Süddeutsche Zeitung

Kolumne "Eigener Herd":Höchste Zeit für einen Sommerdrink

Aperol Spritz ist nach wie vor beliebt. Weniger langweilig - und weniger süß - ist er mit Gin, Kräutern, Säure oder trockenem Wermut.

Von Marten Rolff

Heute bleibt die Lockdownküche kalt. Irgendwann ist es ja auch mal genug mit Fünf-Minuten-Geröstl, Spaghetti alla Casa oder Papas bester aller chinesischen Reispfannen. Die Stimmung dreht sich, weil alle auf etwas Normalität hoffen dürfen. Infektionszahlen sinken, es gibt mehr Freiheit für Geimpfte, und vielerorts öffnet sogar die Außengastronomie. Das gemein unmaimäßige Wetter fällt angesichts solcher Fortschritte kaum noch ins Gewicht. Es wäre ja gelacht, wenn sich dieses Problem nicht auch noch lösen ließe! Angesichts der Lage können wir uns - wer hätte das gedacht? - hier endlich mal über Sommerdrinks unterhalten.

Natürlich sollte man jetzt nicht übertreiben. Bis zur ersten Gartenparty dauert es dann doch noch. "Das Gefühl ist im Moment besser als die Lage", hat der Gesundheitsminister soeben gewarnt - und damit gleich mal die seltsame Schnittmenge zwischen Sommerdrink-Trends und der Planung des Pandemiejahres treffend beschrieben. Denn beiden gemeinsam ist, dass es um hochemotionale Themen geht, von denen wir glauben, sie beeinflussen zu können, was sich am Ende aber stets als Illusion erweist. Es ist ja ein beliebtes Spiel, sobald Lokale die ersten Stühle vor die Tür stellen, den nächsten Sommerdrink vorherzusagen. "Jetzt kommt Inge!" (Ingwersirup mit Prosecco) - "Nein, Blaubeer-Mojito!" - "Nein, definitiv Gin Basil Smash!", brüllen dann alle durcheinander - und am Ende steht doch wieder Aperol Spritz auf jedem Tisch. Seit Jahrzehnten ein Klassiker, "der sich weiter so hartnäckig hält wie sonst nur Gin Tonic", sagt Anna Knorr, Chefin der Barschule München.

Und natürlich gefallen sich viele (der etwas Älteren) in der Vorstellung, sie hätten persönlich beigetragen zur Verbreitung dieses Drinks, weil sie ihn damals in dieser kleinen Geheimtipp-Bar - war es in Venedig, Padua oder Treviso? - quasi mit entdeckt hätten. Aber auch das stimmt nicht in einer Welt, in der Erfolg von Sommerdrinks einzig den Gesetzen von Marketingfeldzügen gehorcht.

Als die Campari-Gruppe vor knapp 20 Jahren Aperol kaufte, ging es um die fast unbekannte, etwas angestaubte Likörmarke eines Familienunternehmens. Dann machte Campari den "Spritz" - (Aperol mit Prosecco, Soda, Orange und Eis) erst zum Signature Drink einiger Mailänder Szene-Bars und binnen weniger Jahre zum mutmaßlich beliebtesten Aperitif Europas. So wurde Aperol zur wichtigsten Umsatzsäule des Getränkekonzerns, mit Werken in Südamerika und Expansionsplänen für Asien und die USA.

Zum Teil ist die Beliebtheit wohl auch der glücklichen Rezeptur des Likörs zuzuschreiben, ein streng gehütetes "Geheimrezept" auf Basis von Rhabarber, Blutorange, Zucker, Chinin, Enzian und anderen Kräutern. Das schmeckt sauer, süß, frisch und bitter auf einmal, wirkt anregend, macht Appetit und passt irgendwie zu fast allem. Zugleich sind Erfolg und Gefälligkeit für den Spritz auch zum Problem geworden. Das Image war bald zu mainstreamig und immer zu niedlich und etwas zu süß.

Ist Aperol Spritz damit eigentlich noch der richtige Drink für diese ziemlich toughe Zeit, die das Publikum zu polarisieren scheint, weil die einen immer härter, herber oder purer trinken und die anderen möglichst gesund und alkoholfrei?

Der Spritz ist endlich erwachsen geworden

Zumindest verändert sich etwas. Und wenn es auch den einen neuen Sommerdrink für alle nicht gibt, so wurden zuletzt immer mehr Konkurrenzprodukte für Aperol populär, die den Spritz aufmischen, ihn ernster und erwachsener machen. "Ramazzotti Rosato" zum Beispiel, der Grapefruit-Aperitif "Pampelle" oder der leicht harzige venezianische Bitter "Select" mit mehr als 30 Botanicals, mit dem auch manche Bar in Deutschland schon ihren Spritz mixt.

"Zur klassischen Variante von Spritz oder Gin Tonic greifen immer weniger Menschen", sagt Mixologin Anna Knorr. Ihre Barschule hat deshalb für diesen Sommer das Motto "Pimp your Drinks" ausgemacht. Was schlicht bedeutet, seinen Drink zu variieren, ihn aufregender zum machen, indem man Säure (simplen Zitronen- oder Limettensaft) zugibt, den Filler austauscht oder weitere Alkoholika ergänzt. Bei Aperol Spritz lassen sich schon mit einfachsten Mitteln gute Ergebnisse erzielen, etwa wenn man ihn mit etwas (trockenem) Wermut in Richtung "Americano" dreht (3 cl Aperol, 2 cl Wermut mit Soda, Prosecco und Eis). Oder wenn man Soda durch nicht allzu süßes Ginger Beer oder Ginger Ale austauscht, "das macht ihn schärfer und knackiger". Und wer es sehr herb mag, füllt den Spritz nicht mit Prosecco auf, sondern mit (möglichst ungezuckertem) Tonic.

Andere lassen den Aperol gleich ganz weg. Anna Knorr empfiehlt zum Beispiel 3 cl Campari mit 3 cl Cranberrynektar und 1 cl Limettensaft zu mischen und alles mit 10 cl Prosecco aufzufüllen (herb, fruchtig). Oder 5 cl Ramazzotti Rosato mit 10 cl Prosecco und 4 Basilikumblättern zu ergänzen (frisch, fruchtig, kräuterig). Wer 5 cl Pampelle mit 10 cl Prosecco auffüllt und mit mit einer Scheibe Grapefruit und Rosmarin würzt, hat wiederum einen besonders erfrischenden, gar nicht mehr süßen Drink.

Und auch wenn wir in einer gendersensiblen Zeit leben und Schubladendenken stärker hinterfragt wird, so sei es trotzdem eine Tatsache, dass Männer noch nie zu den größten Aperol-Spritz-Fans zählten, sagt Anna Knorr. Sie hat deshalb eine sommerliche Herrenvariante des Spritz entwickelt, die mit dem Original kaum noch etwas zu tun hat: 3 cl grünes Apfelpüree mit 2 cl Gin, 3 cl Vermouth Bianco mischen und mit Bier (gut ist Helles) auffüllen. Sehr erfrischend!

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