Süddeutsche Zeitung

Wohnen in Corona-Zeiten:Vom Gerümpel-Abstellplatz zum grünen Refugium

Lesezeit: 3 min

Im Corona-Sommer hatten viele Menschen Zeit, ihren Balkon neu zu gestalten. Drei Frauen zeigen, wie es bei ihnen vor der Pandemie ausgesehen hat - und was aus ihrer Veranda geworden ist.

Von Malin Hunziker

In Deutschland haben 58 Millionen Menschen einen Balkon oder eine Terrasse. Balkone sind gleichermaßen Heimat für Raucher wie für Geraniengießer, manche benutzen den Anbau nur als Abstellplatz für Gerümpel oder den Wäscheständer, andere stilisieren ihn zum zweiten Wohnzimmer, in dem gelesen, gefrühstückt, gearbeitet oder, ja, auch geschlafen wird. Der Balkon ist ein wichtiger Bestandteil der deutschen Wohnkultur, und es scheint, als sei er in diesem Corona-Jahr noch ein bisschen wichtiger geworden, als Ersatz für entgangene Ausflugs- und Urlaubsfreuden. Außerdem hatten viele Balkon- und Gartenbesitzer in der Zeit der Ausgangsbeschränkungen schlicht mehr Zeit. Und, nicht zu vergessen: Pflanzen machen Freude, gerade in anstrengenden Zeiten. Die SZ hat mit drei Frauen gesprochen, die in der Corona-Zeit genug hatten von der Leere mit Geländer - und ihren Balkon runderneuert haben.

Ein zweites Schlafzimmer

Vanessa Wünsch hat für ihren Balkon ein Bett gebaut, hier hat sie im Sommer oft mit ihrer Tochter ein Mittagsschläfchen gemacht. Weitere Elemente: Töpfe mit Kräutern, Obst- und Gemüsepflanzen.

Auf der anderen Seite des Balkons unter den Dachschrägen: ein Hängesessel - ein schöner Ort für Eltern mit Baby. Vanessa Wünschs Tochter kam Ende März zur Welt.

Vor dem Umbau gehörte der Balkon unter den Dachschrägen in die Kategorie: Leere mit Geländer. Die Familie nutzte den Anbau hauptsächlich als Abstellfläche.

Die Besitzerin: Vanessa Wünsch, 27, Altenpflegerin und Bloggerin aus Flöha in Sachsen

Die Metamorphose: "Mein Balkon war seit dem Einzug im vergangenen Jahr eher ein zweiter Abstellraum, er war eigentlich immer leer. Im März begann ich dann, Sichtschutz und Blumenkästen anzubringen und einen Kräutergarten anzulegen. Ende März kam unsere kleine Tochter Hermine zur Welt und dann kam der Lockdown. Die nächsten drei Monate habe ich das Grundstück nicht verlassen, ich habe mich voll auf Hermine und die Gestaltung der Wohnung konzentriert. Ich hatte einen richtigen Nestbautrieb. Da habe ich uns ein Balkonbett selbst gebaut, in dem wir alle viel Zeit verbracht haben. Der Balkon ist unser zweites Wohnzimmer geworden."

Aufwand: "Hoch. Etwa eine Woche allein für die Planung der Konstruktion."

Wieso sich der Aufwand lohnt: "Ich liebe es, meine Pflanzen zu gießen. Ich habe ganz viel Obst, Gemüse und Kräuter auf meinem Balkon angebaut, Erdbeeren, Tomaten oder Gurken. Ich konnte tatsächlich fast täglich etwas ernten. Außerdem liebe ich es, den ersten Kaffee am Morgen auf dem Balkon zu trinken, weil er direkt auf den Sonnenaufgang rausgeht. Und ich mache regelmäßig einen Mittagsschlaf auf dem Balkonbett."

So viel muss man ausgeben: "Mit allen Pflanzen, dem Bett, dem Hängesessel, Deko und dem Sichtschutz waren es etwa 700 Euro."

Tipp für einen schönen Balkon: "Gemütlichkeit ist das Wichtigste. Die kriegt man am besten mit Laternen, Lichterketten, Teppichen und Kissen hin. Pflanzen hauchen einem Balkon Leben ein. Und wenn man dann noch Gemüse und Obst anbaut, hat man immer etwas zum Naschen griffbereit."

Ein zweites Wohnzimmer

Die Outdoor-Lounge hat Alexandra Winzer selbst aus Paletten gezimmert, die Sitzauflage ließ sie sich maßanfertigen. Weitere Elemente: ein Teppich, Kissen, Lichterketten und blühende Pflanzen wie zum Beispiel eine Hortensie.

Auch vor der Umgestaltung gab es auf Alexandra Winzers Balkon schon eine Sitzecke, allerdings eher im konventionellen Baumarkt-Stil.

Die Besitzerin: Alexandra Winzer, 29, Pinterest-Marketing-Expertin und Content-Creator aus Berlin

Die Metamorphose: "Mit einer Stichsäge haben wir Paletten zurechtgesägt, geschliffen und lasiert und daraus eine Lounge gebaut. Wir wollten möglichst viel Liegefläche haben. Die Hängematte ist aus Thailand."

Aufwand: "Mittel. Die Lounge ist am aufwendigsten, die Pflanzen und die Dekoration waren schnell besorgt und hergerichtet."

Wieso sich der Aufwand lohnt: "Wir haben im Sommer sehr viel Zeit auf dem Balkon verbracht. Nachmittags haben wir Eiskaffee getrunken, abends Serien geschaut und am Wochenende auf dem Balkon gefrühstückt."

So viel muss man ausgeben: "Für die Paletten und die maßgefertigte Outdoor-Sitzauflage haben wir etwa 200 Euro gezahlt, für die Pflanzen und Töpfe auch 200 Euro und für die Dekoration, wie Lichterketten und Kissen, 100 Euro."

Drei Tipps für den schönsten Balkon: "Neben Textilien und Beleuchtung sollte man unbedingt die richtigen Pflanzen wählen. Anfängern würde ich zu Pflanzen raten, die aus dem südlichen Raum kommen und nicht so viel Wasser benötigen, etwa Olivenbäume, Kakteen oder Zwergpalmen. Außerdem sollte man darauf achten, winterharte Pflanzen zu nehmen, denn ansonsten stellt sich die Frage, wo die Pflanzen sonst überwintern können. Im Keller ist es oft zu dunkel und in der Wohnung zu warm."

Ein zweites Spielzimmer

Für ihren Sohn hat Pia S. eine Küche zum Matschen gebaut. Das Holz dafür hat die Familie eigenhändig zugeschnitten, geölt, lackiert und verschraubt.

Die andere Seite des Balkons gehört eher den Eltern. Ein Balkon-Teppich scheint in diesem Sommer Trend zu sein.

Auch dieser Balkon fiel vorher in die Kategorie "Auch noch irgendwie da". Die Familie verbrachte dort wenig Zeit und hatte eigentlich auch nicht vor, das zu ändern - bis Corona kam.

Die Besitzerin: Pia S., 31, Musiklehrerin aus Sachsen-Anhalt

Die Metamorphose: "Wir haben den Balkon früher nur als Abstellort für die Wäsche genutzt und hatten anfangs nicht geplant, dort viel Zeit zu verbringen. Die Corona-Pandemie hat unsere Meinung da etwas geändert. Also haben wir im April eine Sitzecke mit Möbeln, Teppich und Laternen hergerichtet und dann damit begonnen, eine Matschküche, also eine kleine Spielküche für unseren zweijährigen Sohn auf den Balkon zu bauen. Die Rückwand habe ich selbst gebaut, mit Holz aus dem Baumarkt, das ich geölt und verschraubt habe. Die vordere Platte und alle Holzteile für die Küche haben wir zugeschnitten, geölt, lackiert und alles zusammengesetzt."

Aufwand: "Hoch. Wir haben vier ganze Tage für die Spielküche gebraucht, haben uns aber auch mal vermessen."

Wieso sich der Aufwand lohnt: "Wir benutzen den Balkon täglich zum Entspannen oder um draußen zu essen, und mein Sohn liebt es, stundenlang in der Matschküche zu spielen."

So viel muss man ausgeben: "Weil wir relativ günstige Materialien genommen und alles selbst gemacht haben, hat die Spielküche nur 100 Euro gekostet."

Tipp für einen schönen Balkon: "Es braucht eine gute Mischung aus Schatten und Sonne, man sollte eine Art Sichtschutz haben, damit man das Gefühl hat, in einer Art zweitem Wohnzimmer zu sitzen. Und ich finde, Pflanzen sind sehr wichtig, damit man sich auf dem Balkon wohlfühlt. Wir haben eine wunderschöne Weinranke, die unser Botanikprofessor aus dem Haus vor 15, 20 Jahren gesetzt hat und die sich um unseren Balkon schlängelt. Wenn man das nicht hat, würde ich ein Hochbeet anlegen oder ein paar Kräuter setzen."

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