Comeback der Luxusjeans:Hi again, Teuerste

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Das Model Cara Delevingne trägt zu einer Vernissage seine Lieblingsjeans und fühlt sich sichtlich wohl darin.

(Foto: Getty Images)

Eine Hose, so teuer wie ein Shopping-Wochenende in New York - Jeans, die den Geldbeutel sprengen, galten lange als out. Jetzt startet hingegen ein Luxus-Label in Deutschland durch.

Von Verena Stehle

Man kennt das ja gerade zur Genüge: Überall, wo man in diesen Tagen hinkommt, steht ein riesiger Teller mit Weihnachtsgebäck, der sich immer wie von selbst aufzufüllen scheint. Auf ihm: ein Berg süßer Teile in zig Formen, Farben und Konsistenzen, mit Glitzer verziert oder mit Zuckerguss überzogen. Bei jedem Vorbeigehen denkt man, dass man das Zeug ziemlich satt hat. Und dick macht es auch. Genauso ergeht es einem, wenn man vor dem Tisch voller Jeans im Lieblingsladen steht.

Es ist also zuerst mal nicht nachvollziehbar, warum Modeblogs ihre digitalen Seiten seit Wochen mit Jeans, Jeans, Jeans vollstopfen. Und warum junge Frauen Anfang Dezember in Expeditionsparkas in der Münchner Luxusboutique Theresa stehen und aufgeregt nach der "Jimmy Jimmy Skinny" fragen. Das ist ein neues, blaues, hochpreisiges Modell, vom Jeanslabel Paige aus Kalifornien. Dabei sind solche superteuren Jeans aus Kalifornien - auf Amerikanisch kurz "Premium Denim" - doch wirklich Schnee von vorvorgestern.

So teuer wie ein Shopping-Wochenende in New York

Ja, damals, in den Nullerjahren, war TrueReligionCitizensofHumanity7forallMankind das Dauerthema in der Mode, denn damals war Premium Denim das am schnellsten wachsende Segment der US-Bekleidungsindustrie. Dann aber rollte die Weltwirtschaftskrise an - und "die Designerjeansblase platzte", wie die New York Times 2009 schrieb. Eine Jeans zu tragen wie von Prps, die so teuer ist wie ein Christmas-Shopping-Wochenende in New York, galt plötzlich als schrecklich vulgär. Modeleute mobbten die Markenjeans, bis zuletzt: Die Star-Bloggerin Garance Doré outete sich neulich als Fan von Zaras Billig-Jeans. Und das kluge Stylemagazin Gentlewoman kombiniert in einer aktuellen Modestrecke Luxuspullis zu einer ollen Jeans, die markenmäßig nicht identifizierbar ist.

Paige Adams-Geller sitzt auf dem Sofa einer Suite im Münchner Cortiina Hotel und wirkt verdutzt. "Premium Denim ist immer noch eine sehr schnell wachsende Kategorie, und eine gute Kategorie, um ein Unternehmen zu gründen." Sie muss das sagen, die Jeansdesignerin ist hierzulande noch weitgehend unbekannt. Schwarze Röhrenjeans, schwarze Lederjacke, Ankleboots, blonde Wellenhaare: Sie erinnert an die attraktiven Karrierefrauen in amerikanischen TV-Serien, die irgendwann mit dem Poolboy anbandeln.

Statt eine Schauspielkarriere zu forcieren, wie jede hübsche Frau in Culver City, gründete Paige Adams-Geller 2004 mit ihrem Mann und einem dritten Geschäftspartner ein Luxusjeanslabel: "Paige". Im gleichen Jahr starteten in Kalifornien weitere 65 Nobeljeansfirmen, erzählt die Designerin. Während viele bald wieder verschwanden, eröffnete sie fünf eigene Boutiquen in Los Angeles, Vegas und New York. Heute werden ihre Jeans in 2000 Shops in 80 Ländern verkauft, und nun auch - in Deutschland.

Lebensziel: perfekte Jeans

Tatsächlich gibt es Zahlen, die zeigen, dass das Premiumsegment trotz Krise wuchs. Aber aus dem öffentlichen Mode-Bewusstsein war das Luxusstück halt verschwunden. Sonst wäre Adams-Geller nun wohl nicht auf Mini-Europa-Tour, sondern würde in Malibu am Strand liegen, wo es vor zwei Tagen noch über 30 Grad hatte. Kalt ist's hier, in München, aber sie sei's gewohnt, schließlich ist sie in Alaska geboren.

Ein Interview mit Paige Adams-Geller entwickelt sich rasch zu einem dieser Frauengespräche über Klamotten, Idealfiguren und Männer. Aber man ist ja auch nicht hier, um über die neuesten Theorien zum Weltuntergang zu sprechen oder über Wintersternbilder. Die Frau versteht was von Frauen. Und Jeans. Und der nicht ganz unheiklen Beziehung von Frauen zu Jeans.

Es ist doch so: Die perfekte Jeans, suggerieren Frauenmagazine, ist eine Art Lebensziel: sie zu finden ebenso wichtig wie den Traummann und einen Bungalow zum Altwerden. Die vermeintlich perfekten waren aber teuer und oft viel zu tief geschnitten. Und zog man sie aus, sah es aus, als hätte man gerade eine komplizierte Bauch-OP hinter sich; so sehr hatten die Nähte ins Fleisch gezwickt.

Die meisten dieser Jeans wurden eben von Männern gemacht, und Männer haben es nicht so mit Befindlichkeiten, mit weiblichen schon gar nicht. "Jeder wollte nur eine cool aussehende Jeans entwerfen", sagt Adams-Geller. Sie weiß das deshalb so genau, weil all diese coolen Jeans damals an IHR entworfen und abgesteckt wurden. Über zehn Jahre arbeitete sie als "Fit-Model" für die großen Denimhäuser, ihr Körper ist also der Prototyp des perfekten Jeansbody. Was sie zu einer Fachfrau macht in der Frage, wie man sich als Frau in Jeans fühlen will. Nämlich? "Komfortabel, selbstbewusst und sssexyyyyy!"

Comeback der Luxusjeans

So eine Paige-Jeans sitzt hoch genug, innen am Bund ist sie mit Stoff ausgekleidet. Das Denim ist weich und wirft - noch ein nerviges Jeans-Problem! - so gut wie keine unschönen Falten an der Beinrückseite. Warum hat sie diese Jeans den deutschen Kunden acht Jahre vorenthalten? "Ich wollte diesen speziellen Markt verstehen, ehe ich da ein Label reinsetze." Anfang des Jahres wurde außerdem der Look des Labels überholt. "Es war das perfekte Timing."

Nein, das Timing war sogar brillant. Die Paige-Jeans kam so verdammt spät nach dem Luxusjeanshype, dass sie jetzt fast schon wieder früh dran ist. Konsumentenhirne haben längst vergessen, dass sie nie mehr eine Jeans über 200 Euro kaufen wollten. Oder 300. Im völlig unprolligen Zeit-Magazin war gerade ein Paige-Modell mit Aztekenmuster zu sehen, für 385 Euro.

Jeanshauptstadt Los Angeles

Man kann solche Preise auch wieder aussprechen, ohne rot zu werden. 2011 hat das Luxusshoppen deutlich angezogen, laut US-Marktforschungsinstitut National Purchase Diary (NPD). Und Luxusjeanslabels profitieren davon: Von 15,8 Milliarden Dollar Gesamtumsatz in der US-Jeansbranche gingen 3,28 Milliarden auf das Konto von Premiumlabels wie 7 for all Mankind, Joe's Jeans oder eben Paige. Mehr als 80 Prozent aller Premiummarken lassen direkt in Los Angeles produzieren, weil, so Adams-Geller, dort die besten Denim-Wäschereien sitzen und das Knowhow. "L.A. ist die Jeanshauptstadt der USA, der Welt", sagt sie.

Seit Paige in einer Studie unter 1000 Luxusjeanskäufern am besten abschnitt, investiert die Firma TSG Consumer Partners in das Label. TSG hat bereits das Fitnessgetränk vitaminwater populär gemacht, das halbneurotische Hollywoodpromis stets mit sich herumschleppen. Und auch Adams-Geller setzt auf die Strahlkraft der Stars. Der erste Promi, erinnert sich die Blondine, war Hilary Duff: Das Teenie-Idol trug Paige zur 18. Geburtstagsparty. Wie heute alle Top-Schauspieler (Claire Danes, Mila Kunis), Top-Musiker (Lilly Allen) und Top-Models (Gisele Bündchen, Cara Delevingne).

Na gut, auch Lance Armstrong steht auf der Celebrity-Liste; Paige gibt es auch für Männer. Schnell noch einen Top-Namen fallen lassen: "Vor Kurzem bin ich in London in Kate Moss reingerannt", ruft Adams-Geller, "sie trug Paige. Ich war sooo aufgeregt! Sie ist eine Ikone!" Toll: Diese Jeans sitzt nicht nur fabelhaft, sie lässt den Träger auch ein wenig funkeln.

Win-win Situation

Reagieren Frauen auf ein jeansdesignendes Jeans-Model nicht zickig? Die Designerin überlegt; nein, wieso, es sei doch eine klare Win-win-Situation: "Ladys, ich verstehe euch. Ich weiß, wie ihr denkt!"

Sehr oft muss in diesen Hirnströmen der Begriff "Hintern" auftauchen. Denn wenn es eine Partie gibt, die an einer Paige besonders ausgeklügelt ist, dann die Rückansicht. Sogar das P im neu designten Label sieht aus wieder perfekte Apfelpo.

Sind wir jetzt in der Männerphantasie gelandet, Frau in knackigen Jeans? "Ohooooh, ja! Frag irgendeinen Mann, in welchem Teil er Frauen am schärfsten findet, und er wird sagen: in Jeans. Vor allem, wenn der Mann ein butt man ist. Jeans betonen den Hintern und überlassen mehr der Phantasie als ein Minikleid." Die Trägerinnen von Paige-Jeans sehen aus, als würden sie ein militantes Po-Workout ableisten. Wenn man schon durchtrainiert ist, kann das schnell ein bisschen zu viel Hintern sein.

Sonst aber spricht wenig gegen ein Comeback der Luxusjeans. In einer Zeit, in der Bilder von brennenden Jeansfabriken in Bangladesch in den Nachrichten laufen und bei "Günther Jauch" die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in der Textilbranche diskutiert werden - wirkt die Designerjeans aus L.A. auf einmal wie die Gute. "L.A. ist, was die Herstellung betrifft, der beste Platz auf der Welt", betont Adams-Geller. Und vielleicht der fairste: Die Designerin sucht alle Stoffe selbst aus und lässt ihre Mitarbeiter am Designprozess teilhaben. Das geht natürlich nicht, irgendwo im asiatischen Dschungel.

Popularität durch Extravaganz

Gibt es eine Jeans, die Frauen nie tragen sollten? "Ja, Mom Jeans! Diese weiten, hoch geschnittenen Jeans mit den hohen Gesäßtaschen, die einen Bananenhintern machen. Selbst wenn du Mama bist, trage keine Mom Jeans." Besser doch die Skinny Jeans, Boyfriend Jeans, Bootcut Jeans. Es gibt auch Modelle für werdende Mütter.

Richtig populär geworden ist die Marke aber erst durch ausgefallene Teile mit Streifen, Blumen, goldenen Ornamenten oder Jeans, die aussehen wie in Zuckerguss getaucht. Sie fühlen sich dank Spandex-Anteil auch dann noch gut an, wenn man sich wieder durch die Plätzchen futtert.

Klar wird man auch diese opulenten Jeans in Bälde satthaben. Aber wenn es eine Jahreszeit gibt, in der man ständig auf alles Appetit hat, dann ja wohl jetzt.

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