Süddeutsche Zeitung

Trend:Auf der Jagd

Die Mode setzt zum "Jahr des Tigers" auf Wildkatzen-Looks - mal wieder. Richtig weg waren Animal Prints eigentlich nie. Aber jetzt geht es um den wichtigsten Luxusmarkt: China.

Von Anne Goebel

Die Mode hat ein neues Lieblingstier - glückliche Fügung, dass es sich auch noch bestens verkauft. Tiger prangen auf Kleidern und Schuhen, vom Sneaker über die Handtasche bis zur Schluppenbluse, das gibt es jetzt alles im Wildkatzenprint. Das Muster gehört zwar schon lange zum Repertoire bei Stoffdrucken, in der pelzigen Version inzwischen vorsichtshalber als Fake Fur, aber jetzt lassen sich damit besonders gute Geschäfte machen. Im chinesischen Horoskop beginnt am 1. Februar das Jahr des Tigers, und am asiatischen Markt kommt bekanntlich kein Label vorbei. Passend zum Anlass hat die Branche daher rechtzeitig die Krallen geschärft. Streifen-Looks sind allgegenwärtig.

Chinesisches Neujahrsfest, das kannte man früher vom asiatischen Lokal um die Ecke, wo irgendwann zwischen Mitte Januar und Februar mit höllisch lauten Böllern unerwartet ein verspätetes Silvesterecho gezündet wurde. Längst gibt es Glückskekse auch bei Rewe; Luxusfirmen wie Fendi, Dior oder Balenciaga kriegen sich zum Jahresauftakt kaum ein vor lauter Referenzen an das "Year of the Tiger". Mit Sonderlinien und kleinen Kapselkollektionen wird das neue Sternzeichen gefeiert, es gibt eine pompöse Großkatzen-Kampagne von Gucci (helle Aufregung unter Tierschützern) und rotgeflammte Lippenstifthülsen der Make-up-Marke Charlotte Tilbury. Der Boom hat auch damit zu tun, dass der chinesische Mondkalender nach einer Reihe wenig majestätischer Glücksbringer - die Ratte, das Schwein, vergangenes Jahr: der Ochse - diesmal ein ausnehmend schönes Tier in den Blick rückt. Die Eleganz des Tigers, ob in Dior-Hellgrau, als Air Jordan Sneaker oder Motiv-Tasche von Ferragamo, lässt sich in New York oder Paris genauso gut vermarkten wie in Peking.

Was die Faszination für Exotisches anbelangt, so reicht sie historisch weit zurück. Es gibt eine Darstellung der ägyptischen Prinzessin Neferetiabet in einem wirklich umwerfenden asymmetrischen Leopardenkleid. Wobei es aus heutiger Sicht im Sinne des Artenschutzes beruhigend ist, dass das Fleckenmuster möglicherweise aufgemalt war. Griechische Helden wie Agamemnon hüllten sich in Löwenfell, später galten im höfischen Europa seltene Pelze als Statussymbole der Herrschenden. Stärke, Mut, Stolz, die Eigenschaften der Tiere sollten auf den Würdenträger übergehen. Unter hochrangigen Militärs, etwa in Frankreich, wurden um 1800 Tigerfelle als prunkvolle Satteldecken verwendet.

Auch in der Mode sind "Animal Prints" nichts für Zaghafte, sondern ein klares Signal. "I want to be seen", lautet die Botschaft, ich will gesehen werden, schreibt die Amerikanerin Jo Weldon in ihrem Buch "Fierce: The History of Leopard Print". Ob es nun David Bowie als Ziggy Stardust in gescheckter Röhrenhose ist oder, Jahrzehnte früher, Josephine Baker, die für sich schon eine Sensation war und dazu noch gern auf dem Fell erlegter Trophäen posierte: Das gezielte Erregen von Aufmerksamkeit hat Wildkatzen als Motiv immer in die Nähe des Unanständigen gerückt. Marken wie Versace oder Roberto Cavalli, nicht gerade bekannt für dezente Entwürfe, machen davon nach wie vor ausgiebig Gebrauch.

Und vielleicht hat der klassenbewusste Christian Dior, der den Print als einer der Ersten in der Nachkriegszeit wiederbelebte, deshalb blonden, mädchenhaften Frauen von dem nicht sehr aristokratischen Look abgeraten. Nach dem Motto: Wenn schon gewagt, dann nur beim sowieso nicht ganz blütenreinen dunklen Typ. Eine Empfehlung, die Blondinen, angefangen von Edie Sedgwick oder Catherine Deneuve, bis heute souverän ignorieren. Seither läuft es in der Mode mal mehr, mal weniger animalisch. Wirklich weg waren die Muster, ob Zebra, Gepard oder Jaguar, eigentlich nie. Erst 2021 wurde mal wieder eine Leoparden-Wiederkehr verkündet.

Da fügt sich die aktuelle Begeisterung für Tiger bestens ein, und es gibt kaum ein Haus, das dabei nicht auf frühere Kollektionen aus dem Archiv zurückgreifen kann. Manche tun das ganz bewusst, Gucci zum Beispiel hat einen Druck in Pastellfarben aus den Sechzigern neu aufgelegt. Und bei Valentino klingt schon der Name der Sonderedition nach Retro, "Valentino Tiger 1967". Denn mit Tradition, neudeutsch Heritage, lässt sich auch bei der asiatischen Kundschaft punkten - und das ist besonders wichtig. Geschätzte zwei Milliarden Menschen, in Asien selbst und anderen Kontinenten, feiern kommende Woche den Auftakt des Tigerjahrs. Und nicht wenige von ihnen dürften sich für die darauf zugeschnittenen Produkte der westlichen Firmen interessieren. Wer nicht in der obersten Preisklasse einkaufen will, findet etwa bei Lego eine passende Festtags-Szenerie zum Zusammenbauen. Auch Ketten wie H&M oder Mango haben jetzt erschwingliche T-Shirts und Kleider mit Wildkatzen im Sortiment.

Aber vor allem im gehobenen Segment hofft man auf üppige Neujahrsumsätze und zählt auf die finanzkräftige Klientel in China. Mit gutem Grund, wenn man sich die Entwicklung ansieht. Im Jahr 2010, als sich nach dem asiatischen Mondkalender mit seiner zyklisch wiederkehrenden Symbolik das letzte Mal alles um den Tiger drehte, war von solchen Aussichten noch kaum die Rede. Das Land machte damals nur gut zehn Prozent des weltweiten Geschäfts mit Luxusgütern aus, und die wenigen Modefirmen wie Prada, die "Chinese New Year"-Produkte lancierten, wurden in der Branche eher bestaunt. Zwölf Jahre später hat sich die Situation nach einem Bericht der Unternehmensberatung McKinsey komplett geändert. Demnach wird 2025 der Anteil chinesischer Konsumenten am globalen Luxusmarkt bei 40 Prozent liegen. Deren alljährliches Neujahrfest ist also so etwas wie Weihnachten und Ostern zusammen.

Kein Wunder, dass sich die Mode darauf mit den fantastischsten Kreationen einstellt. Sei es in samtpfotigem Rosa wie beim Streifenmuster von Valentino oder mit galoppierenden Großkatzen auf Burberry-Strick. Das italienische Label Moschino hat einfach die Comicfigur der Kellogg's-"Frosties" auf Shirts gedruckt. Aber meistens sind die Teile zeitlos edel wie Stella McCartneys Tote Bags in Kaffeetönen, damit sie über den Anlass hinaus etwas hermachen - auch für westliche Kundinnen. Und Gucci hat natürlich versichert, dass den königlichen Tieren auf den Kampagnenfotos kein Leid geschah und sie nachträglich in die Bilder montiert wurden. In zwölf Monaten wird es bodenständiger zugehen. Dann beginnt das Jahr des Hasen.

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