Champagner-Kellereien:Schäume und Karriereträume

Mélanie Tarlant

"Kämpfen müssen wir immer noch", sagt Mélanie Tarlant, 41, Chefin des Hauses Champagne Tarlant.

(Foto: MONOPOLE)

Der Weinbau in der Champagne atmet Geld, Prestige und Tradition. Lange war er eine reine Männerdomäne. Neuerdings aber haben hier immer mehr Frauen großen Erfolg. Was machen die richtig?

Von Patricia Bröhm

Wenn Vitalie Taittinger die Treppe mit dem schmiedeeisernen Geländer zum Château de la Marquetterie hinaufsteigt, dann ist ihr immer etwas andächtig zumute. Ihr Firmensitz ist ja auch alles andere als gewöhnlich, das noble Landgut mit den dunkelblauen Fensterläden und den vielen Backsteinkaminen atmet französische Geschichte; von Männern gemachte Geschichte, versteht sich. Erbaut wurde das Château 1734, im Louis XV-Stil. Vor der Revolution verkehrten hier Denker wie Voltaire, und im Ersten Weltkrieg war es Hauptquartier eines französischen Generals. Seit den Dreißigerjahren ist das Château Stammsitz des renommierten Champagnerhauses Taittinger.

Vitalie Taittinger ist auf dem Weingut aufgewachsen, "in meiner Kindheit standen hier noch die Weinpressen, und wir durften zur Erntezeit immer den frischen Traubensaft probieren." Besonders gern erinnert sie sich an die Abendessen ihrer Teenagerzeit mit den Erntehelfern, wenn nach der harten Arbeit 150 Menschen an einer langen Tafel saßen und es sehr fröhlich war. "Damals hätte ich mir nicht träumen lassen, dass ich dieses Haus eines Tages führen würde", sagt die 42-Jährige, die seit Anfang 2020 als "Madame la Présidente" Kopf des Familienunternehmens ist.

Vitalie Taittinger

Die korrekte offizielle Anrede für Vitalie Taittinger lautet "Madame la Présidente" . Sie ist Chefin des Hauses Taittinger.

(Foto: David Picchiottino)

Wie hätte sie das auch kommen sehen sollen? Schließlich ist kaum eine Branche so stark von Geschlechter-Klischees geprägt wie die der Gourmets und Weinliebhaber. Es ist eine Welt der Widersprüche, immer noch. Dazu gehört, dass geschätzt mehr als 90 Prozent aller Essen auf diesem Planeten von Frauen zubereitet werden, nur dort, wo es Preise und Sterne regnet, stehen plötzlich fast ausschließlich Männer in der Küche. Ein anderes berühmtes Paradox ist, dass Champagner zwar manchen bis heute als Frauen-Getränk gilt (ein besonders albernes Vorurteil übrigens), doch in den berühmten Châteaus, wo es um viel Geld und Prestige geht, geben natürlich traditionell die Männer den Ton an.

So hat es auch Anne Malassagne erlebt, als sie 1993, mit 28 Jahren, von einem Tag auf den anderen ihre Position als Controllerin bei L'Oréal verließ und das Weingut ihrer Familie übernahm, weil ihr Vater schwer erkrankt war. Seitdem ist sie Chefin des Champagnerhauses AR Lenoble, damals eine kleine Revolution. Eine mit harten Kämpfen. "Die ersten zehn Jahren waren wirklich tough", sagt Malassagne. Wenn sie mit ihrem jüngeren Bruder, der Önologie studierte und die Arbeit im Keller übernahm, Kunden besuchte, hielt man sie meist für die Assistentin: "Bei Weinproben dachten die Leute, ich sei dabei, um Flaschen zu öffnen und Gläser einzuschenken." Die Weingut-Chefin erzählt, wie einsam sie sich als Frau in ihrer Branche oft fühlte; und dass sie gerne mithelfen wollte, jüngeren Kolleginnen diese Erfahrung zu ersparen.

Anne Malassagne

Netzwerkerin im Weinberg: Anne Melassagne, Chefin des Champagnerhauses AR Lenoble. Auch sie sagt: Es kommt auf Sichtbarkeit an.

(Foto: privat)

Es ist ja durchaus so, dass immer mehr Frauen sich für einen Job im Weinbau interessieren. Auch deshalb hatte Anne Malassagne vor gut drei Jahren die Idee, den "femmes de champagne" eine Plattform zu bieten, wo sie sich ohne Konkurrenz- und Hierarchiedenken austauschen können. Deshalb gründete sie "La Transmission" - der Begriff steht in Frankreich für die Weitergabe von Wissen und Erfahrungen von einer Generation an die nächste. Es geht um eine Gruppe, die Frauen im Champagnerbusiness mehr Sichtbarkeit verleihen und den Weg in Führungspositionen erleichtern soll. Außerdem organisiert das Netzwerk Diskussionsrunden und Verkostungen oder Workshops zu Themen wie Nachhaltigkeit und Klimawandel. Arbeiten Frauen denn anders?, möchte man da natürlich wissen. "Das Schöne an unserem Austausch ist, dass er nie von einzelnen Egos getrieben ist", sagt Malassagne begeistert. "Wir arbeiten gemeinsam für die Zukunft der Champagne, unsere eigenen Unternehmensinteressen bleiben dabei im Hintergrund." Das klingt natürlich fast zu schön, um wahr zu sein.

Arbeiten Frauen im Weinberg anders? Ja, kooperativer. Behaupten die Frauen

Allerdings muss man Malassagne zugestehen, dass ihr Frauennetzwerk in der konservativen Weinwelt ein Novum ist. Und dass die vielen Erfolge von Frauen im Champagnergeschäft aufmerken lassen. "La Transmission" hat neben Vitalie Taittinger und Anne Malassagne auch weitere Château-Chefinnen als Mitglieder, unter ihnen Maggie Henriquez, CEO von Krug Champagne, und Alice Paillard, Diréctrice générale des nach ihrem Vater benannten Hauses Bruno Paillard in Reims. Sie alle haben begriffen, dass sie Führungsanspruch auch einfordern müssen. Und sie können sich auf Vorbilder berufen. Auf die berühmten "Champagner-Witwen", die das Anbaugebiet rund um Reims maßgeblich prägten. Damals geschah das vielleicht nicht immer freiwillig und oft im Verborgenen, aber eben sehr erfolgreich.

Champagner-Kellereien: Role Model für die Jungen: Barbe-Nicole Clicquot-Ponsardin prägte als berühmteste der sogenannten Champagner-Witwen die Geschichte der Kellerei Veuve Clicquot.

Role Model für die Jungen: Barbe-Nicole Clicquot-Ponsardin prägte als berühmteste der sogenannten Champagner-Witwen die Geschichte der Kellerei Veuve Clicquot.

(Foto: Histoire & Corporate : Personnag; Hôtel particulier du Marc à Reims)

Als berühmtestes Role Model gilt Barbe-Nicole Clicquot-Ponsardin, die 1805 als junge Frau nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes die Geschäfte übernahm und als "Veuve Clicquot" zur Legende wurde. Als frühes Marketing-Talent brachte sie die bis dahin unbekannten Weine des Hauses bis an den russischen Zarenhof. Sie erfand das markante gelbe Etikett, das die Flaschen bis heute ziert und ihre Unterschrift trägt, ebenso das Rüttelpult, ein seither unverzichtbares Instrument in der Champagnerproduktion. Auch Jeanne Alexandrine Louise Pommery setzte Maßstäbe, als sie 1874, zu einer Zeit, als Champagner noch ein sehr süßes Getränk war, den "Brut Nature" erfand, eine trockenere Variante, die den Weg für die uns heute bekannte Stilistik ebnete. Lily Bollinger schließlich, die das gleichnamige Haus von 1941 an für 30 Jahre führte, war das, was man heute eine Markenbotschafterin nennt: immer auf Reisen um die Welt, um ihre Weine zu promoten. Ihre Vorliebe für Pinot Noir und ihr Streben nach Unabhängigkeit - nach wie vor ist das Haus in Privatbesitz und 60 Prozent des Traubenmaterials stammt von eigenen Weinbergen - prägen die berühmte Adresse in Aÿ bis heute.

Veuve Clicquot Champagne House , Reims, Grand Est, France Veuve Clicquot Ponsardin Champagner Haus, Reims, Champagne, Fr

Heute gehört Veuve Clicquot zwar nicht zu den edelsten, dafür aber zu den erfolgreichsten Champagner-Marken der Welt.

(Foto: Jürgen Held/imago images/Travel-Stock-Image)

Auch solchen Vorbildern sei es zu verdanken, dass sich in der Champagne heute in Sachen Gleichberechtigung einiges tut, sagt auch Vitalie Taittinger. Sie selbst habe das Glück gehabt, dass ihr Vater sie wie selbstverständlich in die Lehre genommen habe. Er holte sie 2007 nach ihrem Grafikdesign-Studium in die Kellerei und stärkte ihr bis heute den Rücken. Sie rechnet es ihm hoch an, dass er trotzdem nie Druck ausübte, ins Familienunternehmen einzusteigen, "es war meine freie Entscheidung". Und dass ihr ein Jahr älterer Bruder sie als "Madame la Présidente" akzeptiert und ihr als Generaldirektor wie selbstverständlich zuarbeitet. All das führt dazu, dass Taittinger heute Sätze sagen kann wie: "Es ist in der Champagne kein Handicap mehr, als Frau geboren zu sein. Wer einen guten Job macht, der wird respektiert."

Auch ist die Chefin stolz darauf, im eigenen Haus nicht die einzige Frau in einer Führungsposition zu sein: Eine Schlüsselrolle spielt Christelle Rinville als Weinbergsdirektorin. Sie kennt jeden Rebstock der 288 Hektar eigenen Weinberge persönlich; und niemand würde ihr Wissen anzweifeln, wenn sie detailliert erklärt, wie genau die fünf Grand-Cru-Lagen der Côte des Blancs die Stilistik des Hauses prägen und warum die Böden in Chouilly etwas fruchtigere Weine hervorbringen als in Avize, während die Weine aus Mesnil-sur-Oger eher mineralischer ausfallen. Auch Christelle Rinville ist sich sicher, dass sie heute endlich "nicht mehr nach dem Geschlecht beurteilt werde, sondern nach meinen Kompetenzen".

Immer mehr Weinbaubetriebe stellen Kellermeisterinnen ein

Doch auch für diese Entwicklung brauchte es immer wieder Role Models: Es war Carol Duval-Leroy, langjährige Chefin des gleichnamigen Champagnerhauses, die 2005 die erste Kellermeisterin aller Zeiten in der Region berief. Sandrine Logette-Jardin prägt bis heute den Stil des Hauses. Inzwischen haben auch in so namhaften Häusern wie Krug, Ayala, Perrier-Jouët und Henriot Frauen im Keller das Sagen. Ein verschwindender Anteil, ja, aber: Ein Zeichen ist gesetzt.

Der jüngeren Generation im Netzwerk werden immer weniger Steine in den Weg gelegt. Für die 30-jährige Charline Drappier etwa ist es selbstverständlich, dass sie das Weingut ihrer Familie einmal mit ihren beiden Brüdern gemeinsam führen wird: "Ich hatte das Glück, dass meine Großmutter eine sehr starke Persönlichkeit war. Ihr Vorbild machte es mir leichter, in der Familie den Platz zu beanspruchen, der mir zustand." Doch "kämpfen müssen wir immer noch", erzählt Drappiers Kollegin Mélanie Tarlant, 41, die zusammen mit ihrem älteren Bruder Benoît das Haus "Champagne Tarlant" führt. Für die Tarlant-Chefin sind Netzwerke und Sichtbarkeit von Frauen deshalb wichtige Themen. Schließlich sei der Führungsanspruch von Frauen trotz einzelner Erfolge immer wieder auch zurückgedrängt worden.

Waren die Männer an der Front, führten die Frauen den Betrieb allein

Mélanie Tarlant erinnert sich, wie schockiert sie als Mädchen war, als ihre Urgroßmutter erzählte, sie habe bis zum Zweiten Weltkrieg den Keller nicht betreten dürfen, wenn sie ihre Tage hatte - man glaubte, das könnte dem gärenden Wein schaden. Als ihr Mann dann an der Front war, konnte sie solche Ammenmärchen über Bord werfen - und brachte das Unternehmen sechs Jahre lang alleine durch. Ein anderes Beispiel sei ihre Großmutter: "Sie war eine starke Persönlichkeit und traf sämtliche Entscheidungen im Weinberg. Aber als der Traktor in Mode kam, fuhren den die Männer."

Die Enkelin sagt heute, sie habe das Glück, in einer anderen Welt zu leben, dennoch müsse sie sich ständig aufs Neue beweisen. Das Haus Tarlant in Oeuilly ist bekannt für seine sehr individuellen Champagner, jede Parzelle wird einzeln im "Ultra Brut"-Stil ausgebaut, also sehr trocken ohne jede Zugabe von Zucker. Alle wichtigen Entscheidungen im Weinberg und im Keller treffen Bruder und Schwester gemeinsam. Beide haben von klein auf jede Lese mitgemacht und vom überlieferten Wissen der Groß- und Urgroßeltern profitiert. Trotzdem verspürte Mélanie Tarlant, die nach der Schule Marketing studierte und sich auch um den Verkaufsbereich kümmert, vor einiger Zeit das Bedürfnis, per Abendschule noch eine offizielle Weinbau-Ausbildung zu absolvieren - um vor allem vom Vater auch auf der technischen Seite als vollwertige Gesprächspartnerin akzeptiert zu werden. "Wir müssen immer noch mehr tun als die Männer, um uns Gehör zu verschaffen."

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