Brillenmode:Wie sinnvoll sind Brillen mit Blaulichtfilter?

Brillenmode: Stylish und immer entspannt - mit diesen Attributen werden die Hersteller für ihre Modelle.

Stylish und immer entspannt - mit diesen Attributen werden die Hersteller für ihre Modelle.

(Foto: Mister Spex)

Neuerdings bieten immer mehr Hersteller solche Brillen an. Sie versprechen höhere Konzentration und besseren Schlaf. Alles nur ein Marketinggag?

Von Christoph Koopmann

Begonnen hat es mit einer simplen Frage unter den vielen, die sich ein Brillensuchender im Optikerfachgeschäft seines Vertrauens zu stellen hat. Zu diesen Fragen gehörte, wie üblich, ob man eine Brillenversicherung abschließen wolle (wollte man, sicher ist sicher), ob man zur Brille noch dieses Pflegezeugs erwerben möge (mochte man nicht, ein Putztuch würde es schon tun), und dann: Ob man einen Blaulichtfilter in den neuen Gläsern wünsche. Es sei so, erklärte die Optikerin, dass das blaue Licht, das Computer- und Handybildschirme verströmten, auf Dauer das Auge schädige, weshalb so ein Filter schon gut sei. Zudem werde man mit so einem Filter vor dem Auge auch konzentrierter und schlafe besser. Klang erstmal verlockend.

Immer mehr Brillenhersteller bieten mittlerweile solche Blaulichtfilter an. Das Label Yun hat damit bereits vor ein paar Jahren angefangen. Ray Ban, deren Brillen ja schon dem Namen nach Strahlen bannen sollen, will neuerdings auch selbige in blau filtern, genauso wie Ace & Tate oder die Schweizer Marke Viu.

Was sie versprechen, hört sich verheißungsvoll an. Gerade jetzt, da zumindest ein Teil der Bevölkerung im Home-Office wahrscheinlich noch mehr Zeit vor PC, Tablet, Smartphone und Fernseher zubringt als ohnehin. Da können die Augen schon mal zu brennen beginnen. Übrigens nicht nur beim bebrillten Teil jener Home-Office-Arbeiterschaft - auch die Brillenlosen starren stundenlang in Bildschirme, weshalb den Herstellern der kaufmännisch sicher nicht ganz ungeschickte Einfall gekommen ist, die Filterbrillen auch dem eigentlich perfekt sehenden Menschen anzupreisen.

Wer könnte etwas gegen Entspannung und Style haben?

Die Schweizer Marke Viu zum Beispiel verpackt diese Zielgruppenerweiterung in seinen Blaulichtfilter-FAQs so, dass eine Filterbrille "die positiven Effekte des Filters (Augenentspannung etc.)" verbinde mit dem "Style-Faktor einer modischen Brille". Deshalb sei ein solches Modell auch in Fensterglasstärke "für wirklich jeden sinnvoll". Und wer könnte etwas gegen Entspannung und Style haben? Tatsächlich werden aus dem Bekanntenkreis bereits erste Filterbrillenkäufe von Menschen gemeldet, die zuvor höchstens Sonnenbrille trugen.

Aber wie sinnvoll ist das Ganze, abgesehen vom Style-Faktor? Die Brillenhersteller werben unter anderem damit, dass ein Blaulichtfilter beim Einschlafen und darauf folgend tagsüber bei der Konzentration hilft. Die Theorie: Ein zu hoher Anteil künstlichen Blaulichts hemme die Ausschüttung des Schlafhormons Melatonin. Dies führe zu längeren Einschlafphasen, was der Erholung nicht förderlich sei. Nur sind sich Schlafforscher nicht einig, ob diese Vermutung stimmt. Es gilt als unwahrscheinlich, dass allein Displayblaulicht die Melatoninproduktion wirklich entscheidend behindert.

Grundsätzlich sind Strahlen aus dem blauen Teil des sichtbaren Lichtspektrums nicht immer schlecht, sie sind auch im Tageslicht enthalten. In dieser Intensität macht das nichts. Blaulicht kann aber die Netzhaut schädigen, wenn es zu stark wird, sagt Stephan Degle, der an der Ernst-Abbe-Hochschule in Jena das Fachgebiet Augenoptik leitet. Nur: "Wir haben zu wenige Erfahrungen, ob das Blaulicht von Displays dafür tatsächlich ausreicht", sagt er.

Hilfreich ist eine Neunzigerjahre-Bono-Haftigkeit

Solange das genaue Risiko nicht klar ist, rät Degle - Selbstbezeichnung: "Blaulichtkritiker" - generell dazu, lieber weniger als zu viel Blaulicht ans Auge zu lassen. In Jena hätten sie alle gängigen Filter auf ihre Wirksamkeit getestet, sagt er. Das Ergebnis: "Wenn Sie den mutmaßlich gefährlichen Teil des Blaulichts filtern wollen, geht das nur mit gelben oder orangenen Gläsern." Nachteil daran: Man sähe ein bisschen aus, als wollte man sich gleich eine Skipiste herunterstürzen und danach zu Andreas Gabalier tanzen. Es soll Menschen geben, die einen solchen Eindruck dringend vermeiden möchten. Oder aber man eignet sich mit orangenen Gläsern - Stichwort Style-Faktor - eine gewisse Neunzigerjahre-Bono-Haftigkeit an, und auch da ist die Frage, ob man das wirklich will.

Wenn nicht, kann man sich auch Blaufilterbrillengläser mit weniger offensichtlicher Tönung anschaffen. Bei den allermeisten Modellen ist kaum ein Unterschied zu normalen Gläsern zu erkennen. Sie schimmern höchstens leicht, filtern dafür aber auch weniger Blaulicht als die stark getönten. 15 bis 20 Prozent sind es nach den Messungen von Stephan Degle - und oft genug erwischten die Filter gar nicht die wirklich bedenklichen Wellenlängen. "Insgesamt sind solche Blaulichtfilterbrillen besser als nichts", sagt der Experte. Aber eigentlich müsste man die Blaulichtemission an den Quellen vermindern, sagt er. Also mit Bildschirmen, die von sich aus weniger blaues Licht ausstrahlen.

Neulich beim Optiker fiel die Entscheidung übrigens pro Blaulichtfilter aus (in der nicht-orangenen Version). Beim Kontrollblick Richtung Computermonitor auf dem Schreibtisch wirken die Farben mit der neuen Brille tatsächlich eine Spur wärmer als ohne, alles etwas gelblich-rötlich. Abgesehen davon lässt sich im Selbstversuch aber schwer sagen, wie wirkungsvoll der Filter tatsächlich ist. Jedenfalls im Hinblick auf die Versprechungen, man bleibe damit konzentrierter und ausgeschlafener. Manche Arbeitstage kommen einem immer noch ähnlich lang und ermüdend vor wie mit der alten Brille, andere genauso kurzweilig wie vorher. Immerhin, die Netzhaut ist, soweit sich das beurteilen lässt, noch nicht durchgebrannt. Und neulich Nacht war der Schlaf echt tief. Zumindest gefühlt. Stylisch ist die Brille jedenfalls.

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