Süddeutsche Zeitung

Kaminfeuer:Feuer frei

Ein offener Kamin in der Wohnung - das wärmt die Herzen. Was bleibt vom alten Zauber? Eine knisternde Attrappe.

Von Gerhard Matzig

Wenn es ganz schlecht läuft für den Kamin, wird er sein letztes Verglühen irgendwann im Erotik-Portal "Joy Club" erleben müssen. Dort immerhin wird er derzeit noch poetisierend verherrlicht. Das liest sich dann zur Freude, wenn nicht gar zum Joy der rund zwei Millionen Sexdating-Mitglieder zum Beispiel so: "Im Kamin . . . knisterndes Feuer . . . lodernde Flammen . . . wecken Gefühle in dir . . . nach einem lasziv räkelnd . . . sinnlich erotischem Körper . . . auf einem wohlig weichem Fell . . . komm . . . schließ die Augen . . . "

Man kann also schon mal die Augen schließen und einige Dinge festhalten. Erstens: Der Kamin lebt noch. Und zweitens: Wenn Hoffnung das "Ding mit Federn" ist, wie die amerikanische Dichterin Emily Dickinson glaubte, dann ist Erotik offenbar das Ding mit den vielen Andeutungspunkten einerseits - und einer satten Überdosis Dativ andererseits. Aber immerhin ist es auch etwas, wo der Kamin noch seinen Dienst tun darf. In den Worten des Joy Clubs: "bis dass die Leidenschaft . . . gleich einem Feuerwerk euch übermannt . . . "

Das ist gut so, denn anderswo wurde der Kamin schon längst seinerseits übermannt beziehungsweise wegrationalisiert. Wenn auch nicht vom Feuerwerk, sondern, im Gegenteil, von der Feuerwehr. Beispielsweise in Weißenburg. Dort rückte am 21. November um fünf in der früh die Feuerwehr aus, um in der Unteren Stadtmühlgasse ein mutmaßliches Inferno zu bekämpfen. Ein besorgter Anwohner und Frühaufsteher hatte die Rettungskräfte alarmiert, weil er, wie es im Polizeibericht heißt, "im Nachbarhaus ein Feuer lodern sah". Allerdings stellte die Feuerwehr vor Ort alsbald fest: "Bei dem Brand handelte es sich um ein simuliertes Kaminfeuer, das auf einem Fernsehbildschirm zu sehen war." Die Leidenschaft davor, also vor dem Kaminfeuer, war wohl doch schon zu Bett gegangen.

Bei den gut informierten Kollegen von den St. Pauli Nachrichten erfährt man übrigens nicht nur, dass die Schauspieler Liz Hurley und Orlando Bloom auf "Sex am Kamin" stehen, sondern dass dieser Spaß mittlerweile auch für jene Menschen jenseits von Hollywood erschwinglich ist, die ein Defizit an Kamin vor die schwierige Frage stellt, wie man Sex am Kamin auch ohne Kamin haben könnte. Das geht etwa mit einem Ofen für Bio-Ethanol, wie man ihn auch an der Wand montieren kann. "Alternativ kann man auch ein Meer voller Kerzen aufbauen, beispielsweise aus Teelichtern."

Auf Netflix gibt es drei Arten von Kaminfeuer, und bei Tchibo wird das Knistern sogar mit Mozart und Bach unterlegt

Weil aber das Teelicht selbst in seiner Phänotypologie als Kerzenmeer nicht ganz an den Kamin heranreicht und das Ganze somit verdächtig nach 2-B-Sex aus der Ikeatüte klingt (im Hunderter-Pack kostet ein Teelicht knapp zehn Cent), wird einem schließlich die Kamin-DVD "für Anspruchsvolle" empfohlen, "durch die man am Fernseher den absolut realistischen Eindruck gewinnt, man säße vor einem Kamin. Auch die Kamingeräusche werden hier meist sehr gut übertragen." Wie sich ja auch in Weißenburg eindrucksvoll gezeigt hat.

Auf Netflix kann man aktuell zwischen drei telegenen Kaminfeuer-Imaginationen wählen: "knisterndes Birkenholz-Feuer", "knisternd klassisch" und "Kaminfeuer für zu Hause". Ein klassisches Birkenholz-Feuer für zu Hause: Das ist demnach eine Marktlücke. Abseits davon ist das Angebot aber fast schon unüberschaubar geworden. Bei Tchibo gibt es zum Kaminfeuer-Fernsehbild in 3-D auch den "Original-Knisterton, teilweise kombiniert mit Mozart, Bach oder Chopin". Wobei man auch noch wählen kann zwischen den Feuer-Szenarien "lodernd", "gemütlich" oder "dezent". Und für das Smartphone gibt es die App "Fireplace".

Aber nicht nur das digitale Zeitalter macht dem analogen Kaminfeuer das Lodern schwer, auch Michael Onischke und seine Kollegen bedrohen den Kamin. Onischke ist ein gefragter Architekt in München, einer zudem, der es versteht, hochenergetische Häuser nicht wie Jute-statt-Plastik-Buden, sondern smart, elegant und modern aussehen zu lassen. Sein eigenes Haus hat er vor einiger Zeit erbaut. Samt hoher Energieeffizienz, Grundwasserpumpe und kontrollierter Wohnraumbelüftung. Darin gibt es - mit Ausblick in den Garten - ein großzügig dimensioniertes Wohnzimmer, das förmlich nach einem offenen Kamin schreit. Aber: "Wir haben uns dann dagegen entschieden, weil das einfach nicht zum Energiekonzept passt." Zum einen wird der Kamin also von der digitalen Mimikry bedroht, zum anderen verträgt er sich nicht gut mit so manchem Energiekonzept. Das alles sieht eher düster aus für den Kamin, der ja beinahe aus dem Pleistozän der Baugeschichte stammt.

Im Mittelalter erfanden die Menschen den Kamin als Rauchabzug an der Außenwand. Das war revolutionär

Die Indoor-Feuerstätte ist zumindest aus der Antike bekannt. Aus dem lateinischen Begriff "caminus" (Feuerstätte, Ofen) ist eben auch der Kamin herauszuhören. Bekannt sind Funde von Feuerstätten aus Ägypten und Griechenland. Der "offene" Kamin, wie er vor allem in der Moderne zum Inbegriff mondänen Wohnens wurde, ist etwa seit 800 Jahren nachweisbar. Er geht zurück auf die Hausfeuerstelle, bei der sich die Rauchgase zunächst offen im Haus verbreiteten. Leider zusammen mit der steten Gefahr eines Feuers. Das Mittelalter hielt deshalb zwei Erfindungen bereit, die das Bauen revolutionieren sollten. Einmal die gotische Kathedrale - zum anderen aber den Kamin als Rauchabzug an der Außenwand.

Durch den vor einigen Tagen, jedenfalls in Großbritannien und in den USA, noch der Weihnachtsmann in die vorweihnachtlichen Stuben gerauscht kam. Unser hiesiges Christkindl ist ja nicht so blöd. Gottlob. Vor einem Jahr endete nämlich ein Einbruchsversuch in Kalifornien tragisch für den erst 19-jährigen Einbrecher. Der wollte durch den Kamin klettern, blieb stecken - und irgendwann schlief er ein. Am nächsten Tag entzündete der Hauseigentümer ein Feuerchen im Kamin und der unglückliche Dieb starb an einer Rauchvergiftung.

Rauch ist aber auch auf der legalen Seite eine der unliebsamen Nebenwirkungen des offenen Kamins, der in Sachen Romantik natürlich unschlagbar ist. Wie er auch in Sachen Energieeffizienz total versagt. Aber die Kaminofen-Industrie schläft ja auch nicht, schon gar nicht im Kamin. Es gibt mittlerweile wasserführende Kaminöfen als Ergänzung zur Solarthermie, es gibt gläserne Kamine und solche zum Hängen, es gibt den Kamin als Pelletofen, Gaskamin oder Kachelofen. Und trotz elektrifiziertem Feuerimitat ist und bleibt der Kamin ein Sehnsuchtsort ersten Ranges. Falls Sie aber dennoch zu Weihnachten statt Romantik oder Erotik nur einen Link zur Fireplace-App erhalten, seien Sie nicht traurig. Es gibt auch Apps, die dazu ein laszives Räkeln imaginieren. Und womöglich schaut ja sogar noch die Feuerwehr vorbei.

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Quelle:
SZ vom 24.12.2016
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