Süddeutsche Zeitung

Camping:Urlaub mit Sternegarantie

Camping, einst Abenteuer in der freien Natur, hat sich zum durchorganisierten Massenphänomen gewandelt. War es das jetzt? Eine kleine Kulturgeschichte.

Von Anne Goebel

Little Switzerland, die kleine Schweiz, hatte Gästen einiges zu bieten: gute Luft, sanft geschwungene Wiesen, Blick aufs Meer. Dass die echte Schweiz weit und breit keine Küste ihr eigen nennt und außerdem gut 1500 Kilometer entfernt liegt - wen wird das schon gestört haben beim Besuch des ersten Campingplatzes der Welt auf der Isle of Man? Für solche Spitzfindigkeiten war es sicher viel zu aufregend, um das Jahr 1900 in Gesellschaft von bis zu 600 anderen Männern unter Stoffplanen ganz nah am Pulsschlag der Natur einzudösen und vom Donnern der Irischen See zu erwachen.

Anfang 1890 hatte ein frommer Bäcker aus Liverpool Cunningham Camp im Osten der zerklüfteten Insel aufgezogen, das erste kommerzielle Ferienlager. Die Herkunft des Namens Switzerland ist nicht ganz geklärt, aber feststeht: Im Camp war die Relaxation straff organisiert. Tagsüber Ausflüge, abends Kerzenlicht. 1500 Zelte in Reih und Glied. Also eigentlich alles wie heute.

Die Geschichte des Campierens als Freizeitbewegung beginnt im 19. Jahrhundert, in dem die schwärmerischen Romantiker die Landschaft als Raum überhaupt erst entdecken - und dann die Industrialisierung immer mehr Stadtbewohner nach erschwinglicher Erholung suchen lässt. Von Anfang an gab es zwei Richtungen, die bis heute kennzeichnend sind, wenn Menschen sich für eine Weile im Freien einrichten.

Entweder man möchte, dass alles wie zu Hause ist, nur luftiger und mit Sternenhimmel. Oder man sucht Abgeschiedenheit und verzichtet auf Gewohntes. Sozusagen das Camping-Village an der Adria mit rechtwinkligem Straßennetz und Plansch-Landschaft gegen Wildzelten in einem finnischen Kiefernwald. Auch Letzteres ist immer Aussteigen auf Zeit. Danach geht es zurück in die Komfortzone eines strukturierten Alltags.

Joseph Cunninghams kurioses Insellager, seinerzeit beworben als "cheapest holiday in the world", fällt mit seinem riesigen Mensa-Pavillon und den Zeltformationen unter die Kategorie durchorganisierte Ferien. Als Pionier der freiheitsliebenden Wandervögel hingegen gilt sein Landsmann Thomas Hiram Holding, ein Schneider, der 1897 ein Leichtzelt entwarf und damit durch Connemara radelte, die abgelegenste Ecke Irlands. Darüber schrieb er das Buch "Cycle and Camp", für Kenner bis heute ein Grundlagenwerk. Der Guardian nennt Holding einen Helden, der "im Alleingang das Konzept Camping erfand".

Einst kultiviertes Abenteuer, heute funktioale Trekkingsandale

Allerdings sind wir von der Uridee stilistisch heute weit weg, das wird sofort klar, wenn man Fotos von damals betrachtet. Holding posiert in Knickerbockers und mit Schnauzer, lässig und doch mit der Haltung eines Gentleman, auf einer Art Picknickdecke im Gras vor seinem sommerlich gestreiften Firstzelt. Diesen Typ des kultivierten Abenteurers gibt es nicht mehr, heute werden in Funktionskleidung und Trekkingsandalen am Gasgrill Burger gebraten.

In Deutschland existieren mehrere Campingplätze, die damit werben, hierzulande zu den ältesten ihrer Art zu gehören. Der Platz Seehäusl am Chiemsee (seit 1955) und Camping Berger in Köln zum Beispiel, schon seit 1931 in Familienbesitz. Die Bildergalerie aus der Nachkriegszeit zeigt die BRD-Fahne am Eingang und auf grüner Wiese am Rhein locker verstreut kleine Wohnwagen und Zelte wie in einem Miniaturmodell - das wäre für Corona-Zeiten eine vorbildliche Abstandslösung.

Vorläufer solcher Plätze waren in den Zwanzigerjahren die Gruppen von Faltbootfahrern, die an Flussufern und Seen mit damals neu erfundenen Utensilien wie Schlafsäcken und Luftmatratzen im Freien nächtigten. Das Faltboot, bestehend aus zerlegbarem Innengerüst und flexibler Außenhaut, begeisterte seit seiner Erfindung 1905 Naturfreunde von der Nordsee bis zur Isar.

Zur Massenbewegung wurde Campieren mit den Wirtschaftswunder-Jahren. Im VW-Käfer ging es über die Alpen oder mindestens an den Wolfgangsee. Und schon damals war es wichtig, bei der offenen Haushaltsführung, die ein Campingplatz-Standplatz bedeutet, zu zeigen, was man hat: Bloß ein Zelt oder einen der ersten Wohnwagen und VW-Busse? Spartanische Ausstattung mit einer Gasflamme oder Vierfach-Kocher, Tischdecke und Wimpelgirlanden? Wie viel Equipment soll es sein, das war bei Campern in den Fünfzigerjahren genauso die Frage wie heute.

Ein Weg wäre, in der Zeit von Glamping und Lodges: Zurück zum Minimalismus von Thomas Hiram Holding. In der Hommage im Guardian ist über ihn zu erfahren: Als Schneider schrieb Holding auch Bücher über sein Handwerk. Eines handelt von Mänteln, und der Titel ist so wunderbar schnörkellos wie ein einfaches Zelt unter freiem Himmel: "Coats". Mehr nicht.

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