Contra:Lieber ohne

Contra: Foto: Natalie Neomi Isser

Foto: Natalie Neomi Isser

Wer braucht Ostfriesische Teemischungen und Duftkerzen? Mancher hält nicht viel vom pflichtschuldigen Schenken.

Von Max Scharnigg

Für Geschenke gibt es zwei richtige Zeitpunkte: Wenn man etwas Schönes sieht und dabei sofort an jemanden denken muss. Oder wenn man sagen möchte: Ich mag dich. Das kann man aber auch mal mit Worten versuchen. Pflichtschuldiges Schenken ist meistens das Gegenteil solcher Momente, deswegen sind Geschenkübergaben oft so verkrampft ("Soll ich gleich auspacken?" - "Kannst auch später." - "So schönes Papier." - "Naja, nur was Kleines." - "Nanu, das ist. . . eine Holzkugel?" - "Ja, ein japanisches Geschicklichkeitsspiel." - "Ach, wart ihr in Tokio?"- "Nein." - "Toll."). Mitbringsel sind die ungeliebten und unterfinanzierten kleinen Geschwister der Geschenke. Schon das Wort! Substantivierungen mit angehängtem -sel sind selten besonders beliebt: Überbleibsel, Anhängsel, Geschreibsel - immer irgendwie minderwertig und überflüssig.

Aber von vorne. Wenn ich jemanden zum Essen einlade, ist die Einladung ein Kompliment, ich möchte diese Menschen bei mir haben. Was ich dafür erwarte ist: eine freudige Zusage. Von diesem Moment an sollen sich meine Gäste auf den Abend freuen und die Zusage keine Minute bereuen. Ich will nicht, dass sie zwei Tage vor dem Termin unruhig werden, weil sie glauben, ich bräuchte eine Wiedergutmachung. Schon vergessen? Es war meine freiwillige Idee, sie einzuladen. Ihr Besuch ist keine Störung, über die ich hinweg getröstet werden muss. Ich habe weder ihren neurotischen Hund zwei Wochen gehütet, noch habe ich eine Niere gespendet. Das wären Freundschaftsdienste, die eine Gegenleistung überlegenswert machen. Für ein Abendessen und ein bisschen Wein muss ich weder materiell noch mental entschädigt werden. Sensible Gastgebernaturen (oder Profis) beleidigt man sogar eher. Schließlich, Kellnern und Pizzaboten gibt man ein Trinkgeld, aber doch nicht Freunden. Und was soll das für eine unentspannte Höflichkeit sein, die alle Beteiligten in Nöte stürzt? Bei der ewigen Frage etwa, was als Mitbringsel angemessen ist ("Nur Wein? Oder doch was Richtiges? Noch ein Buch? Irgendwas für die Kinder? Dann wird's aber langsam viel. . . "). Irgendwann in dieser Spirale fängt man an, Aufwand und Nutzen gegeneinander aufzurechnen und das hat dann nichts mehr mit einem netten Abend zu tun. Wir gehören nicht zu einer Kultur, in der das Gastgeschenk ein festes Ritual und sinnentleerter Reflex ist. Gut so.

"Als Gastgeber freue ich mich, wenn die Gäste einigermaßen pünktlich vor der Tür stehen. Sie haben sich Zeit genommen, einen Babysitter besorgt oder ein Taxi bezahlt. Das genügt doch."

Wann hat man sich als Gastgeber nach einem gelungenen Abend je gesagt: "Oh, Birte und Richard haben gestern keine nette Kleinigkeit mitgebracht, ich bin verstimmt!" Nie! Schon eher ist man verstimmt, wenn man am Morgen nach dem Fest vor einer Anrichte voller schlecht kaschierter Banalitäten steht. So sehen mich meine Freunde? Eine Flasche Orvieto Classico, Ostfriesische Teemischung und fruchtige Duftkerzen? Hättet ihr geschwiegen!

Nein, als Gastgeber freue ich mich aufrichtig, wenn die Gäste pünktlich vor der Tür stehen. Ich weiß, sie haben sich Zeit genommen, vielleicht einen Babysitter besorgt oder ein Taxi bezahlt. Ab einem gewissen Punkt ist in unseren Leben nichts wertvoller als Freizeit, das weiß jeder, der gerne einlädt. Das ist also das Wichtigste, was Gäste mitbringen können, sich selbst, ihre Zeit und gute Laune, wie es früher hieß. Und vielleicht Blumen, wenn sie was überreichen wollen. Blumen sind kein Mitbringsel, sondern ein Beitrag zum Raumklima, von dem alle sofort etwas haben. Und anders als Wein machen Blumen jeder Güteklasse Freude. Man kann sie auch am Tag der Einladung etwas früher überbringen lassen, oder erst am nächsten Tag, wenn der Gastgeber nicht zwischen Küche und Tisch herumwetzen muss und Muse hat, sie zu arrangieren und sich still darüber zu freuen.

Ich verstehe, dass es Menschen schwerfällt, mit leeren Händen vor einer privaten Tür zu stehen. Ihnen sei erinnernd zugerufen, dass sich eigentlich nur Kinder noch uneingeschränkt über Tand und Süßigkeiten freuen können. Die meisten Erwachsenen, die ich kenne, sind überausgestattet und versuchen in ihren Wohnungen Freiraum zu schaffen und zu entrümpeln. Es ist also durchaus glaubhaft, wenn sie keine Geschenke möchten. Das als Koketterie zu deuten und über den Wunsch hinweg zu schenken ist recht eigensinnig: "Meine tasmanischen Traumfänger kann jeder gebrauchen!" Außerdem zwingt es den Geschenkskeptiker beim Gegenbesuch selbst wieder in die Niederungen des Krimskrams abzusteigen.

Vielleicht sollten zwanghafte Mitbringsler mal ihre Perspektive erweitern. Womöglich gibt der Gastgeber alle vier Tage ein Essen, vielleicht auch mal größere Gesellschaften. Dann hätte er bald ein Mitbringselsortiment, mit dem man einen Laden namens "Buntes & Olles" bestücken könnte. Wenn sich Paare oder Nachbarn zugetan sind, treffen sie sich vielleicht ein halbes Dutzendmal pro Jahr. Wenn da kein Mitbringsel-Stopp eingeführt wird, bewegt man sich in einer Möbiusschleife aus Zeug, die immer vertrackter wird, schließlich wird der Standard bei jedem Essen ein bisschen erhöht. Man erkundige sich in Büros mit herzlich vertrauter Belegschaft, wie aus kleinen Aufmerksamkeiten zum Geburtstag über die Jahre surreale Geschenkstafetten werden können. Wehret den Anfängen!

Nichts gegen das Schenken, es gehört zum Schönsten im Leben. Aber man muss es von Anlässen und Zwängen befreien, damit es sich frisch anfühlt.

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