nächsten Saison? Und wer die Antwort in einen Stoff, ein Muster, einen ganz bestimmten Schnitt zu kleiden wusste, der hatte gewonnen.

Welcher Designer aber würde im April 2020 noch auf die Zukunft wetten wollen? Sie liegt mehr denn je im Dunkeln. Nein - sie liegt im Stockdusteren.

Die Wetten schließen jetzt die Zahlenmenschen ab: CEOs, CFOs, Marktforscher, Unternehmensberater. Die neuen Kassandras unserer Zeit. Jede Woche noch beklemmendere Weissagungen, die jüngsten stammen von der Boston Consulting Group: 25 Topmanager der Mode erwarten für dieses Jahr einen Umsatzeinbruch von bis zu 25 Prozent, was 340 Milliarden Euro entspräche. Im Luxussektor ist die Stimmung noch pessimistischer: 40 Prozent Gewinnrückgang (30 Milliarden Euro). Die Befragten rechnen damit, dass sich die Zahl der nicht verkauften Luxusartikel am Saisonende auf 105 Millionen addieren wird.

Einhundertfünf Millionen liegen gebliebener Jacken, Röcke, Taschen, Schuhe! Man fragt sich, was in ein paar Monaten mit ihnen geschehen wird. Recycelt, an Bedürftige verteilt? Geschreddert, verbrannt, verscharrt? Viel wichtiger aber: Was geschieht mit den Menschen, deren Lebensunterhalt mit der Herstellung, Inszenierung und dem Verkauf dieser Produkte unauflöslich verknüpft ist?

Ganze Länder in Südasien hängen von der Mode ab. Nun steht alles still

Die Mode, das sind ja nicht nur die gefeierten Kreativchefs und ihre Models, die treuen Petites Mains im weißen Kittel in den Pariser Nähstuben und die hoch bezahlten Rechenkünstler im Maßanzug ein paar Etagen darüber. Die Mode, das sind eben auch: die Stoffmacher in Indien, die Färber in China, die Fabrikarbeiterinnen in Bangladesch. Das sind die noch kaum bekannten Jungdesigner und hoffnungsvollen Modeschüler in München, London, Mailand, New York. Die Modewochen-Impresarios, Runway-Zauberer und Soundtrack-Bastler bis hin zu den Kalligrafen, die die Hoteladressen auf die Einladungen pinseln, und die Motorradtaxi-Fahrer, die sie ausliefern. Es sind die Fotografen, Stylisten, Haar- und Make-up-Künstler, die diese Kleider inszenieren, und die Redakteure, die jeden Monat eskapistisch schöne Hefte daraus basteln. Es sind die Einkäufer der großen und kleinen Geschäfte, die im Showroom ihre Orders abgeben, und die Frauen und Männer, die später im Laden die Kundschaft bedienen.

Das ganze Clockwork Mode, diese über Jahrzehnte eingeübte weltumspannende Choreografie von Menschenrädchen, die Saison für Saison gut geölt ineinandergreifen, um uns unsere neuen Kleider zu bescheren, es steht jetzt still. Vollbremsung. Rien ne va plus. Insofern geht es der Branche gerade genauso wie der Gastronomie, dem Messebau, den Fluglinien oder den Künstlern, Dienstleistern und Ladenbesitzern, die das Publikum zum Überleben brauchen.

Die Fashion Weeks im Sommer, allen voran die Männerschauen in Mailand und Paris sowie die Haute Couture: abgesagt. Die Fotoproduktionen: gecancelt, die Moderedakteure vielfach in Kurzarbeit geschickt. Die Modeschüler? Entwerfen jetzt Atemmasken; von den Jungdesignern wird nach Schätzungen des British Fashion Council jeder dritte die kommenden Monate wirtschaftlich nicht überleben. Eine ganze nächste Generation von jungen Kreativen geht hier mutmaßlich verloren.

Noch viel schlimmer trifft es die Armen im südlichen Asien, allen voran in Bangladesch: Zwei Millionen Menschen sind dort in der Textilindustrie beschäftigt, 84 Prozent der landesweiten Exporte machen Kleider und Stoffe aus. Seit Anbruch der Corona-Krise sind drei Viertel der Bestellungen im Wert von 2,8 Milliarden Dollar verschoben oder storniert worden; für die Arbeiter in den Fabriken bedeutet das den Verlust ihres Lebensunterhalts, für viele Fabrikbetreiber den sicheren Ruin. "Unsere Situation ist apokalyptisch", sagte Rubana Huq, Präsidentin des heimischen Textilverbands, der New York Times.

Das ist das Gemeine an dieser Krise. Auch die großen Luxuskonzerne werden natürlich umdenken und sparen müssen, LVMH rechnet im ersten Quartal des Jahres mit 20 Prozent Verlust, der Rivale Kering mit 14 Prozent. Aber sie haben in den fetten Jahren Geldpolster aufgehäuft, auf denen sie nun erst mal weich zu liegen kommen. Für die Menschen, die in Asien für einen schmalen Lohn Luxusoutfits zusammennähen, gilt das nicht. Es gilt auch nicht für die kleinen, unabhängigen Designer.

Olaf Kranz

Für Olaf Kranz vom Berliner Label Brachmann fühlt sich die Krise an wie ein Nothalt im Hochgeschwindigkeitszug.

(Foto: Lena Giovanazzi)

Ein Anruf bei Jennifer Brachmann und ihrem Mann Olaf Kranz in Berlin. Vor sechs Jahren haben sie das Label Brachmann gegründet. Sie machen schöne, puristische Mode für Frauen und Männer, haben auf der Berliner Fashion Week gezeigt und waren 2016 für den Woolmark Prize nominiert. Um zu begreifen, wie diese Pandemie einen deutschen Mikrokosmos infiziert, muss man ihnen nur zuhören.

Als Unternehmer sind Brachmann und Kranz Jongleure, drei Kollektionen halten sie stets gleichzeitig in der Luft. Da ist die aktuelle fürs Frühjahr, die seit März in den Läden hängt. Da ist die nächste für Herbst/Winter, die sie im Februar präsentiert haben; sie ist von den Einkäufern bestellt worden und müsste jetzt produziert werden. Und da ist die zukünftige, fürs Frühjahr 2021, die sie in Kürze entwerfen sollten. Ihr Kapital ist in diesem dreigleisigen Prozess des Entwerfens, Produzierens und Verkaufens gebunden, größere Rücklagen haben sie keine. Im Mai käme eigentlich das Geld von den Einzelhändlern, die gerade ihre Frühjahrsware im Sortiment haben - wenn alles normal liefe. Aber was läuft zurzeit schon normal?

Die Läden, in denen ihre Kleider hängen, sind seit vier Wochen geschlossen. Ob sie im Mai bezahlt werden, wissen sie nicht. Gleichzeitig brauchen sie das Geld dringend, weil ja die bereits georderte Herbstkollektion produziert werden muss - wenn die Bestellungen nicht noch kurzfristig gecancelt werden oder ihre Stofflieferanten in Italien, Großbritannien und Portugal oder die Näher in Berlin, Brandenburg, Polen demnächst nicht ohnehin bankrott sind. In dieser Situation über den Look des nächsten Frühjahrs nachzudenken? "Schwierig."

Olaf Kranz sagt, die Corona-Krise fühle sich für ihn an wie der Nothalt eines hoch beschleunigten ICEs auf offener Strecke: Alle hängen kreidebleich in den Sitzen, keiner weiß, wann die Fahrt weitergeht. Oder ob hier erst mal Schluss ist.

Vor vier Wochen haben sie einen offenen Brief an die Stadt Berlin und den Bund geschrieben, Absender: der "Verein der Berliner Modedesigner*innen", den Kranz vor zwei Jahren mitgegründet hat. 50 lokale Labels sind hier organisiert. Sie baten darum, sie in dieser Situation nicht zu vergessen. Sie erinnerten daran, was auf dem Spiel steht: nicht nur ihre eigene Existenz, sondern auch die Vielfalt und Buntheit der Berliner Innenstadt, ein Teil der städtischen Kultur. Jennifer Brachmann sagt, eine erste Finanzspritze sei unbürokratisch eingetroffen, da könnten sie nicht klagen. "Aber perspektivisch sieht es für viele Berliner Labels sehr unsicher aus. Der Lackmustest findet im Spätsommer statt."

Das also ist alles in allem die Situation. Wie aber geht es weiter? Kurzfristig hat sich die Mode bemüht, eine Botschaft der Zuversicht, der Solidarität und des Anpackens an die Welt zu senden. In den Fabriken von Burberry in Yorkshire werden jetzt Atemschutzmasken produziert, auch Chanel, Saint Laurent und Balenciaga haben ihre Nähstuben umgewidmet und fertigen neben Masken nun Schutzoveralls an. In den Kosmetikwerkstätten von LVMH, wo sie sonst sündteure Cremes und Düfte zusammenmischen, wird Desinfektionsseife hergestellt. Gucci, Valentino, Armani, Ralph Lauren und viele andere haben Millionensummen gespendet. Und in ihrem New Yorker Home-Office kümmert sich Vogue-Chefin Anna Wintour um den Nachwuchs: "A Common Thread" heißt die Initiative, die sie mit Tom Ford und dem Council of Fashion Designers of America ins Leben gerufen hat, sie sammeln Geld für gefährdete Designer und Manufakturen.

Zu viel Konsum, zu viel Raserei: Diese Branche muss sich ändern

"In der Mode können Wunder passieren", schrieb Jefferson Hack, Chef von Dazed Media, in einem Brief an die Branche. Und dass er dieses Ausmaß an Solidarität nicht für möglich gehalten hatte. Er gab aber auch zu bedenken: "Ohne Mode sind wir im Sinne des Wortes nackt, eine Nation ohne Identität - was also bleibt, wenn die Krise vorbei ist?" Die Antwort lautet: weniger, und viele sehen darin auch eine Chance.

Es waren ja nicht nur die Klimaaktivisten, Konsumkritiker und Nachhaltigkeitsprediger, die den aus dem Ruder gelaufenen Produktionswahn der Mode beklagt haben. Es war nicht zuletzt die Mode selbst. Wer braucht das ganze Zeug, Tausende von Labels, Milliarden von Kleidern, alle paar Wochen eine neue Kollektion, noch mehr Jacken, Schuhe, Taschen, Sonnenbrillen - ist es nicht von allem längst zu viel? Designer, Fashion Directors und Modejournalisten sagten das nicht mal mehr hinter vorgehaltener Hand. Sie sagten es ganz offen. Wie aber hätte man das immer schneller rasende Rad des Konsums zurückdrehen sollen? Jetzt, durch Corona, ist der Zeitpunkt gekommen.

Li Edelkoort, die große alte Dame der Trendprognose, sprach in einem Interview gerade von einer "Quarantäne des Konsums". Nun endlich dürfe man anhalten, über Bord werfen, was unnötig sei, und umarmen, was man wirklich brauche. Es sei eine Chance für die Industrie, für die Menschen, letztlich für den Planeten Erde. "Wir können jetzt eine leere Seite aufschlagen und neu beginnen", sagte Li Edelkoort.

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(Foto: Vogue Italia)

Wie das aussehen könnte? Die italienische Vogue zeigt es auf ihrem Mai-Cover. Allein Schriftzug und Monat sind dort abgedruckt. Ansonsten ist der Titel weiß.

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